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Bereit für Gefahrgut? Chemikalienlager in der Industrie

Welche Produkte sind Gefahrgut und welche nicht? Auch für Experten ist es nicht einfach, die sehr detaillierten Vorschriften zu überblicken. 2023 sind erneut Änderungen in Kraft getreten.

Von Stefan Bottler, IHK-Magazin 03/2023

Wenn Gefahrgutunfälle passieren, haben Rettungskräfte alle Hände voll zu tun. Als im Herbst 2022 ein Lkw frühmorgens auf der A8 nach einem Unfall rund 1.000 Liter Bitumen verlor, mussten nicht weniger als vier Feuerwehren und zwei THW-Einheiten aus dem Münchner Umland ausrücken. Die Helfer konnten nur mit Schutzanzügen und Atemschutzmasken die Schäden beseitigen. Ihre Aufräumarbeiten für das Kohlenwasserstoff-Gemisch, das unter freiem Himmel schnell zähflüssig wird, dauerten bis in den Nachmittag hinein.

Bitumen zeichnet sich durch tückische Eigenschaften aus. Der aus Erdöl gewonnene Stoff kann nur flüssig ab 170 Grad Celsius transportiert werden. Weil bei Hautkontakt schwere Verbrennungen drohen, wird Bitumen als Gefahrgut der Klasse 9 mit der UN-Nummer 3257 klassifiziert.

„Jeden Logistiker sollte das Stichwort Gefahrgut hellhörig machen“, sagt IHK-Fachberater Andreas Schmidt. Mehrere Tausend Produkte und Stoffe erfüllen die rechtlichen Voraussetzungen für diesen Begriff: Wegen ihrer problematischen Eigenschaften gehören sie einer der neun Gefahrgutklassen an und tragen eine UN-Nummer.

Besondere Sicherheitsmaßnahmen bei Lagerung und Transport

Alle klassifizierten Artikel sind leicht entzündbar beziehungsweise enthalten giftige, explosive, ätzende, krank machende oder radioaktive Stoffe. Sie dürfen deshalb nur mit besonderen Sicherheitsmaßnahmen gelagert und transportiert werden. Fahrer, die Gefahrgut ausliefern, müssen eine zweieinhalbtägige Weiterbildung (ADR-Schulung) absolvieren und eine Prüfung vor der IHK ablegen.

Die Regelungen für Gefahrgut basieren auf folgender Systematik: Jede UN-Nummer besteht aus vier Ziffern und wird inklusive einer zweistelligen Gefahrenkennnummer auf einer orangefarbenen Warntafel kommuniziert. Die Grundlagen für dieses Zahlenwerk legten die Vereinten Nationen (UN) in den „UN Recommendations on the Transport of Dangerous Goods“. Auf den UN-Empfehlungen fußen auch die europäischen Regelwerke ADR für Straßengütertransporte und RID für Eisenbahntransporte. Sie werden von jedem Staat in nationale Vorschriften umgesetzt. In Deutschland ist hierfür die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) in Berlin verantwortlich.

Geprüfte und amtlich zugelassene Container

Solche Vorschriften müssen auch Unternehmen beachten, die vermeintlich harmlose Alltagsprodukte wie Spraydosen, Parfümerieartikel und Reiniger vertreiben. „Jeder Versender, der auch nur einen Gefahrgutartikel aufgibt, sollte ADR und andere Vorschriften kennen“, sagt IHK-Experte Schmidt. „Wer solche Produkte nicht kennzeichnet und sichert, muss Bußgelder fürchten.“ Bei Verstößen zahlen Fahrer oft dreistellige Summen. Verlader werden schon mal mit vierstelligen Bußgeldern zur Kasse gebeten. Regelmäßig erwischt die Polizei bei Verkehrskontrollen Lkw-Züge mit Gefahrgutladungen, die unzureichend verpackt und gesichert sind.

„Wer auf der sicheren Seite sein will, verschickt Gefahrgut in geprüften und amtlich zugelassenen Containern und Verpackungen“, sagt Schmidt. Oder er überlässt Verpackung inklusive Dokumentation spezialisierten Dienstleistern, die für größere Ladungen maßgeschneiderte Lösungen entwickeln. Ansonsten können schon banale Alltagsprobleme für Ärger sorgen: Viele Gefahrgutetiketten sind nicht gut sichtbar oder lösen sich, weil sie auf verstaubtem oder verschmutztem Untergrund angebracht werden.

Vorschriften wegen UN-Empfehlungen 2023 erneut angepasst

Die Vorgaben für den Gefahrguttransport werden alle zwei Jahre überarbeitet. Anfang 2023 hat die BAM die Vorschriften auf Basis von neuen UN-Empfehlungen wieder angepasst und zusätzliche formuliert. So dürfen in Zukunft auch nicht deutsche Sachverständige Tanks, Gasflaschen und andere Druckgefäße prüfen und zulassen, was bisher nicht möglich war.

Zudem werden zwei bislang schwer unterscheidbare UN-Nummern für flüssige aromatische Extrakte beziehungsweise Geschmackstoffe in einer Nummer (UN 1197) zusammengefasst. Für die betroffenen Lebensmittel- und Arzneimittelhersteller bedeutet dies einen erheblichen Arbeitsaufwand. „Jedes Sicherheitsdatenblatt und jedes Warnetikett muss geändert werden“, sagt Jürgen Werny, Inhaber eines Münchner Ingenieurbüros für Gefahrguttransport und Arbeitssicherheit. Das kann Wochen oder gar Monate dauern.

Beim Dauerbrenner Lithiumbatterien gibt es ebenfalls Neues. Seit über zwei Jahren müssen Unternehmen, die Lithiumbatterien herstellen oder vertreiben, Dokumente über die komplette Lieferkette führen. Batterien mit einer Energieleistung von mehr als 100 Wattstunden gelten den internationalen Rechtsvorschriften zufolge grundsätzlich als Gefahrgut der Klasse 9. Denn Lithiumbatterien sind leicht entzündbar und können giftige Stoffe absondern.

Regel für gefahrguthaltige Abfälle vereinfacht

Künftig müssen Versender nun nicht mehr wie bisher ihre Telefonnummer für Gefahrenmeldungen und Zusatzinformationen angeben. „Die Unternehmen haben bislang kaum Anrufe registriert“, fasst Werny die bisherigen Erfahrungen zusammen. Vereinfacht wird auch die Regel für gefahrguthaltige Abfälle. Versender müssen in Zukunft nur Schätzmengen in die Beförderungspapiere eintragen, was vermutlich ohnehin längst gängige Praxis ist.

Die meisten Überarbeitungen machen ADR, RID und weitere Gefahrgutvorschriften jedoch noch detailhaltiger und unübersichtlicher. Und immer fallen zusätzliche Daten an. Digitale Lösungen könnten die Logistik einfacher und transparenter machen. „Der Weg zu elektronischen Papieren wird jedoch lang sein“, dämpft Werny entsprechende Erwartungen. Bislang gibt es nur Pilotversuche. Wenn jedoch mit digitalen Lösungen Informationen über Gefahrguttransporte in zentralen Datenbanken hinterlegt werden können, dürfte Polizei, Feuerwehr und weiteren Rettungskräften die Bekämpfung von Unfällen leichter fallen.

Vorerst jedoch findet Digitalisierung nur im Kleinen statt. So hat Werny ADR-basierte Datenbanken aufgebaut, die Kunden die Anfertigung von Beförderungspapieren erleichtern.

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