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Aufessen, bitte!

Wisefood ©
Trinkhalme ohne Plastik – Wisefood-Geschäftsführer Philipp Silbernagel

Von der ersten Idee bis zum Markterfolg – für viele junge Firmen ist das ein Pfad mit Umwegen. Wisefood hat mehrmals umgesteuert, bis das Geschäft mit biologisch abbaubarem Essgeschirr Fahrt aufnahm.

Sabine Hölper, Ausgabe 03/21

Zum Cocktail gehört ein Strohhalm. Zugegeben, er mag nicht unbedingt notwendig sein, aber für viele macht das dünne Trinkröhrchen den Genuss erst perfekt. Das Problem ist nur: Der Plastikhalm landet nach einmaligem Benutzen im Müll, danach belastet er die Umwelt. Es sei denn, man isst ihn einfach auf. Einen Plastikhalm kann man selbstverständlich nicht verspeisen. Wohl aber die Trinkhalme, die das junge Garchinger Unternehmen Wisefood GmbH produziert und vertreibt. Sie bestehen aus nachwachsenden Rohstoffen wie Getreide und Apfelfasern, Letztere sind ein Nebenprodukt der Apfelsaftproduktion.

Nachdem das Getränk leer ist, nascht man den Halm. Und selbst wenn man ihn im Glas zurücklässt, belastet er die Umwelt nicht. Er kann nach Gebrauch in den kompostierbaren Müll, nach zwei bis drei Wochen zersetzt er sich von selbst. Wisefood hat seine Erfindung »SUPERHALM« getauft. In alkoholischen Drinks hält er zwei Stunden lang, in Getränken ohne Alkohol eine Stunde. »Damit ist er deutlich stabiler als die meisten Trinkhalme aus Papier«, sagt Philipp Silbernagel. Der 29-Jährige hat den Halm erfunden, zusammen mit einem Team von mehreren Studenten an der Universität Karlsruhe.

Neue Herausforderung gesucht

Silbernagel hat Elektrotechnik studiert, 2014 dann gemeinsam mit einem Partner das Unternehmen Plakos gegründet, eine E-Learning-Plattform für Ausbildungsbewerber und Berufseinsteiger. Als das Unternehmen zwei Jahre später stark automatisiert war, suchte Silbernagel eine neue Herausforderung. Durch Zufall wurde er auf das Studententeam aufmerksam. Ihm gefiel die Idee, eine Alternative zu Plastikstrohhalmen zu entwickeln. Also schloss er sich der Gruppe an.

Dem Ruf ins Fernsehstudio gefolgt

»Ich wollte das Projekt nach vorn bringen«, sagt er. Anfangs war geplant, einen eher hochpreisigen Halm auf den Markt zu bringen, für Trendsetter, die 50 Cent für etwas Neues bezahlen. Doch dann kam alles anders. Das Gründerteam hatte gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Lebensmitteltechnik die ersten 10.000 biologisch abbaubaren Trinkhalme produziert. Die Gründershow »Die Höhle der Löwen« wurde darauf aufmerksam, lud die Jungunternehmer ein. Diese folgten dem Ruf ins Fernsehstudio gern und stellten den Investoren ihre neue Lösung vor. Doch die Produktvorführung zeigte: Der Halm löste sich nach wenigen Minuten im Getränk auf. Marktreif war er mit dieser kurzen Lebensdauer noch nicht. Und Kapital gab es von den »Löwen« daher auch nicht. »Ich dachte, wir könnten die Investoren begeistern, Geld für die Weiterentwicklung des Produkts lockerzumachen«, sagt Silbernagel.

Doch die haben grundsätzlich andere Vorstellungen: Sie investieren in ausgereifte Produkte, um mit dem Kapital die Markteinführung voranzutreiben. Das nach mehreren Wechseln im Team formierte Gründertrio um Philipp Silbernagel, Patricia Titz und Maximilian Lemke hatte verstanden: Im nächsten halben Jahr entwickelten sie den Trinkhalm weiter, bis er mindestens eine Stunde lang unbeschadet in einem Getränk überstehen konnte.

Produkt mit Perspektive – aber noch ohne Finanzier

Von da an hatten sie ein Produkt mit Perspektive – wenn auch noch keinen Finanzier. Beim Geldeinsammeln half alternativ erst einmal Crowdinvesting weiter. Mehr als 10.000 Euro kamen so in kürzester Zeit zusammen. Genug Geld, um weiterzumachen – und zudem noch mehr Aufmerksamkeit zu generieren: Durch die Kampagne hatten, wie zuvor schon durch die TV-Show, potenzielle Konsumenten von dem neuen, umweltschonenden Trinkhalm erfahren – der nun auch funktional war. Die Begeisterung war groß, das neu gegründete Unternehmen im Aufwind. Das zeigte sich an der Reaktion potenzieller Geldgeber: Business Angels stiegen ein, so kam es zur ersten größeren Finanzierungsrunde. Die nächste folgte kurz darauf mit mehreren Investoren, darunter der Essenslieferdienst Delivery Hero.

Selbst Halme geschnitten, getrocknet und verpackt

Insgesamt hat die Firma mit seinen 13 Mitarbeitern laut Silbernagel bisher einen siebenstelligen Betrag eingesammelt. Mittlerweile produzieren die Unternehmer den Trinkhalm auch nicht mehr in Eigenarbeit. »Anfangs haben wir selbst am Band gestanden, die Halme geschnitten, getrocknet und händisch verpackt«, erzählt der Gründer. Heute arbeitet das Unternehmen mit mehreren professionellen Herstellern überwiegend aus Deutschland zusammen, die die Produkte exklusiv für Wisefood fertigen. So kann die junge Firma die Halme in größeren Mengen und günstiger herstellen. Eine Packung mit 30 Stück kostet knapp drei Euro. Damit ist das Produkt für viele Endkunden interessant. Sie können es im firmeneigenen Onlineshop sowie in gut sortierten Edeka- und Rewe-Filialen erstehen.

Vor allem aber finden sich die Trinkhalme bei Großhändlern wie Hamberger, Transgourmet oder Selgros. Dort werden sie von Gastronomen und Hoteliers eingekauft. Zu den Kunden gehören unter anderem bekannte Ketten wie Ibis oder Accor.

Ziel: »Nummer eins für essbares Geschirr werden«

Das Produktportfolio hat Wisefood ebenfalls ausgedehnt. Seit geraumer Zeit sind essbare Eislöffel und Rührstäbchen zum Beispiel für Kaffee auf dem Markt. Ganz neu, seit Ende 2020 im Programm, sind Becher und Snackschalen. Und das soll noch lange nicht alles gewesen sein. »In einem Jahr wollen wir die Nummer eins für essbares Geschirr werden«, sagt Silbernagel.

Auch international will Wisefood noch stärker präsent sein. Dabei liefert das Unternehmen schon heute in 20 Länder, seit Kurzem sogar bis nach Australien. Weit mehr als 50 Prozent des Umsatzes werden außerhalb Deutschlands erwirtschaftet. Silbernagel ist guter Dinge, dass sein Unternehmen kontinuierlich weiterwachsen wird.

Bald Verbot von Einweggeschirr aus Plastik in der EU

Zwar hat die Coronakrise auch Wisefood erwischt. Geschlossene Restaurants, Bars und Hotels haben sich negativ auf den Absatz der Halme, Löffel und Rührstäbchen ausgewirkt. Doch erstens dürfte dies nur ein vorübergehender Einbruch sein. Zweitens spielt ein Gesetz dem Unternehmen in die Hände: Ab Sommer 2021 sind Plastikstrohhalme und Einweggeschirr aus Plastik in der EU verboten. Dann, so die Erwartung, geht der Run auf Ersatzprodukte erst richtig los.

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