Standortpolitik

Gemeinsam voran

Wolf Heider-Sawall ©
Engagiert im Netzwerk – Sina Fingerhut, Geschäftsführerin des Kapuzinerhofs

Gabriele Lüke, Ausgabe 02/2020

Im Berchtesgadener Land will das neue Netzwerk »Verantwortungsvoll Wirtschaften« die Unternehmen der Region zusammenbringen, damit sie ihre Konzepte zur Nachhaltigkeit gemeinsam weiterentwickeln.

Es mag die besondere Atmosphäre des Klostergartens gewesen sein, die mich meinen nachhaltigen Weg hat beschreiten lassen«, sagt Sina Fingerhut (59), Geschäftsführerin des Hotel- und Gastronomiebetriebs Kapuzinerhof in Laufen. Dorthin hatte sie sich, als sie die ehemalige Klosteranlage vor zwölf Jahren übernahm, immer wieder zurückgezogen, um ihren Businessplan zu schreiben. Die Kapuzinermönche, die ursprünglichen Nutzer, lebten weitestgehend autark. »In ihrem Garten waren fast alle Nahrungsmittel vorhanden, die sie übers Jahr zum Leben brauchten. Dieses Prinzip hat mich so fasziniert, dass ich es für mein Geschäft adaptierte«, sagt die Unternehmerin. So finden sich ausschließlich saisonale und regionale Zutaten auf der Speisekarte des Kapuzinerhofs: Kartoffeln kommen auf den Tisch, denn die gibt es in der Region, importiertes Superfood wie Quinoa nicht. Spargel im Winter? Undenkbar. Stattdessen serviert sie Wintergemüse Gemeinsam voran Engagiert im Netzwerk – Sina Fingerhut, Geschäftsführerin des Kapuzinerhofs wie Grünkohl oder Wirsing. Sie entdeckt alte Sorten wie Felsenbirne, Maulbeeren oder Sanddorn neu und verarbeitet sie zu Sorbet oder Eis. »Durch dieses Konzept vermeide ich auch lange Lieferwege oder gar -flüge«, sagt Fingerhut. Zugleich überträgt sie ihre Nachhaltigkeitsansprüche auf immer mehr Bereiche ihres Unternehmens. Sie beschäftigt Geflüchtete und bildet sie zum Hotelfachmann oder Koch aus. Mit individuellen Schichten oder freien Tagen auf Wunsch ermöglicht sie Mitarbeitern eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf: »Vor allem will ich als Chefin immer ein offenes Ohr für meine Beschäftigten haben. Nur so kann ich sie auch motivieren, selbst Verantwortung für Nachhaltigkeit zu übernehmen.« Mit ihrer Geschäftsphilosophie passt Fingerhut gut in das neue branchenübergreifende Unternehmensnetzwerk »Verantwortungsvoll Wirtschaften«, das die Berchtesgadener Land Wirtschaftsservice GmbH im Herbst 2018 initiierte. Nach einjähriger Pilotphase mit ausgewählten Unternehmen ist das Netzwerk ab jetzt offen für alle interessierten Betriebe der Region.

Verantwortung übernehmen

Bereits vor rund zehn Jahren erklärte die UNESCO das Berchtesgadener Land zur Biosphärenregion. Die Kulturorganisation der Vereinten Nationen versteht diese Reservate als Modellregionen für ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit. Das war auch der Anknüpfungspunkt für das neue Netzwerk. »Die meisten Biosphärenregionen stellen die ökologische Nachhaltigkeit, den Naturschutz, in den Mittelpunkt. Bei uns liegt der Fokus hingegen stärker auf der Wirtschaft«, sagt Wirtschaftsservice-Geschäftsführer Thomas Birner (52). »Wir ermutigen schon lange zu nachhaltigem Wirtschaften, viele der hiesigen Unternehmen arbeiten daran. In unserem Netzwerk, das von der Verwaltungsstelle der Berchtesgadener Biosphärenregion als Partner begleitet wird, führen wir die Unternehmen nun zusammen, tauschen uns aus, vertiefen die Ansätze und bringen damit auch die Region weiter voran.« Beim Netzwerknamen habe man sich für den Begriff »verantwortungsvoll« entschieden, weil er noch über »nachhaltig« hinausgehe. Er bringe am besten zum Ausdruck, »um was es uns geht: nämlich die Haltung eines Ehrbaren Kaufmanns, der auch über sein Unternehmen hinaus Verantwortung für Mensch, Natur und Region übernimmt«. In der Pilotphase wurden zusammen mit 14 Betrieben 27 Anforderungen zu den drei Themenfeldern Mensch, Natur und Umwelt sowie Region und Wirtschaft entwickelt. Sie orientieren sich am Deutschen Nachhaltigkeitskodex und den 17 UN-Nachhaltigkeitszielen. Konkret geht es beispielsweise um faire, gesunde Arbeitsbedingungen, um Energieeffizienz, Klima- und Umweltschutz oder um regionales Engagement. Die Teilnehmer setzen sich auf Basis des Anforderungskatalogs messbare Ziele. Dann wird das Unternehmen gegen einen finanziellen Beitrag aufgenommen und damit zum Botschafter für Idee und Netzwerk. Nach drei Jahren bewerten das Netzwerkmanagement und die Unternehmen selbst die Umsetzung der Ziele und entscheiden über den Verbleib im Netzwerk. »Ich habe in der Pilotphase erst verstanden, was ich tatsächlich schon alles tue – aber auch, was darüber hinaus noch sein muss«, fasst Unternehmerin Fingerhut ihre Erfahrungen zusammen. Deshalb diskutiert sie derzeit auch mit der Berufsschule: »Sie ist doch der perfekte Hebel. Wenn wir Azubi-Köchen und angehenden Hotelfachleuten gleich die regionale und saisonale Küche nahebringen, leisten wir – und später sie – einen großen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit.« Auch die Kiefel GmbH in Freilassing, die Maschinen und Werkzeuge für die Kunststoffverarbeitung herstellt, räumt Nachhaltigkeit einen hohen Stellenwert ein. »Bevor wir maßgeschneiderte Maschinenkonzepte entwickeln, beraten wir unsere Kunden, wie durch Design, Funktionalität und Materialwahl das herzustellende Produkt noch nachhaltiger gestaltet werden kann«, erklärt Marketingleiterin Cornelia Frank. »Wir forschen zu umweltfreundlicheren Materialien und wie sich Kunststoffe, auch biobasiert oder kompostierbar, besser in den Wertstoffkreislauf zurückführen lassen.« Für Beratung und Umsetzung bildet das Unternehmen seine Mitarbeiter kontinuierlich aus und schult sie weiter. »Es war uns sehr wichtig, unsere Beschäftigten auf diesem Weg mitzunehmen – heute sind sie begeisterte Botschafter der Nachhaltigkeit«, freut sich Frank. Kiefel denkt über Kerngeschäft und Region hinaus. Das Unternehmen unterstützt die ASASE Foundation, die Ghanas Hauptstadt Accra von Plastikmüll befreien will, und die Umweltorganisation One Earth – One Ocean, die sich dem Gewässer- und Küstenschutz widmet. So empfahl Kiefel sich als Pilotbetrieb für das neue Netzwerk und engagiert sich nun weiter. Frank: »Wir bringen uns ein, um gemeinsam zu lernen und so besser voranzukommen, aber auch weil wir trotz unserer globalen Ausrichtung im Berchtesgadener Land verwurzelt sind und so für die Region Verantwortung übernehmen können.«

»Wir ermutigen schon lange zu nachhaltigem Wirtschaften.« Wirtschaftsservice-Geschäftsführer Thomas Birner

 

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