Klimaschutz | Betrieb + Praxis

Mit Bedacht verpackt

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Abfall meterhoch – Einwegbecher & Co. haben einen beträchtlichen Anteil daran

Gastronomie und Einzelhandel sind ab 1. Januar 2023 verpflichtet, alle Take-away-Getränke und -Gerichte auch in einer Mehrwegverpackung anzubieten. Um das zu ermöglichen, haben Firmen ganz unterschiedliche Lösungen entwickelt.

GABRIELE LÜKE, Ausgabe 11/2022

Take-away-Einwegverpackungen verursachen rund 770 Tonnen Abfall in Deutschland – und das jeden Tag. Ab 1. Januar 2023 soll dieser Müllberg kleiner ausfallen. Dann fordert das Verpackungsgesetz mit den neuen Paragrafen 33 und 34, dass »Letztvertreiber von Getränken und Lebensmitteln zum unmittelbaren Verzehr« den Kunden zwingend auch eine Mehrwegverpackung anbieten. Der Gesetzgeber überlässt den Verbrauchern, ob sie Ein- oder Mehrweg wählen. Anbieter müssen beide Verpackungsarten vorhalten.

Strafen bis zu 10.000 Euro

Neben der Gastronomie sind Lieferdienste und Aufsteller von Verkaufsautomaten, aber auch manche Bäcker und Metzger von der neuen Vorschrift betroffen. Wer sich nicht an sie hält, begeht eine Ordnungswidrigkeit und muss mit Strafen bis zu 10.000 Euro rechnen. »Ausnahmen bestehen für Betriebe, die weniger als fünf Mitarbeiter und eine Verkaufsfläche unter 80 Quadratmetern haben«, sagt IHK-Umweltfachfrau Sabrina Schröpfer. Diese Firmen müssen Getränke und Mahlzeiten aber auf Wunsch in Behältnisse füllen, die die Kunden mitbringen.

Die Umstellung auf die neuen Regeln kommt gut voran. »Durch die anhaltende Pandemie, den Fachkräftemangel, die Inflation und die Energiekrise haben insbesondere die Gastronomen aktuell viele andere Sorgen, sie bereiten sich dennoch gut vor, wollen im Januar startklar sein«, erklärt Daniela Ziegler (50), Fachbereichsgeschäftsführerin Gastronomie des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbands DEHOGA Bayern. Der Verband informiert seine Mitglieder seit 2020 über die neuen Regeln. Daneben trägt er das Thema auch über einen Runden Tisch mit der Staatsregierung oder gemeinsam mit Kommunen in die Gastronomie. »Die Mehrwegalternative ist im Interesse von Land, Städten und Gemeinden: Je stärker sie sich durchsetzt, umso mehr reduziert sich das Müllaufkommen«, so Ziegler.

Teils 500 Euro Förderung

Einige Kommunen fördern die Umstellung: München und Haar zum Beispiel mit jeweils bis zu 500 Euro pro Betrieb. »Allerdings treten die Kommunen nicht als Verleiher oder Sammelstellen von Mehrweggeschirr auf«, sagt Ziegler. »Die Umsetzung der neuen Mehrwegalternative funktioniert privatwirtschaftlich. Die Dynamik ist groß, der Bedarf aus unserer Sicht gut gedeckt.«

Mit und ohne Pfand

Das zeigt sich an den vielen unterschiedlichen Lösungen, die auf dem Markt sind. So gibt es Unternehmen, die Mehrwegbehältnisse aller Art – vom Kaffeebecher über die Sushi- bis zur Pizzabox – herstellen lassen und an Restaurants und Cafés verleihen. Andere gastronomische Betriebe, darunter einige Ketten, haben eigenes Mehrweggeschirr entwickelt und produziert.

Die einen erheben beim Endkunden Pfand. Die anderen stellen die Nutzung für den Verbraucher zunächst kostenfrei, fordern aber eine Gebühr, wenn das via QR-Code registrierte Geschirr nach einer bestimmten Frist nicht zurückgegeben ist. Manche organisieren die Rücknahme nur innerhalb ihres eigenen Filialsystems. Bei anderen können Konsumenten das Geschirr auch unternehmensübergreifend abgeben, also in jedem Betrieb, der das spezifische Geschirr nutzt. Die Lieferdienste integrieren in ihre Bestellsysteme »Mehrweg«-Buttons, die Kunden anklicken können.

Verleiher von Mehrweggeschirr

Als Verleiher von Mehrweggeschirr bekannt geworden ist neben Anbietern wie reCup GmbH, Elithro GmbH (reCIRCLE), FairCup GmbH oder VYTAL Global GmbH auch die Relevo GmbH in München. Das Start-up lässt von mehreren Produzenten Becher, Schüsseln und inzwischen auch Pizzakartons aus Kunststoff oder Glas herstellen. Über einen eigens entwickelten Kalkulator rechnet Relevo für den einzelnen Gastronomen zunächst den Bedarf an Mehrweggeschirr aus.

»Smartes« System mit QR-Code

Das Geschirr ist mit QR-Code gekennzeichnet. Sobald es der Endkunde erhält und scannt, zahlt der Gastronom eine Gebühr. Der Konsument kann die Schüsseln und Schalen in jedem Lokal, das dem Relevo-System angeschlossen ist, wieder abgeben – welche das sind, erfährt er über die Relevo-App. Dort wird das Geschirr gespült und zurück in den Umlauf gegeben. Pfand fällt für den Endkunden nicht an, er bekommt aber eine Zahlungsaufforderung an die hinterlegte Adresse, wenn er das Geschirr nach einer Frist nicht zurückgegeben hat. »Über unser smartes System können wir jedes einzelne Geschirrstück nachverfolgen, nichts geht verloren oder wird dem falschen Lokal in Rechnung gestellt«, erklärt Relevo-Geschäftsführer Matthias Potthast.

Und wie kommt die Gastronomie mit den neuen Vorgaben zurecht? Die Münchner chicco di caffè GmbH betreibt Kaffeebars in Unternehmen, an Universitäten und in Krankenhäusern. Sie nutzt einerseits bestehende Angebote von Mehrweggeschirrverleihern im Pfandsystem. »Andererseits haben einige der Unternehmen, in denen wir unsere Kaffeebars betreiben, bereits ihr eigenes Mehrweggeschirr eingeführt, das wir dann mitnutzen«, erläutert Geschäftsführer Ralf Meyer (52).

Spezielles Boxen-Belüftungssystem

Die Burgerkette »Hans im Glück« in München hat nach Probeläufen mit bestehenden Systemen beschlossen, eigenes Mehrweggeschirr zu produzieren. »Wir wollten ein spezielles Belüftungssystem haben, damit die Speisen in den Boxen länger frisch bleiben, außerdem sollten die Boxen insbesondere die Burger gut umschließen und stapelbar sein«, erläutert Geschäftsführer Jens Hallbauer (33). Das Geschirr wird gegen Pfand ausgegeben und kann in jeder »Hans-im-Glück«-Filiale zurückgegeben werden.

»Viel Input, Austausch und Best Practice«

Die Beispiele zeigen, dass Einführung und Umsetzung der Mehrwegsysteme nicht trivial sind. »Mitarbeiter werden geschult, die Kunden werden auf die nachhaltige Möglichkeit hingewiesen«, erläutert DEHOGA-Fachfrau Ziegler. »Zugleich gibt es aber viel Input, Austausch und Best Practice.« Ein finanzieller Anreiz sei, dass sich Mehrweggeschirr gegenüber Einweggeschirr nach rund sechs Umläufen bei Speisenboxen und zwölf Umläufen bei Bechern durchaus schnell rentiere. Der Bundesverband der Systemgastronomie e.V. sieht für seine Mitglieder vor allem in der Organisation der Rücknahme und der Logistik Hürden.

Geschäftsführer Hallbauer legt seine Überlegungen für »Hans im Glück« offen: »Rund zehn Prozent unserer Essen werden außer Haus verkauft. Auf dieser Basis haben wir das benötigte Mehrweggeschirr kalkuliert.« Und wenn die Kunden Mehrweg doch nicht so annehmen wie geplant? »Wir wollen weiter wachsen, könnten überzähliges Mehrweggeschirr dann auf mehr Filialen verteilen«, meint Hallbauer. Aufwand und Risiko hält er für akzeptabel für die Franchisepartner. Das Geschirr lasse sich ohne Zusatzaufwand in den vorhandenen Spülmaschinen reinigen. »Das Pfand ist so berechnet, dass die Partner keine Verluste machen, wenn etwas nicht zurückgegeben wird«, so Hallbauer.

»Unterm Strich Mehrweg umweltfreundlicher als Einweg«

Bleibt die Frage nach der Nachhaltigkeit. »Unterm Strich ist Mehrweg umweltfreundlicher als Einweg«, sagt IHK-Fachfrau Schröpfer und rät zur Abwägung: »Grundsätzlich ist Mehrweg vorzuziehen, wenn kurze Transportwege vorliegen.« Auch das Gewicht sei als Faktor miteinzubeziehen. »Bei Kunststoffverpackungen sollte sortenreiner Kunststoff vorliegen, der nach mehreren Durchläufen recycelt werden kann«, so Schröpfer.

Material als entscheidender Parameter

Anbieter Relevo hat sich nach gründlicher Recherche neben Glas für konventionellen, sortenreinen Kunststoff entschieden: »Er ist haltbarer und mit rund 1.000 Umläufen länger einsatzfähig als Bio-Plastik«, erklärt Relevo-Geschäftsführer Potthast. Zudem konkurriere biobasierter Kunststoff, der aus Pflanzen hergestellt wird, mit Anbauflächen für Lebensmittel und kann derzeit noch nicht recycelt werden, wird also verbrannt. Wenn das Geschirr ausgedient hat, wird der Kunststoff geschreddert und zu neuen Produkten verarbeitet. Potthast betont: »Unsere Gründer sind vor drei Jahren angetreten, die Müllberge zu reduzieren. Das Material für unser Geschirr, die Entsorgung waren also entscheidende Parameter.«

»Je stabiler das Material, umso häufiger der Einsatz«

Auch »Hans im Glück« setzt auf konventionelles Plastik. »Es geht um die Stabilität. Je stabiler das Material, umso häufiger der Einsatz – umso besser die Ökobilanz«, so Geschäftsführer Hallbauer. »Nachhaltigkeit ist einer unserer Ausgangspunkte als Unternehmen. Deshalb haben wir die Materialabwägung sehr ernst genommen.«

Das Unternehmen chicco di caffè wiederum nahm die Mehrwegvorschrift zum Anlass, Nachhaltigkeit grundsätzlich auszubauen: »Unsere Kaffeerösterei ist inzwischen klimaneutral, wir haben die erste EU-zertifizierte grüne Bar, die für alle 150 weiteren Standorte unserer Kette das Vorbild werden soll. Daher wird Einweg nun auslaufen, wir bieten in naher Zukunft nur noch Mehrweg an«, erläutert Geschäftsführer Meyer.

Konsument entscheidet

Nun hängt alles von den Konsumenten ab. Denn die müssen die Mehrwegalternative ja einfordern. Hier sieht der Bundesverband der Systemgastronomie e. V. den Knackpunkt. Kunden änderten ihr Konsumverhalten nicht von heute auf morgen, das brauche Zeit und die Unterstützung der Politik. Der Verband habe innerhalb seines Systems festgestellt, dass die Gäste trotz intensiver Bewerbung und finanzieller Anreize Mehrwegbecher nur in geringem Maß genutzt haben. Die Zahlen bewegten sich im einstelligen Prozentbereich, so der Verband.

Aus Überzeugung ohne Einwegalternative

Ralf Meyer von chicco de caffè hingegen betont, dass Auftraggeber wie Endkunden Mehrweg im Sinne der Nachhaltigkeit zunehmend einfordern. Und DEHOGA-Vertreterin Ziegler beobachtet: »Einige Mitglieder stellen inzwischen aus Überzeugung auf Nachhaltigkeit und Mehrweg ohne Einwegalternative um.« Sie wollen so für die Endkunden und auch für neue, junge Mitarbeiter attraktiver werden.

»Es wäre in jedem Fall gut, wenn auch die kleinen, nicht direkt betroffenen Lokale wie etwa Imbissbuden eine Mehrwegalternative anbieten würden und nicht nur mitgebrachte Behältnisse befüllen«, sagt IHK-Expertin Schröpfer. Dann werde die Mehrwegalternative für Verbraucher in der Praxis leichter, weil immer mehr zur Routine – »und rechnet sich finanziell wie ökologisch«.

IHK-Service: Infos für Firmen zur Mehrwegpflicht

Mehr Informationen auf den Ratgeber-Seiten der IHK.

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