Der Bewahrer

Valentin-Karstadt-Musäum ©
Kein geborener Unternehmer – Valentins Panoptikum musste bald wieder schließen

Cornelia Knust, Ausgabe 02/2020

Der »Münchner Original Komiker« Karl Valentin war ein engagierter Chronist seiner Stadt. Er wollte zeigen, wie alles »geworden« ist.

Der »Architekt Sachlich«, ein Lichtbildvortrag plus Couplet, war gleich für zwei Spielzeiten verwendbar. Karl Valentin zeigte ihn das erste Mal im Jahr 1938, als die Nationalsozialisten sich anschickten, München monströs umzubauen (da wurde der Film natürlich gleich verboten). Neun Jahre später, 1947, passte die Neuauflage des Vortrags zum Wiederaufbau der zerbombten Stadt. Selbst die Frauenkirche und der Wittelsbacher Brunnen wurden dort in Skizzen als gesichtslose Rechteck-Architektur präsentiert. Wie dieses München aussieht, wie es sich verändert – ob durch Krieg und Zerstörung oder durch Zuzug, Wirtschaftswachstum und Bautätigkeit –, das hat den »Volkssänger« Valentin (1882– 1948) offenbar sehr stark interessiert. Er war nicht nur Künstler und Spaßvogel, sondern »einer der wichtigsten Chronisten Münchens«. Das meint Andreas Koll, Archivar beim Valentin-Karlstadt-Musäum im Münchner Isartor. »Gemeiner Privat-Historiker der kgl. Haupt- und Residenzstadt München« hat Valentin sich selbst genannt. 1927 wurde Valentin ordentliches Mitglied im Historischen Verein von Oberbayern. »Heute ist die gute alte Zeit von morgen« ist so ein typischer trockener Valentin-Spruch. Dennoch war der Mann Nostalgiker, den das Tempo der Veränderung erzürnte. Der Zuzug nach München war rasant, Mieten und Preise stiegen, die Stadt explodierte geradezu. In die Gründerzeit hineingeboren, in die elterliche Möbelspedition in der beschaulichen Vorstadt Au, lebte Valentin schon vor dem Ersten Weltkrieg in einer Großstadt mit fast 600000 Einwohnern. Um das alte München dennoch festzuhalten, die Architektur, das Leben der kleinen Leute, die Varietés, die originellen Persönlichkeiten, wurde Valentin zum Sammler. »A oids Buildl vo München is mehra wert ois a Brillant«, wird er zitiert. Postkarten mit Stadtansichten, Briefmarken, Fotos von Volkssängern, stereoskopische Münchenbilder, Erotik- und Kitschpostkarten – Valentin jagte förmlich danach. Er soll sogar vorgeschlagen haben, an jedem Neubau ein Foto des abgerissenen Vorgängerbaus anzubringen.

Von Millionenbauern und Hochstaplern

Wohl aus Geldnot trennte Valentin sich später von seinen Schätzen. So kaufte die Stadt München 1939 einen Teil seiner Sammlung – über 2000 Fotos und Postkarten. Aus den darunter befindlichen »Bildern berühmter Persönlichkeiten« stellte das Stadtarchiv 2019 ein Buch zusammen: »Münchner Originale« (Allitera-Verlag). Die fast beiläufige Absonderlichkeit all dieser Schausteller, Handwerker, Wirtsleute, Unternehmer und Athleten – viele davon keine gebürtigen Münchner – lässt einen staunen. Foto: Valentin-Karlstadt-Musäum Der »Münchner Original Komiker« Karl Valentin war ein engagierter Chronist seiner Stadt. Er wollte zeigen, wie alles »geworden« ist. CORNELIA KNUST Kein geborener Unternehmer – Valentins Panoptikum musste bald wieder schließen 60 Auch weil der Journalist Karl Stankiewitz für das Buch die Geschichten dazu ausgegraben hat. So viel Spaß wie mit dem »Millionenbauer«, dem »Gesichtsakrobaten« oder der »Hochstaplerin Adele« hat das Lernen über Stadtgeschichte selten gemacht. Schon Valentin selbst war mit seinen Fotos als Pädagoge unterwegs, sagt Michael Stephan, Direktor des Stadtarchivs: »Immer wieder versuchte er mit Lichtbildvorträgen und kleinen Ausstellungen, bei der Münchner Bevölkerung ein Bewusstsein für die Welt von gestern zu schaffen.« Dabei sei es ihm nicht darum gegangen, dass früher alles besser war, sagt Valentin-Kenner Koll vom »Musäum«: »Er wollte einfach zeigen, wie alles ›geworden‹ ist.« In seinem Werk wollte er wohl auch darstellen, dass es die kleinen Leute sind, die etwa die Konsequenzen des Baubooms und des ungehemmten Wachstums in ihrer ganzen sozialen Härte tragen müssen. In berühmten Kurzfilmen wie »Der Umzug« oder »Die Erbschaft« sind Karl Valentin und seine Partnerin Liesl Karlstadt klare Fortschrittsverlierer. Dabei war Valentin, ein gelernter Schreiner, jeder technischen Neuerung gegenüber aufgeschlossen und kam selbst aus einem Unternehmerhaushalt. Nach dem plötzlichen Tod des Vaters musste Valentin mit 20 Jahren ein festes Engagement in Nürnberg beenden, um die Möbelspedition in München zu übernehmen. Sie ging dann bald Konkurs. Auch Valentins spätere unternehmerische Versuche endeten unglücklich (ein Theater, ein Panoptikum und – nach Kriegsbeginn – ein Keller-Kabarett). Ende der 1920er-Jahre noch ein wohlhabender Mann, starb er arm und einsam am Rosenmontag des Jahres 1948 in Planegg und wurde am Aschermittwoch begraben. Vertreter der Stadt München, die er so sehr geliebt hatte, sollen nicht zugegen gewesen sein. Auch für den Ankauf seines Nachlasses war kein Geld vorhanden. Liesl Karlstadt blieb in Treue fest. Sie hatte schon 1941, als Valentin dabei war, vergessen zu werden, eine Beschreibung über ihren Partner und seine Stadt veröffentlicht: »Das ehemalige München mit seinen lustigen kleinen Winkeln und Gässchen ist fast verschwunden; an unseren großen Straßen und Plätzen gehen die Menschen fremd vorüber und ein Finessen-Sepperl, der an jeder Ecke stehen bleibt und erzählen will, wäre heute ein Verkehrshindernis«, so Karlstadt. »In unserer ernsten Lebensperiode« sei sie doppelt dankbar für die letzten waschechten Münchner mit Humor und besonderer Originalität, darunter der »Münchner Original Komiker« Karl Valentin.

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