Standortpolitik

Sustainable Finance: Hebel für Nachhaltigkeit

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Sustainable Finance – Kapital für soziale und ökologische Zwecke

Eva Müller-Tauber, Ausgabe 02/2020

Die EU will die Kapitalmärkte in den Kampf gegen den Klimawandel und für Nachhaltigkeit einbeziehen. Ein Überblick über die Pläne der Politik und die Folgen für Unternehmen.

Was versteht man unter dem Begriff Sustainable Finance?

Sustainable Finance oder nachhaltiges Finanzwesen bedeutet, dass Finanzmarktakteure sowohl Umwelt-, Sozial- sowie Unternehmensführungsaspekte (ESG – Environment Social Governance) in ihren Entscheidungen berücksichtigen, etwa bei der Vergabe von Krediten, bei Anlagen oder Versicherungsverträgen. Finanzströme sollen gezielt in nachhaltige Projekte gelenkt sowie Wirtschafts- und Finanztätigkeiten langfristig ausgerichtet werden. Es gibt eine Reihe von Initiativen, mit denen der europäische Finanzsektor dazu angehalten werden soll, den ökologischen und sozialen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft zu finanzieren.

Welches Ziel wird verfolgt?

Ziel ist es, mehr Kapital für ökologische und soziale Zwecke sowie für verantwortungsvoll geführte Firmen zu mobilisieren. Die Finanzindustrie soll der Hebel hin zu einem nachhaltigen Wirtschaftssystem sein.

Warum steht das Thema jetzt auf der Agenda?

Die Weltgemeinschaft verfolgt ambitionierte Nachhaltigkeits- und Klimaschutzziele. So haben sich die Vereinten Nationen auf der Weltklimakonferenz 2015 in Paris darauf geeinigt, die globale Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. In der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung hat die UNO zudem 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, siehe a. S. 26) formuliert. Diese berücksichtigen erstmals alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit – Soziales, Umwelt, Wirtschaft – gleichermaßen. Das alles will finanziert werden. Um diese Ziele zu erreichen, sollen auch die Kapitalmärkte in den Kampf für Nachhaltigkeit einbezogen werden.

Wer ist betroffen?

Sustainable Finance zielt vornehmlich auf die Kapitalmärkte ab. Betroffen sind am Ende jedoch alle Unternehmen, die die Nachhaltigkeit ihrer Wirtschaftstätigkeit nachweisen müssen. So wird derzeit diskutiert, dass Banken beispielsweise bei Grafik: Alona/Adobe Stock Sustainable Finance – Kapital für soziale und ökologische Zwecke 32 einer Kreditanfrage die Nachhaltigkeit der Wirtschaftsaktivitäten des betreffenden Unternehmens prüfen sollen. Bei Versicherungsanfragen ist Ähnliches denkbar

Was plant die Europäische Union (EU)?

Im Frühjahr 2018 hat die EU-Kommission eine Reihe von Initiativen für Sustainable Finance vorgelegt, unter anderem einen EU-Aktionsplan für eine nachhaltige Finanzwirtschaft. Ein wichtiger Bestandteil der Kommissionspläne ist, dass Finanzinstitute bei ihren Anlageentscheidungen und in der Beratung verstärkt ESG-Kriterien einbeziehen. Parallel dazu diskutiert das EU-Parlament, ob Banken im Risikomanagement und bei der Vergabe von Unternehmenskrediten sogenannte Nachhaltigkeitsrisiken beachten sollen.

Welche vorrangigen Ziele beinhaltet der EU-Aktionsplan?

Durch die Integration der Faktoren Umwelt, Soziales und Unternehmensführung in den Investitionsprozess soll vermehrt privates Kapital in Investitionen gelenkt werden, die dem Klima- und Umweltschutz dienen. Indem Risiken aus dem Klimawandel, der Umweltzerstörung und soziale Fragen berücksichtigt werden, soll das Finanzwesen insgesamt stabiler werden. Zusätzliche Offenlegungs-, Berichtsund Governance-Anforderungen sollen dazu beitragen, dass der Finanzmarkt transparenter wird.

Was hat es mit der sogenannten Taxonomie auf sich?

Der Kern des EU-Aktionsplans Sustainable Finance ist eine gemeinsame Klassifizierung (Taxonomie) ökologisch nachhaltiger Wirtschaftstätigkeiten. Derzeit arbeitet eine dafür von der EU-Kommission eingesetzte Expertengruppe (Technical Expert Group, TEG) daran, wie die Taxonomie aussehen wird. Aus dieser sollen Normen und Kennzeichnungen für nachhaltige Finanzprodukte abgeleitet werden, zum Beispiel ein Label für grüne Anleihen. So soll die Klassifizierung den Anlegern helfen, nachhaltige Finanzprodukte zu erkennen. Gleichzeitig soll sie vermeiden, dass nicht nachhaltige Investitionen als nachhaltig ausgegeben werden (»Greenwashing«). Derzeit wird diskutiert, die Taxonomie auf alle Finanzprodukte (also Bank- und Versicherungsprodukte) sowie alle Finanzteilnehmer (also neben Banken und Versicherungen auch Unternehmen) auszuweiten.

Wie wird eine nachhaltige Wirtschaftstätigkeit definiert?

In einem ersten Schritt sollen mit der Taxonomie bestimmte Kriterien für ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten festgelegt werden. Dazu zählen zum Beispiel Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Abfallvermeidung und Recycling, Vermeidung und Verminderung von Umweltverschmutzung sowie der Schutz gesunder Ökosysteme. Eine Wirtschaftstätigkeit gilt als ökologisch nachhaltig, wenn sie zumindest zu einem dieser Umweltziele »wesentlich« beiträgt und gleichzeitig kein anderes Ziel in erheblichem Maße verletzt. Konkrete Details und Kriterien, anhand derer bestimmt werden kann, ob eine Wirtschaftstätigkeit als »nachhaltig« eingestuft wird, erarbeitet die TEG. Erst danach sollen soziale und ökonomische Kriterien in die Taxonomie aufgenommen werden. Eine Orientierung an den ESG-Prinzipien der UNO ist mittelfristig geplant. Für mehr Rechtssicherheit soll die EU-Taxonomie schrittweise in die EU-Rechtsvorschriften integriert werden.

Was plant die Bundesregierung?

Als Ziel hat Berlin festgelegt: »Deutschland soll zum führenden Standort für nachhaltige Finanzen werden.« Dafür setzte die Bundesregierung im Juni 2019 einen Beirat für Sustainable Finance ein, der sie bei der Ausarbeitung und Umsetzung ihrer Sustainable-FinanceStrategie beraten, bestehende Expertise bündeln und den Dialog zwischen den relevanten Akteuren fördern soll.

Wo liegen die Risiken?

Es ist ein massiver Bürokratieaufbau zu erwarten, falls kleine und mittlere Unternehmen künftig die diskutierten Nachhaltigkeitsnachweise erbringen müssen. »Zudem ist zu befürchten, dass sich durch neue Sustainable-Finance-Anforderungen Kredite und Versicherungen für Unternehmen der Realwirtschaft verteuern oder verknappen könnten, was mit Blick auf die lahmende Konjunktur fatal wäre«, so Nicole Kleber, Finanzexpertin bei der IHK für München und Oberbayern. Ebenfalls problematisch: die fehlende Verfügbarkeit von geeigneten Daten. Peter Kammerer, stellvertretender IHK-Hauptgeschäftsführer, fordert, dass die Bankenregulierung allein dem Ziel der Finanzmarktstabilität dienen sollte und die Kreditversorgung nicht gefährdet werden dürfe. »Planwirtschaftliche Vorgaben und Eingriffe stehen im Widerspruch zur Marktwirtschaft. Ein funktionierender Markt fördert am besten den Wettbewerb und Innovationen, um die Wirtschaft nachhaltiger zu machen.«

Ab 2022 sollen die neuen Regelungen greifen. Was heißt das konkret?

»Wie die Vorgaben genau ausgestaltet werden, ist derzeit unklar, darüber wird auf Bundes- und Europaebene noch verhandelt«, so Kleber. »Wir raten Unternehmern aber dringend, das Thema Sustainable Finance kontinuierlich im Blick zu behalten und sich auch in die Diskussion einzubringen.«

Die IHK informiert auf ihrer Website regelmäßig über den aktuellen Stand zu Sustainable Finance und liefert Nutzwert dazu:

https://www.ihk-muenchen.de/de/Wirtschaftsstandort/CSR/Themen/Sustainable-Finance/

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