Klimaschutz | Betrieb + Praxis
Risiko erkennen, Resilienz erhöhen

Nachhaltigkeitsrisiken zu identifizieren und zu entschärfen – das bringt Unternehmen Chancen und Wettbewerbsvorteile.
Von Gabriele Lüke, IHK-Magazin 07-08/2025
Wasserknappheit, sinkende Grundwasserpegel, Hochwasser, Überflutungen, Verschmutzung: Das Lebenselixier Wasser ist unter Druck. Erst Ende Mai 2025 forderte die EU-Umweltkommissarin Jessika Roswall: „Wir brauchen ein Problembewusstsein und eine neue Einstellung zu Wasser.“
Auch die Hirschvogel Group hat die zunehmende Bedeutung von Wasser erkannt. Allein im deutschen Stammwerk in Denklingen benötigt der Hersteller von Stahl- und Aluminiumkomponenten pro Jahr mehr als eine Million Kubikmeter Wasser, vieles davon wird zur energiesparenden Kühlung genutzt.
Risiken angehen, Vorreiter werden
„Wasser ist für uns ein wichtiges Betriebsmittel. An unseren deutschen Standorten gibt es noch genügend Wasser, obwohl auch hierzulande heiße Sommer und Dürren zunehmen“, erläutert Christian Hinsel, Vice President und Global Head of Sustainability Management bei Hirschvogel. An den Standorten Indien und Mexiko sehe das anders aus: „Wasserknappheit und Wassermanagement sind dort wachsende Herausforderungen. Wir haben das Wasser daher neu bewertet und auf die Liste wesentlicher Nachhaltigkeitsthemen gesetzt.“
Dabei ist Wasserknappheit nur eines von vielen Nachhaltigkeitsrisiken, über die Unternehmen sich klar werden müssen. „Die Aufgabe ist, zentrale Risiken zu erkennen und anzugehen, bevor sie tatsächlich eintreten“, betont IHK-Fachfrau Henrike Purtik. „Unternehmerische Weitsicht macht Risiken zu Chancen und das eigene Unternehmen zum Vorreiter.“
Physische und transitorische Risiken
Mit Blick auf den Klimawandel wird zwischen physischen und transitorischen Risiken unterschieden. Physische Risiken sind hier akute Ereignisse wie extreme Temperaturen, Waldbrände, Überschwemmungen oder Niedrigwasser in den Bundeswasserstraßen. Aber auch chronische Folgen des Klimawandels wie Rückgang der Artenvielfalt oder Rohstoffverknappung – darunter auch Wasser – zählen dazu.
Zu den transitorischen Risiken gehören zum Beispiel regulatorische Vorgaben wie neue Gebäudestandards, aber auch verändertes Verbraucherverhalten oder technologische Entwicklungen.
Auch Regularien sind Herausforderung
Neben dem Klimawandel gibt es zahlreiche weitere nachhaltigkeitsbezogene Risiken: So bedingen neue Vorschriften etwa zur Reparierbarkeit Investitionen in Forschung und Entwicklung. Menschenrechtliche Sorgfaltspflichten können Compliance- oder Reputationsrisiken erzeugen. Oder Verbraucher wünschen sich höhere Tierwohlstandards.
„Solche Entwicklungen können für unvorbereitete Unternehmen mittelfristig zum Kostenfaktor werden“, sagt Hendrik Leue, Director bei der Nachhaltigkeitsberatung fors.earth GmbH in München. „Dabei ist nicht jedes Unternehmen von allem gleichermaßen betroffen. Das Geschäftsmodell und die Standorte entscheiden, welche Risiken individuell wesentlich sind.“
Risiken finanziell bewerten …
Der Experte schlägt vor, im ersten Schritt eine sogenannte Wesentlichkeitsanalyse zu allen Feldern der Nachhaltigkeit durchzuführen. Diese kann sich an den europäischen Nachhaltigkeitsberichtsstandards (European Sustainability Reporting Standard, ESRS) orientieren.
„Wichtig ist, dass die individuellen Abhängigkeiten des Geschäftsmodells identifiziert werden und man sich traut, diese – ebenbürtig zu traditionellen Risiken – finanziell zu bewerten“, sagt Leue. „So wird erkennbar, welche Kosten entstehen, wenn ein Unternehmen Risiken nicht frühzeitig adressiert – etwa durch Produktionsausfälle oder Reputationsschäden.“
… und klug managen
Erst danach geht es an die mittel- bis langfristige Ableitung strategischer Maßnahmen, etwa das Erstellen von Investitionsplänen zum Klimaschutz oder eine Anpassung des Produktdesigns. „Dazu braucht es schon auch Kapazitäten, Zeit und Budget“, sagt Leue. „Vielfach sind in den Unternehmen jedoch bereits passende Organisationsstrukturen und vor allem Fachwissen vorhanden – es müssen nur die richtigen Fragen gestellt werden.“
Die positiven Folgen und Chancen einer solchen Herangehensweise: Innovative technologische oder organisatorische Lösungen oder neue Produkte entstehen, Kosten sinken, die Reputation wächst. Fachkräfte, Kunden und Partner wissen das zu schätzen. Die Kreditaufnahme, die inzwischen auch an die Nachhaltigkeitsperformance gebunden ist, wird einfacher. IHK-Expertin Purtik: „Unabhängig von der Regulierung gilt: Wer Risiken klug managt, gestaltet nicht nur Zukunft – er gewinnt sie.“
Werksinterne Kreislaufsysteme
Auch bei Hirschvogel rückte das Thema Wasser durch die doppelte Wesentlichkeitsanalyse ins Bewusstsein. „Wasser ist hierzulande ein kostengünstiges Gut, einfach immer da“, sagt Hinsel. „Die Wesentlichkeitsanalyse, die wir in Vorbereitung auf die künftige Nachhaltigkeitsberichterstattung nach der Corporate Sustainability Reporting Directive gemacht haben, hat aufgezeigt, dass dies nicht selbstverständlich ist.“
Hirschvogel arbeitet daher kontinuierlich an Lösungen, um das in den Prozessen genutzte Wasser zurückzugewinnen, es mehrfach neu einzusetzen und so zu sparen. „An einigen Standorten haben wir auch dieses Jahr wieder Maschinen umgerüstet und so weitere werksinterne Kreislaufsysteme aufgebaut“, erläutert Hinsel.
Material mit reduziertem CO2-Fußabdruck
Das Unternehmen ist in verschiedenen Nachhaltigkeitsbereichen aktiv: Bei den Rohstoffen Stahl und Aluminium bezieht es zunehmend Rohmaterial mit reduziertem CO2-Fußabdruck und erhöhtem Anteil an Sekundärmaterial. Die schrittweise Dekarbonisierung der eigenen Produktion unterstützt Hirschvogel durch zahlreiche Energieeffizienzmaßnahmen und Photovoltaik. Soziale Standards wie Gesundheit und Arbeitssicherheit werden durch Schulungen und praktische Angebote gefördert.
Standorte lernen voneinander
„Wir tauschen uns regelmäßig in digitalen Runden mit den Umwelt- und Arbeitsschutzmanagern aller Standorte aus, lernen voneinander, kommen so voran“, sagt Hirschvogel-Manager Hinsel. „Basierend auf unserem eigenen Nachhaltigkeitsanspruch und den Anforderungen von Gesetzen, Kunden und Stakeholdern, versuchen wir, die nachhaltigkeitsbezogenen Risiken, aber auch die Chancen und Auswirkungen laufend im Blick zu behalten und daraus wirksame Maßnahmen abzuleiten.“
Gewinnt an Bedeutung: politische Verantwortung
Antisemitismus und Rassismus, Gewalt, zunehmender Einfluss populistischer Kräfte, Fokussierung auf nationale Interessen – auch die politische Entwicklung eines Standorts kann für Unternehmen zu einem transitorischen Nachhaltigkeitsrisiko werden. „Die liberale Demokratie ist unter Druck geraten, sie scheint inzwischen weniger selbstverständlich. Zugleich ist sie aber ein wesentlicher Faktor für wirtschaftlichen Erfolg – auch des Standorts Deutschland“, beobachtet Lutz-Peter Hennies, strategischer Analyst bei der Beratung BOHNENPublic Affairs GmbH in Berlin. „Ausländische Partner oder Fachkräfte schauen schon genauer hin, bevor sie sich für Deutschland entscheiden.“
Engagement für Weltoffenheit
Corporate Political Responsibility (CPR) als Teil der Unternehmensverantwortung hilft, ein demokratiefreundliches Narrativ dagegenzusetzen – und die politischen Bedingungen für den Geschäftserfolg zu stärken. Dabei können Reaktionen öffentlich erfolgen, wie es einzelne Unternehmen, die DIHK und Wirtschaftsverbände bereits getan haben, als sie sich in Kampagnen zu Liberalität, Diversität und Weltoffenheit bekannten. „Es geht aber auch darum, nach innen zu agieren: Wenn rechtsextreme Parteien erstarken, antisemitische Vorurteile grassieren, spiegelt sich das auch im Unternehmen wider.“
Unternehmen als Lernzentrum
Hennies empfiehlt daher, in den Dialog mit der Belegschaft zu treten. „Ein Unternehmen ist ein Mikrokosmos, in dem sich politische Vielfalt und damit einhergehende Konflikte abbilden. Weil man sich dort täglich trifft und trotz Kontroversen zusammenarbeitet, kann es als wichtiges gesellschaftliches Lernzentrum dienen.“
Haltung zeigen
Besonders produktiv sei es, sich in Vorträgen und Diskussionen – auch mit Politikern und in Allianzen mit anderen Unternehmen – über den Zusammenhang von Demokratie, offener Debatte, sozialer Marktwirtschaft, Rechtsstaatlichkeit, Verfahrenssicherheit und Unternehmenserfolg auszutauschen. Auch IHK-Fachfrau Purtik sieht das so: „Gerade in unsicheren Zeiten sind Unternehmen gefordert, Haltung zu zeigen, Orientierung zu geben und zu einer nachhaltigen Zukunft beizutragen. Denn stabile Gesellschaften sind die Grundlage für wirtschaftlichen Erfolg.“
IHK-Info: 13. Bayerischer CSR-Tag „Zwischen Werten und Wirklichkeit“ am 17. September 2025
Was heißt verantwortungsvolles Wirtschaften im Jahr 2025? Um diese Frage dreht sich der kostenfreie 13. Bayerische CSR-Tag am 17. September 2025. Er wird veranstaltet vom Bayerischen Industrie- und Handelskammertag (BIHK) in Kooperation mit dem Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales.