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Machen, was niemand anpackt

Marion Vogel ©
Offen für Neues: CIP-Chefin Yao Wen mit dem E-Lastenrad Mocci, das die Firma 2022 auf den Markt bringen will

Yao Wen gründete 2004 die CIP Group, die Platinen und Elektronik für europäische Großkonzerne in China beschafft. Mit viel Mut, Energie und Gespür für Gelegenheiten baut die studierte Germanistin das Unternehmen aus.

Harriet Austen, Ausgabe 11/2021

Zugegeben, mocci sieht auf den ersten Blick etwas ungewöhnlich aus. Das ziemlich robuste elektrische Lastenrad kommt ohne Speichen und Kette aus, der Antrieb ist komplett digital. »Wir sind die ersten, die ein sogenanntes Smart Pedal Vehicle auf den Markt bringen«, sagt Yao Wen (57) stolz und deutet auf das schwarze Fahrzeug, das im Konferenzraum steht. Der Name mocci, erklärt die Vorstandsvorsitzende der Münchner CIP Holding AG, sei eine chinesische Wortschöpfung und bedeute »magisches Fah- ren« – also digital, smart, vernetzt, leicht und umweltfreundlich. Davon sollen ab 2022 unter anderem Kuriere, Lieferdienste, Speditionen und große Lagerhallen profitieren und dem Einkaufsdienstleister CIP (Creating Intelligent Products) weiteres Wachstum sichern.

Erste Studentin, die privat ausreisen durfte

Yao Wens Weg zur Unternehmerin ist ungewöhnlich. Aufgewachsen in Chongqing, studierte die Chinesin, dem Wunsch ihres Vaters entsprechend, Germanistik an der Sichuan International Studies University. Nach dem Bachelor wurde ihr ein Studienplatz in Augsburg angeboten. »Ich war die erste Studentin, die privat ausreisen durfte«, so Yao Wen; China war damals komplett abgeschottet. Neugierig auf das Land, dessen Sprache sie kannte, lebte sie sich schnell in Deutschland ein und jobbte in den Ferien am Band bei Siemens Nixdorf. Dort engagierte sie der Einkaufsleiter vom Fleck weg, da gerade der Aufbau eines neuen Geschäfts mit Taiwan anstand.

Mit Mut die Business Unit übernommen

Yao Wen blieb 17 Jahre bei der Siemens AG. Für Einkauf und Logistik baute sie internationale Beschaffungsbüros in China und Hongkong auf. Zurück in München, steuerte sie als Abteilungsleiterin mit Partnern in Asien das Supply-Chain-Business mit elektronischen Bauteilen für den DAX-Konzern und war dabei so erfolgreich, dass sie das Geschäftsfeld auf Drittkunden erweitern konnte. Als der damalige Siemens-Chef Klaus Kleinfeld entschied, die Abteilung zu verkaufen, »nahm ich all meinen Mut zusammen und sagte dem Einkaufsleiter, dass ich die Business Unit übernehme«, so Yao Wen.

Die Geschäftsfrau sah sich gut gerüstet für die Selbstständigkeit: »Ich brachte kaufmännisches Know-how, Expertise, ein umfangreiches Netzwerk und Menschenkenntnis mit.« Gemeinsam mit ihrem Arbeitskollegen Dimitrios Bachadakis gründete sie 2004 im Rahmen eines Management-Buy-outs (MBO) die CIP Group. Das Unternehmen war von Anfang an profitabel, da 85 Prozent ihrer bisherigen Kunden und Lieferanten mitgingen.

Rasch umdenken

Die beiden Gründer machten dort weiter, wo sie bei Siemens aufgehört hatten. Die CIP Group (50 Mitarbeiter, 70 Millionen Euro Umsatz) erwirbt für große deutsche Unternehmen aus der Automobil- und Haushaltswarenindustrie vor allem Leiterplatten und elektronische Bauteile in China. Um Millionen von Anlieferungen zu stemmen, wurde der komplexe Prozess vollständig digitalisiert. Wo sich neue Chancen bieten, ist Yao Wen schnell dabei. »Ich kann rasch umdenken und mich auf neue Trends einstellen«, sagt sie über sich selbst.

Diese Eigenschaften waren es auch, die sie zur Solar- und Umwelttechnologie brachten. Ein Kunde sprach sie 2005 an, ob sie sehr gefragte Solarpanels aus China besorgen könne. Die Unternehmerin vernetzte kurzerhand die Firma, die das Silizium lieferte, und die chinesische Firma Yingli Solar aus Baoding, die das Gewünschte herstellte. Daraus entstand ein sehr erfolgreiches Joint Venture.

Thema komplett neu aufgerollt

»Das Geschäft mit erneuerbaren Energien war wegweisend, denn dadurch wurde das Fundament für mocci gelegt«, sagt die Unternehmerin. Als der Markt mit E-Bikes vor sieben Jahren zu boomen begann und sie die Fertigungsmethoden in China eher rückständig fand, überlegte Yao Wen, das Thema komplett neu aufzurollen – gemäß dem Motto »Das machen, was niemand sonst anpackt«.

Nahezu vollständig recycelbar

Im Institut für Strukturleichtbau der Technischen Universität Chemnitz fand sie den richtigen Partner, um ein umweltfreundliches E-Lastenrad zu entwickeln, das we-der geschweißt noch lackiert werden muss und bei dem sonst schwere Teile aus leichten Polyamidmaterialien gefertigt sind. »mocci ist nahezu vollständig recycelbar«, sagt die CIP-Chefin stolz.

»Zeigen, was Frauen erreichen können«

Für ihre Erfolgsgeschichte erhielt Yao Wen im Juli den Münchner Wirtschaftspreis für Frauen, LaMonachia. »Das war eine große und positive Überraschung für mich«, sagt die Unternehmerin. Für ihre Firma bedeutet der Preis mehr Aufmerksamkeit und für sie selbst eine persönliche Anerkennung: »Ich kann damit zeigen, was Frauen erreichen können.«

Zur Person Yao Wen

Yao Wen, Jahrgang 1964, stammt aus Chongqing in China. Nach ihrem Bachelor-Abschluss in Germanistik ging sie 1985 nach Augsburg, um dort im Magister Germanistik, Kommunikationswissenschaft und Soziologie zu studieren. Nach 17 Jahren bei der Siemens AG machte sie sich 2004 mit einem Management-Buyout selbstständig und gründete gemeinsam mit Dimitrios Bachadakis den Supply-Chain-Dienstleister CIP Holding AG in München. 2005 stieg das Unternehmen in die Solartechnologie ein. 2015 begann Yao Wen mit der Entwicklung des elektrischen Lastenrades mocci.

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