Auf nach Hindafing

Plüschiger Saal – Anker-Kino in Burghausen

Cornelia Knust, Ausgabe 03/2020

Zwischen Salzach und Inn soll demnächst ein Heimatfilmfestival steigen. Dieses Frühjahr gibt es einen Vorgeschmack.

Das Anker-Kino in Burghausen musste 2018 schließen. Der herrlich plüschige Kinosaal aus den 1950er-Jahren – im Städtchen eine Institution des Autorenkinos – zog einfach nicht mehr genügend Besucher an. Rettung kam von der Kommune als Eigentümerin der Immobilie. Sie nutzt den nun Anker-Saal getauften Raum als Kleinkunstbühne – manchmal auch für Filme. Für die Lichtspielhäuser dieses Genres im östlichen Oberbayern sollen die mageren Zeiten bald vorbei sein. Wenn erst das »Internationale Festival des neuen Heimatfilms« Fahrt aufnimmt, dann werden von Burghausen bis Wasserburg womöglich neue Stars geboren, Preise verliehen, Rechte verhandelt, Drehorte klargemacht. Das hofft zumindest der gleichnamige Verein. Die »Biennale Bavaria International«, wie sich das Festival nennt, hat bereits ein Budget und prominente Unterstützer. Joachim Kurz (52) aus dem Badischen ist ein echter Kenner des Art-HouseKinos, also der Filme abseits des Mainstreams, Herausgeber des Internetmagazins »Kino-Zeit« und selbst begeisterter Filmfestbesucher. Er konnte 2019 als Kurator des neuen Festivals gewonnen werden und sieht große Chancen für die bayerische Biennale, auch weil das Genre sich stark verändert hat. »Beim Heimatfilm denkt ja keiner mehr an die netten, harmlosen Geschichten aus den 50er-Jahren«, sagt Kurz. »Heimat ist inzwischen ein politisch umkämpfter Begriff. Es geht jetzt um die Suche nach Identität, um Prägung, Religion, Zerrissenheit, um ein Lebensgefühl.« Aber es geht wohl auch um Witz und urtümliche Sprache: »Filme im Dialekt zu drehen, ist wieder total in«, so Kurz.

Warm-up vor der eigentlichen Biennale

50 Filme will Kurz für die eigentliche Biennale im April 2021 aussuchen: Spielfilme, Dokumentarfilme, Kinderfilme, Independent-Kino und eine Retrospektive zu starken Frauen im Heimatfilm. In diesem Jahr gibt es zumindest ein Warm-up. Ab 21. April werden sechs Filme gezeigt, die schon bei anderen Festivals prämiert wurden. So wie »Landrauschen« von Lisa Müller, ein Streifen über die Rückkehr einer jungen Wahlberlinerin in ihr Heimatdorf in Bayerisch-Schwaben. Oder das 2019 herausgebrachte Videotagebuch »For Sama« einer jungen syrischen Frau für ihre kleine Tochter im Bombenhagel von Aleppo. Kurator Kurz ist privat aber auch Fan der TV-Serie »Hindafing« des Bayerischen Rundfunks, in der Schauspieler Maximilian Brückner als bayerischer Lokalpolitiker von einem Skandal in den nächsten stolpert. Günther Knoblauch (70) war lange Bürgermeister von Mühldorf, dann Landtagsabgeordneter für Altötting, jetzt ist er im Ruhestand. An der Biennale arbeitet er schon länger, gemeinsam mit Ideengeber und Kulturmanager Peter Syr, der aus Haag stammt und dort wieder wohnt – in seiner ehemaligen Schule. Bei einer Ausstellung zu Ehren des Schauspielers Ottfried Fischer – auch er ein Biennale-Unterstützer – haben Knoblauch und Syr sich kennengelernt, 2017 den Verein gegründet, Geld für ein Konzept gesammelt, Kommunen und Landkreise ins Boot geholt, die Filmförderung und den Kulturfonds bekniet. Doch aus dem geplanten Start im Oktober 2019 wurde nichts. Wollte man zu viel? Fehlte die Expertise von außen? »Vor dem Hintergrund von 400 Festivals in Deutschland und 1000 neuen Filmen in jedem Jahr mussten wir die Besonderheiten unseres Festivals noch klarer herausarbeiten«, sagt Knoblauch. Auch die lokale Wirtschaft müsse noch besser eingebunden werden. Banken, Energieversorger, Brauereien sind ja oft großzügige Geldgeber für Kulturveranstaltungen solcher Art.

Was heißt Heimat für mich?

Doch Knoblauch sucht nicht nur Geld, sondern Begeisterung. Er will Schulen, Vereine, Ehrenamtliche, Gastgeber dafür gewinnen, sich auf das Thema einzulassen und selbst etwas auf die Beine zu stellen. »Heimat ist, wo man den Bauch nicht einziehen muss«, sagte Schauspieler Ottfried Fischer kürzlich in einer Talkshow. Von Edgar Reitz, Vater der Filmtrilogie »Heimat«, stammt das Zitat: »Heimat ist immer etwas Retrospektives. Ein Gefühl von Verlust.« Die Biennale-Macher wollen die Bevölkerung von Altötting, Burghausen, Haag, Mühldorf, Trostberg und Wasserburg an der Definition des Heimatbegriffs beteiligen. Natürlich vor dem Hintergrund von Zuwanderung, Landflucht, Veränderung, Radikalisierung. Nicht belehren wolle man oder von Podien heruntersprechen, sagt Kurator Kurz. Er stelle sich eher Kneipengespräche vor und vielfältige Gäste aus Musik, Kunst und Literatur. Da sollen dann nicht alle nur politisch korrekt einer Meinung sein. Einige Tausend Besucher erwartet Vereinschef Knoblauch und hofft auf eine belebende Wirkung für Tourismus, Image und Kultur der Region. Schauspieler und Kabarettisten wie Lisa Fitz und Johanna Bittenbinder sind als bekannte Gesichter schon dabei. Regisseure wie Marcus H. Rosenmüller (»Wer früher stirbt, ist länger tot«) wären wohl gesetzt. Joseph Vilsmaier (»Herbstmilch«) ist im Februar im Alter von 81 Jahren leider verstorben. Wettbewerbe, eine Jury, Preise, Partys, Empfänge – all das soll es geben bei der bayerischen Biennale. Bis dahin können die einheimischen Cineasten die kleinen Kinos der Region besuchen, das Utopia in Wasserburg, das Stadtkino Trostberg oder das Hollywood am Inn in Mühldorf. Auf dass all diese Häuser noch am Leben sind, wenn die Welt zu ihnen kommt.

Aktuelle Ergänzung (23.3.2020): Die Veranstaltung »Neuer Heimatfilm unterwegs«, das Vorspiel zur »Biennale Bavaria International«, wird wegen der aktuellen Coronakrise verschoben. Als Ersatztermin ist der 25. bis 27. September 2020 geplant.

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