Klimaschutz

Im Kreislauf

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Recycling – besser verwerten statt wegwerfen

Die Europäische Union will die Wirtschaft nachhaltiger machen. Der Aktionsplan Kreislaufwirtschaft im Rahmen des Green Deal soll dazu einen zentralen Beitrag leisten und Ressourcen schonen.

GABRIELE LÜKE, Ausgabe 03/2022

Der Rohstoffhunger ist nicht zu stillen: In nur knapp 50 Jahren, von 1970 bis 2017, hat sich der jährliche Ressourcenverbrauch weltweit von 27 auf 92 Milliarden Tonnen mehr als verdreifacht. Das hat nicht nur Folgen für die Umwelt, sondern auch für die Wirtschaft: Bereits jetzt klagen einige Branchen über Rohstoffknappheit. Zugleich wachsen die Abfallmengen. Es ist daher nur folgerichtig, dass die EU die Wirtschaft in eine Kreislaufwirtschaft reformieren will. Bis 2050 soll das Ziel erreicht sein.

»Kreislaufwirtschaft als Nachhaltigkeit im besten Sinne«

Das Kreislaufwirtschaftsmodell hält Ressourcen durch Reparatur, Wieder- und Weiterverwendung, Recycling, Pfand- oder Verleihsysteme so lange wie möglich im Umlauf, spart dadurch Rohstoffe und CO2 und reduziert das Abfallaufkommen. »Kreislaufwirtschaft ist bei allen Herausforderungen, die sie in der Übergangsphase stellt, Nachhaltigkeit im besten Sinne«, betont IHK-Umweltexpertin Sabrina Schröpfer. »Sie verringert den Druck auf die Ressourcen, auf Umwelt und Klima, zugleich mindert sie die Rohstoffrisiken für die Wirtschaft, senkt Kosten und eröffnet zudem neue Geschäftsmöglichkeiten.«

Aktionsplan Kreislaufwirtschaft

Um ihre Idee umzusetzen, erstellte die EU-Kommission im Rahmen des Green Deal im März 2020 den Aktionsplan Kreislaufwirtschaft. Er enthält ein Recht auf Reparatur und eine Modernisierung des Abfallrechts sowie spezielle Regelungen für die sieben Sektoren Elektronik/Informations- und Kommunikationstechnologie, Bauwirtschaft/Gebäude, Textilien, Kunststoffe, Lebensmittel, Verpackungen sowie Batterien/Fahrzeuge.

Im vergangenen Jahr wurde in der Novelle der EU-Öko-Design-Richtlinie bereits eine bessere Reparierbarkeit vorgeschrieben. Auch die neuen Plastiktüten- und Einweggeschirrverbote gehen auf den Aktionsplan zurück.

12 Prozent der Rohstoffe wiederverwertet

Aktuell fließen in Deutschland zwölf Prozent der Rohstoffe, die ein Mensch pro Jahr verbraucht, in den Wirtschaftskreislauf zurück, wie der Naturschutzbund Deutschland (NABU) errechnet hat. Zwar gibt es hierzulande eine Abfallwirtschaft, die als technologisch hoch entwickelt gilt. Auch setzen manche Branchen wie etwa die Metallindustrie schon immer Altstoffe ein. Zumeist dominiert aber die lineare Wertschöpfung, die Ressourcen gewinnt, nutzt und nach Gebrauch wegwirft.

»Seit ein paar Jahren ändert sich in der Wirtschaft jedoch die Wahrnehmung. Unternehmen aller Größen sehen die Chancen und suchen nach Kreislaufmöglichkeiten. Auch, um so angesichts der wachsenden Rohstoffknappheit ihr Wachstum zu sichern«, beobachtet Magnus Fröhling, Professor für Circular Economy an der Technischen Universität München (TUM).

Grundsätzlich neue Herangehensweise

Dabei ist die betriebliche Einführung von Kreisläufen nicht trivial. »Es geht um eine grundsätzlich neue Herangehensweise und neben der physischen Kreislaufschließung auch um neue oder geänderte Geschäftsmodelle«, so Fröhling. Unternehmen müssten ganzheitlich denken, an vielen Schrauben auf vielen verschiedenen Ebenen drehen: in Bezug auf Design, Materialien und Technologie, organisatorisch etwa bei Beschaffung oder Vertrieb, aber auch hinsichtlich erweiterter Angebote für Upgrade, Reparatur oder Services.

Kreislaufwirtschaft von Anfang an mitdenken

Zusätzlich müssten auch die Kompetenzen der Beschäftigten entsprechend entwickelt werden. »Am wirkungsvollsten ist es, Kreislaufwirtschaft gleich bei der Entwicklung des Produkts mitzudenken«, erläutert Fröhling.

Zudem sind außerhalb der Betriebe flankierende Maßnahmen notwendig. Der Experte wünscht sich unter anderem einen Ausbau der Sammel- und Verwertungsinfrastrukturen, damit die Recyclingquoten steigen. »Auch sollten Netzwerke, Informationsaustausch und Märkte gefördert werden, etwa über Plattformen, um Angebot und Nachfrage der Sekundärrohstoffe besser zu synchronisieren.«

Vielzahl von Akteuren nötig

Es braucht also eine Vielzahl von Akteuren, damit flächendeckend eine Kreislaufwirtschaft entstehen kann. »Es müssen Politik, öffentliche Hand, Wissenschaft, der Finanzsektor und die Unternehmen Hand in Hand arbeiten, insbesondere muss der deutsche Mittelstand mit seinen Familienunternehmen eine gestaltende Rolle einnehmen«, betont Christian Mohr (39), Geschäftsführer des Innovations- und Gründungszentrums Unternehmer-TUM GmbH. »Zudem sind die Kunden, die Verbraucher gefordert: Auch sie müssen ihre Haltung verändern, müssen sammeln oder reparieren lassen wollen.«

Frischer Blick der Start-ups

Mohr bringt außerdem einen weiteren Akteur ins Spiel: »Um Kreisläufe zu schließen, braucht es einen frischen Blick. Den bringen Start-ups mit: Sie agieren noch losgelöst von Marktzwängen, sind offener in ihrer Herangehensweise, können zum Katalysator werden.«

Optimierung auf vier Ebenen

In der Regel optimieren Start-ups Kreislaufansätze auf vier Ebenen, fanden Mohr und sein Team in einer Untersuchung von 50 nachhaltigen Start-ups heraus: Sie setzen nachhaltige Rohstoffe ein, verbessern die Produktnutzung, maximieren die Lebensdauer von Produkten oder gewinnen Ressourcen zurück. Daraus ergeben sich dann beispielsweise neue Materialien wie veganes Leder, Sharing- oder Verleihplattformen, Pfandsysteme für ehemalige Einwegprodukte und smarte Mülltonnen, die Abfälle besser trennen.

Mohr empfiehlt etablierten Unternehmen, mit Start-ups gemeinsam nach Kreislauflösungen zu suchen. Sein Wunsch an die Europäische Union: »Gerade jetzt am Anfang sind pragmatische Vorgaben wichtig.

Die EU soll bei aller Notwendigkeit von Regeln und Dokumentation möglichst keinen überbordenden Bürokratieapparat aufbauen, sondern besser finanzielle Anreize setzen.«

Wie der Einstieg in die Kreislaufwirtschaft in der Praxis konkret gelingen kann, zeigen zwei Unternehmensbeispiele aus sehr unterschiedlichen Branchen:

Ortovox Sportartikel GmbH

Vorteile genau abwägen

Der Outdoorspezialist Ortovox in Taufkirchen begann vor rund fünf Jahren, Kreisläufe zu etablieren. Er geht dabei auf mehreren Ebenen vor. Abfälle reduziert das Unternehmen, indem es beispielsweise Verschnitt aus der T-Shirt-Produktion als Füllmaterial für Handschuhe nutzt, Wollreste noch zu Mützen verarbeitet oder Verpackungsmaterial sparsamer einsetzt. Um die Haltbarkeit von Wollstoffen zu steigern, wird die Wolle mit Kunststoffanteilen gestärkt. Ein Teil des Sortiments wie das Skitourenequipment kommt in den Verleih und nicht nur in den Verkauf. Jeder Kunde kann Waren reparieren lassen.

»Wie die gesamte Industrie beschäftigt uns in Zukunft auch, wie wir gebrauchte Ortovox-Produkte wieder einsammeln und weiterverwenden können«, erläutern Stefanie Rieder-Haas (38) und Paul Kamphaus (32), die für das Projekt verantwortlich sind. »Bei allen Maßnahmen müssen wir aber immer auch im Sinne der Nachhaltigkeit abwägen.« So will das Unternehmen möglichst wenig Kunststoffe einsetzen, aber Kleidung aus Wolle ist sehr empfindlich. »Wenn sie haltbarer werden soll, brauchen wir Kunststoffanteile.«

Hemmnisse durch engen Markt

Zugleich gilt es, externe Hemmnisse einzukalkulieren: Beispiele sind hier Rezyklate oder Bio-Baumwolle. »Je mehr Unternehmen diese einsetzen wollen, umso enger wird der Markt, denn noch ist die Sammelinfrastruktur nicht ausreichend, und die flächendeckende Umstellung auf Bio-Anbau braucht Zeit«, so Rieder-Haas und Kamphaus. Dass sie dennoch gut vorankommen, führen sie vor allem auf die beteiligten Akteure zurück: »Wir haben ein hoch motiviertes Team, kooperieren mit überzeugten Partnern über die ganze Wertschöpfungskette, teilen Wissen in Netzwerken und lernen dazu – und nicht zuletzt ermutigen uns auch unsere Kunden, diesen Weg zu gehen.«

Ziegelwerke Leipfinger-Bader GmbH

Recyclinganlage statt Deponie

Nachhaltig zu agieren, gehört auch bei den in der fünften Generation geführten Ziegelwerken Leipfinger-Bader in Vatersdorf zur Unternehmensphilosophie. »Dies beginnt beim Produkt: Der Ziegel besteht nur aus natürlichen Materialien – aus Lehm, den wir mit ebenfalls natürlicher Holz- und Steinwolle füllen. Durch die Füllung erreichen die Ziegel eine höhere Dämmleistung, das spart wiederum zusätzliches Dämmmaterial und Energie«, erläutert Unternehmenssprecher Bernhard Reger (46). »Selbstverständlich renaturieren wir schon immer die stillgelegten Lehmgruben und geben der Natur zurück, was wir entnommen haben.«

Vor rund fünf Jahren begann das Unternehmen, erste Wertstoffkreisläufe einzurichten. Der im Bauprozess anfallende Ziegelbruch wird nun nicht mehr als Abfall auf Deponien entsorgt, sondern in einer eigens dafür errichteten Anlage recycelt: Der keramische Teil der Ziegel und die Holz- und Steinwolle werden getrennt. Die Wolle wird in neue Ziegel gefüllt, der Ziegelbruch wird zu Granulat für die Dachbegrünung oder den Wegebau verarbeitet. Eine weitere Innovation: Aus dem Ziegelschleifstaub, der beim Planschleifen der Ziegel anfällt, werden Kaltziegel gepresst.

Neues Standbein durch Wiederverwertung Abfallstoffe

Die Münchner Stiftung Familienunternehmen lobt diese Ansätze als wegweisend für die ganze Branche. Reger freut sich aber nicht nur über den Nachhaltigkeitsfortschritt: »Durch den Wiedereinsatz der ursprünglichen Abfallstoffe haben wir nun ein weiteres Produkt und Standbein. Wir sind offiziell als Entsorgungsbetrieb registriert und planen den weiteren Ausbau der Recyclinganlage.«

Verwertungsmöglichkeiten gesucht? Auf der Recyclingbörse auf der IHK-Webseite können Unternehmen und Institutionen Inserate zur Vermittlung von Reststoffen beziehungsweise Produktionsrückständen kostenlos einstellen.

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