Standortpolitik

Ausgezeichnete Ideen

presize GmbH ©
Awais Shafique, Tomislav Tomov und Leon Szeli (v.l.)

Beim Innovationspreis Bayern beeindruckten gleich zwei oberbayerische Unternehmen die Juroren: der Softwareentwickler presize und das Medizintechnikunternehmen ADVITOS.

Gabriele Lüke, Ausgabe 01/21

Wie kommt das Neue in die Welt? Diese Frage stellte Ende der 1990er-Jahre ein hochkarätiger Sammelband zum Thema Innovationen. Durch hochkompetente, kreative, freie Köpfe lautete eine der Antworten. Die Träger des Innovationspreises Bayern bestätigen diese Antwort immer wieder eindrücklich. In diesem Jahr werden mit Leon Szeli, Tomislav Tomov und Awais Shafique von der presize GmbH sowie Bernhard Kreymann und Catherine Schreiber von der ADVITOS GmbH erneut kluge Köpfe aus Oberbayern geehrt. Sie stehen für Innovationen in den Zukunftsbereichen Nachhaltigkeit und Gesundheit.

Der Innovationspreis Bayern wird seit 2012 alle zwei Jahre vom Bayerischen Wirtschaftsministerium, dem Bayerischen Industrie- und Handelskammertag (BIHK) sowie der Arbeitsgemeinschaft der bayerischen Handwerkskammern vergeben.

Zwei Kontrapunkte zur Pandemie

»In diesem Jahr ermutigt der Preis umso mehr, denn er setzt mit seinen großartigen Ideen auch einen Kontrapunkt zur lähmenden Pandemie«, betont Urs Weber, Referent Industrie und Innovation der IHK für München und Oberbayern. »Zugleich bestätigen insbesondere auch die oberbayerischen Preisträger, dass der Freistaat, der in Forschung und Entwicklung sehr gut aufgestellt ist, auch bei Zukunftsthemen vorangeht.«

presize GmbH, München

Jeder kennt das: In einem Internetshop gefällt eine Hose besonders gut, sie wird bestellt, geliefert, anprobiert – und sitzt überhaupt nicht. Zurückgeschickt an den Händler, landet das Stück dann womöglich nicht wieder im Verkauf, sondern wird vernichtet.

Drei Endzwanziger im Kampf gegen Retourenvernichtung

Tatsächlich sind 79 Prozent der online bestellten und dann retournierten Waren, die entsorgt werden, nicht passende Kleidungsstücke und Schuhe. »Das ist nicht nachhaltig und muss nicht sein«, betonen Leon Szeli (27), Tomislav Tomov (29) und Awais Shafique (25). »Mit unserer Smartphone-App können Online-Shopper ihre Größe richtig bestimmen und Retouren und Vernichtung reduzieren.«

Antrieb, selbstständig zu arbeiten

Entstanden ist die Lösung 2018 in dem von Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) und Technischer Universität München (TUM) gemeinsam betriebenen Center for Digital Technology and Management. Dort lösen Master-Absolventen in Kleingruppen Aufgaben für die Industrie. Szeli, Tomov und Shafique waren im Einsatz für einen Hersteller von Berufskleidung. Das Problem: Wenn Unternehmen mit vielen Beschäftigten ihre Mitarbeiter neu einkleiden, entsteht oft viel Ausschuss, weil eben auch hier die Größen unpräzise angegeben werden. »Das wollte der Hersteller ändern – und unserer App gelang das«, sagt Szeli.

»Und da wir drei ohnehin gern selbstständig arbeiten wollten, Lust haben zu gestalten und ein gutes Team sind, haben wir aus der App schließlich eine Geschäftsidee für die Modebranche entwickelt.« 2019 gründeten sie presize, überzeugten die Jury in der TV-Sendung »Höhle der Löwen«, namhafte Business Angels und Investoren, stellten ihre Idee immer wieder vor und fanden die ersten Kunden.

Bekannte Textilunternehmen als Kunden

Mittlerweile nutzen einige bekannte Textilunternehmen die App. So wächst presize und beschäftigt bereits 20 Mitarbeiter. Die App ist als eigener Button in den jeweiligen Webshop integriert. Der Online-Shopper aktiviert sie auf seinem Smartphone oder zieht sie, wenn er am Desktop einkauft, via QR-Code aufs Handy. Dann filmt er mit der App seinen Körper. Sieben Sekunden dauert der Scan, aus dem das presize-System ein Abbild des eigenen Köpers berechnet, einen Avatar. Ein weiterer Algorithmus berechnet daraufhin die passende Kleidergröße und gleicht sie mit den Größen von Hosen und Shirts im Webshop ab.

Mehr Sicherheit beim online shoppen

Es würden deutlich mehr Menschen Kleidung online kaufen, wenn sie sicher wären, dass die Textilien ihnen am Ende auch passen, ist Szeli überzeugt: »Unsere App gibt ihnen mehr Sicherheit. Bei Firmen, die die App nutzen, steigt die E-Commerce-Verkaufsrate um bis zu 25 Prozent.« Da der Algorithmus aus jeder retournierten Ware lernt, wird er immer präziser. »Wir wollten den E-Commerce mit unserer App vor allem auch ökologisch nachhaltiger machen«, so Szeli. »Tatsächlich senkt unsere App die Retourenrate um 25 Prozent, es wird weniger transportiert und vernichtet.«

ADVITOS GmbH, München

Damit der Körper gesund bleibt, muss er regelmäßig entgiftet werden – das übernehmen die sogenannten Entgiftungsorgane. Die Leber, die Niere und die Lunge sind drei wesentliche von ihnen. Wenn bei einem Patienten eines dieser drei Organe versagt, ist das schlimm genug. Wenn aber zwei oder gar alle drei ausfallen, geht es um Leben und Tod.

Um einem Patienten bei einem Multiorganversagen zu helfen, brauchte es bislang für jedes betroffene Organ eine eigene Behandlung. Die Unternehmer Bernhard Kreymann (62) und Catherine Schreiber (41) haben hier einen Paradigmenwechsel eingeleitet: »Wir haben ein Gerät entwickelt, das Leber, Lunge und Niere gleichzeitig unterstützen sowie den Blut-pH-Wert rasch korrigieren kann und so die Überlebenschancen der Patienten deutlich verbessert.«

Die Innovation des ADVOS-Verfahrens (ADVanced Organ Support) besteht in der technologischen Weiterentwicklung des klassischen Dialyseverfahrens. Ein Dialysegerät transportiert schädliche Stoffe aus dem Blut ab, wenn die Niere das nicht mehr schafft.

Innovation in zwei Stufen

Die Neuerung vollzog sich in zwei Stufen: Das erste entwickelte Gerät unterstützte neben der Niere zugleich auch die Leber bei der Entgiftung. Das aktuelle Upgrade hilft nun zusätzlich auch noch der Lunge. Das Gerät leitet das Patientenblut durch einen Filter an einer – patientenindividuell einstellbaren – Reinigungslösung vorbei, die die Giftstoffe aus dem Blut zieht.
Kreymann und Schreiber erkannten schnell, dass sie das perfekte Team für die Umsetzung dieser Idee sind: Kreymann als interdisziplinär denkender Mediziner und Schreiber als Betriebswirtin und Diplom-Maschinenbauerin. 2005 gründeten sie ihr Unternehmen ADVITOS.

Schnelle Marktreife nach zehn Jahren

Nach zehn Jahren ist das erste Gerät marktreif. »Für medizintechnische Entwicklungen einschließlich Markteinführung sind zehn Jahre ein kurzer Zeitraum«, erklären die beiden Unternehmer. Denn der Aufwand ist groß. »Wir mussten das Gerät entwickeln, patentieren lassen, durch Testphasen, Genehmigungsprozesse bis hin zur TÜV-Zertifizierung bringen. Es brauchte Unterstützer, Investoren, Fördermittel und nicht zuletzt gute Mitarbeiter. Schließlich mussten wir Zulieferer finden und eine Produktion aufbauen.«

Auch Lichtblick bei Corona

Mittlerweile beschäftigt ADVITOS 55 Mitarbeiter, der Vertrieb steht aktuell im Mittelpunkt. In Workshops erläutern Kreymann und das Vertriebsteam Krankenhäusern die Vorteile und die Nutzung des Geräts.»Erste Studien belegen: Ohne das Gerät überleben rund 20 Prozent der Intensivpatienten ein Multiorganversagen von Leber, Niere und Lunge, mit dem Gerät sind es 35 bis 50 Prozent«, sagen Kreymann und Schreiber stolz. »Jetzt wurde unser Gerät auch zum ersten Mal erfolgreich bei der Behandlung von Corona-Intensivpatienten eingesetzt.«

Mehr zum Innovationspreis Bayern 2020.

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