Standortpolitik

Plötzlich im Rampenlicht

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Panzer & Co. – ein Drittel der deutschen Wehrtechnikbranche sitzt in Bayern

Für Bayerns Rüstungsindustrie interessierten sich bislang nur Insider. Nun läuft die Debatte über zögernde Banken, EU-Taxonomie, Imageprobleme und Sicherheitsrisiken. Wie ernst ist die Lage? Eine Spurensuche.

MARTIN ARMBRUSTER,  Ausgabe 05/2022

Diskretion gehört in der Branche zum Geschäft. Fast niemand mag offen reden. Die Frau aus der Chefetage eines oberbayerischen Mittelständlers tut es, obwohl ihre Geschäftsleitung das nicht gern sieht. Namentlich darf man sie nicht nennen, aber die Marketingspezialistin will eine Erfahrung teilen, die sie empörend findet: Ihre Firma ist ein Zulieferer der Rüstungsindustrie. Nach 15 Jahren hat eine der beiden Hausbanken die Geschäftsbeziehung überraschend beendet. Der Betrieb ist kerngesund, Investitionen werden mit Eigenkapital finanziert. Das Manko ist die Branche: Rüstung passt schlecht zu den Nachhaltigkeitszielen der Bank.

Die Mitarbeiterin hält das für Willkür. Man beliefere auch Kunden der Medizintechnik, fördere die Jugend- und Altenpflege und ein Projekt für schwerkranke Kinder. Es sei ein Glück, dass man auf Kredite nicht angewiesen sei.

Kein »bombensicheres« Banken-Investment

Anscheinend sind die Zeiten vorbei, in denen das Investment deutscher Banken in die Rüstung als »bombensicher« (»Die Zeit«) oder »todsicher« (»taz«) galt. Die HypoVereinsbank schreibt im Internet: »Nicht nachhaltig zu sein, heißt für Unternehmen, sich den Geldhahn abzudrehen.« Das Magazin »Finance« warnt, elf deutsche Banken wollten sich aus dem Rüstungsgeschäft zurückziehen.

Im Freistaat hat Wirtschaftsstaatssekretär Roland Weigert (Freie Wähler) das Thema aufgegriffen und Vertreter bayerischer Rüstungsfirmen zum Krisengespräch geladen. Im »Donaukurier« schilderte er eine dramatische Lage. Banken und Versicherungen würden langjährige Geschäftsbeziehungen kündigen, mittelständische Betriebe hätten Probleme, Kredite zu marktgerechten Konditionen zu bekommen.

Unterschiedliche Signale der Banken

Allerdings agieren die Banken sehr unterschiedlich. Manfred Knof, Vorstandsvorsitzender der Commerzbank AG, signalisiert etwa, dass Waffenbauer willkommen seien: »Es ist klar, dass es jetzt mehr Investitionen in der Rüstungsindustrie hier in Deutschland geben wird, und das sind alles unsere Kunden.«

Die BayernLB fährt dagegen einen anderen Kurs. Firmen, die mehr als 20 Prozent ihres Umsatzes mit Rüstung machen, bekommen keine Kredite mehr. Das Geschäft mit dem Konzern Rheinmetall AG wurde gekappt.

Andreas Glas, Forschungsgruppenleiter für Rüstungsmanagement an der Münchner Universität der Bundeswehr, hält das für einen weitreichenden Schritt: »Es macht einen Unterschied, ob eine Privatbank für sich grüne Richtlinien definiert oder ob eine Staatsbank aus dem Geschäft aussteigt. Das ist ein klares Signal.«

Den Druck der Banken spürt man auch in Hallbergmoos. Dort sitzt die HFTS Helicopter Flight Training Services GmbH, ein Dienstleister der Bundeswehr. Die Firma fördert mit Flugsimulatoren die Ausbildung der Hubschrauberpiloten. Die Hausbank, die man seit 2004 hat, versprach, das Geschäft mit der Bundeswehr bleibe unangetastet. Dennoch teilte die Bank jetzt mit: Es ist Schluss mit dem Rüstungsgeschäft.

»Botschaft angekommen«

»Die Botschaft ist angekommen«, sagt HFTS-Geschäftsführer Manfred Röthinger. Training Service Officer Hermann Grube weist darauf hin, dass der Flugsimulator Flugstunden, Treibstoff und CO2-Emissionen einspare. Sein Chef Röthinger fragt sich, wie es nach 2026 weitergeht. Dann läuft der Vertrag mit der Bank aus.

Martin Kroell, Geschäftsführer der Autoflug GmbH, war mit seiner bayerischen Bank sehr zufrieden. »Alles tipptopp«, wie er sagt. Dann, Ende 2019, wurde alles anders. Neue Ansprechpartner, neue Strategie. Sein Unternehmen produziert Sitze, Sicherheitsgurte, Fallschirme und wartet Schleudersitze. Das Unternehmen sitzt in Schleswig-Holstein, macht aber in Bayern Geschäfte mit dem Flugzeughersteller Airbus und dem Rüstungsunternehmen Krauss-Maffei Wegmann GmbH & Co. KG (KMW).

»Good und bad Business«

Mit den Nachhaltigkeitszielen seiner Bank funktioniert das nicht mehr. »Wenn ich an die Bundeswehr liefere, ist das Good Business. Verkaufe ich an Airbus, ist das Bad Business«, spottet Kroell. Er hat sich längst eine andere Bank (»Wir haben den Stecker gezogen«) gesucht. Was ihm Sorgen macht, ist die Einstellung zur Rüstungsbranche im Freistaat. »Rüstung in Bayern, das ist doch eine Erfolgsgeschichte«, meint der Firmenchef.

Ein Drittel der deutschen Wehr-Industrie sitzt in Bayern

Daran mag sich nur – fast – keiner mehr erinnern. Staatssekretär Weigert stellt deshalb ganz bewusst auch öffentlich klar: Bayern ist ein Zentrum der wehrtechnischen Industrie. Rund ein Drittel der deutschen Branche sitzt im Freistaat.

Wie sehr die Stimmung gekippt ist, zeigt das Beispiel Leopard 2. Bayern war einmal stolz auf »den Mercedes unter den Panzern« (Deutschlandfunk). Er war und ist ein Exportschlager. Als Hersteller KMW im November 2019 das 40-jährige Jubiläum des Panzers feierte, interessierte das die Münchner aber kaum. Stattdessen herrscht Dauerstreit mit den Anwohnern um die KMW-Panzerteststrecke in München-Allach. Die Münchner IG-Metall-Chefin Stefanie Krammer sieht 1.650 Arbeitsplätze in Gefahr.

»Falscher Bankengehorsam«

Für den Europaabgeordneten Markus Ferber (CSU) passt das gut ins Bild. Er klagt über eine Verquickung von Zeitgeist und »falschem Gehorsam der Banken«. Nur zeigte auch die Politik lange Zeit wenig Leidenschaft für das Militär. Stattdessen hat die Bundesregierung die Plattform »Geld bewegt« unterstützt – diese hilft Verbrauchern dabei, Banken zu meiden, die Rüstung finanzieren.

»Die Branche leidet seit Dekaden. Da hat man übermäßig Kapazitäten abgebaut«, lautet das Fazit von Rüstungsforscher Glas. Die CSU-Europaabgeordnete Angelika Niebler hält das für ein sehr deutsches Phänomen. Es sei undenkbar, dass Frankreich sein Militär schwächen würde. Von Frankreichs Ex-Präsident Nicolas Sarkozy stammt etwa die Idee, EU-Staaten sollten sich für Rüstungsausgaben unbegrenzt verschulden dürfen.

»Sehr zähe Prozesse«

Was den Unternehmen in Deutschland ferner zu schaffen macht, sind laut Rüstungsforscher Glas »sehr zähe Prozesse«. Das Beschaffungsamt sei mit 11.500 Mitarbeitern für 2.000 Projekte überfordert. Die »Süddeutsche Zeitung« spricht von einem »Nichtbeschaffungsamt«. Seit 2015 warte die Bundeswehr beispielsweise auf ein neues Sturmgewehr. Derzeit befassten sich Richter und Anwälte mit dem Fall.

Es kann Monate dauern, bis eine Exportgenehmigung vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) erteilt wird. In der Branche geht es um große Summen und lange Durststrecken, die überbrückt werden müssen. Jan Molter, Geschäftsführer der Aeromaritime Systembau GmbH in Neufahrn, sagt daher, für ihn als Mittelständler sei es dramatisch, wenn die Hausbank nicht mehr mitspiele. Sein Unternehmen stellt Kommunikationstechnik für die Marine her. Von seiner Hausbank sei er »ausgelistet« worden, berichtet Molter. Grund: Wehrtechnik, falsche Branche. Der Unternehmer sagt, man habe eine schwierige Phase hinter sich, aber inzwischen sei man wieder gut drin im Geschäft. Und nun das. Ausgelistet. »Das hat uns kalt erwischt«, so Molter.

Hoffnung auf einen neuen Kurs

Bislang haben seine Zulieferer Aufträge vorfinanziert, indem sie Anzahlungen oder Bankgarantien akzeptierten. Wochenlang überlegte Molter, wie er ohne Bankgarantien klarkommen soll. Die Sorge ist er vorerst los. Der neue Kurs der Bundesregierung werde Einfluss auf die Banken haben. Davon ist Molter überzeugt. Was ihn zudem hoffen lässt, ist die Ansage des neuen Inspekteurs der Marine, Vizeadmiral Jan Christian Kaack: »Wir brauchen Munition, Ersatzteile und Kommunikation.«

Nach Ansicht von Hans Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), muss das Zittern um die Finanzierung ein Ende haben. Seine Branche will auch nicht länger mit der Tabak-, Glücksspiel- und Pornoindustrie in der Schmuddelecke stehen. Was er von der Bundesregierung fordert: Sie müsse dafür sorgen, dass Rüstung in der von der EU geplanten Sozialtaxonomie als nachhaltig eingestuft wird.

»Wir sind nachhaltig.«

Seit Jahresbeginn ist der Verband damit in den Medien unterwegs. Wie ernst man die Sache nimmt, zeigt die Tatsache, dass Jens Bodo Koch, Chef des Rüstungsunternehmens Heckler & Koch GmbH, das erste Interview der Firmengeschichte gegeben hat. Seine Botschaft: »Wir sind nachhaltig.« KMW-Chef Ralf Ketzel klagte im »Münchner Merkur« über die zögerliche Bestellung des Schützenpanzers Puma durch die Bundeswehr und über die Banken. 271 Zulieferer seien bedroht, einige Betriebe stünden vor dem Aus. Der Rüstungskonzern Hensoldt AG und die Airbus Defence and Space GmbH warnen, ohne das Siegel »nachhaltig« werde es schwer, die »Supply Chain« zu erhalten.

Staatssekretär Weigert betont den »nachhaltigen« Wert einer wehrhaften Demokratie. IHK-Chef Manfred Gößl begrüßt Anzeichen für ein Umdenken in der EU-Kommission, die sogenannte Sozialtaxonomie zumindest bis auf Weiteres zurückzustellen.

Problem Sozialtaxonomie

Die Landesverteidigung auch mit militärischen Mitteln dürfe im Angriffsfall nicht in einen als unsozial gebranndmarkten Topf »Rüstung« geworfen werden. Die reale Welt zeige doch in der Vergangenheit wie auch in der erschütternden Gegenwart, dass Frieden und Sicherheit der Menschen, also der Kern jeder Nachhaltigkeit, auch abgesichert werden müsse durch starke und wehrhafte Militärbündnisse. Das demokratische Europa müsse sich hier – Stichwort Zeitenwende – »stärker aufstellen, anstelle sich mit zusätzlicher Bürokratie und selbstgestellten Finanzierungsfallen zu schwächen«, so Gößl.

Während der zuständige Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sich bislang nur vage über eine Taxonomie äußerte, die »unsere Sicherheit gefährdet« hätte, wird die Nachhaltigkeitsszene deutlich und bezeichnet die Diskussion als »verstörend«.

»Es liegt nicht nur an den Banken und der EU«

Jutta Albrecht, Referentin für ethisches Investment bei Brot für die Welt, sagt, sollte Rüstung für nachhaltig erklärt werden, wäre das der »Sargnagel der sozialen Taxonomie«. Zudem kämpfe die Rüstungsindustrie an der falschen Front. »Es liegt nicht nur an den Banken oder der EU. Es sind zunehmend die Verbraucherinnen und Verbraucher, die Druck ausüben und ihr Geld nicht in Rüstung investiert wissen wollen«, so Albrecht.

Antje Schneeweiß hat sich gut zwei Jahre lang dagegen gewehrt, Rüstung als nachhaltig einzustufen. Schneeweiß ist in der EU-Kommission Leiterin der Untergruppe 4 der Plattform Nachhaltige Finanzen. Sie hatte den Auftrag, den Entwurf einer Sozialtaxonomie zu erstellen. Am 28. Februar, als Kiew schon beschossen wurde, präsentierte Schneeweiß ihren Abschlussbericht.

Der entscheidende Punkt: Rüstung wird als neutral eingestuft. Schneeweiß widerspricht dem Vorwurf bürokratischer Willkür. Das Papier ihrer Arbeitsgruppe basiere auf Normen, die international seit Jahren von Gesellschaft und Wissenschaft als »nachhaltig« akzeptiert würden. Rüstung gehöre nicht dazu. »Sonst müssten wir auch Putins T-90-Panzer als nachhaltig einstufen«, meint Schneeweiß.

Nun stellt sich die Frage, ob sich mit dem Ukraine-Krieg die ganze Debatte nicht ohnehin erledigt hat. Der Sprecher eines Münchner Rüstungskonzerns winkt bereits ab, es gebe jetzt Dringlicheres als die Taxonomie. EU-Politikerin Niebler und Ethikexpertin Albrecht bezweifeln, dass die EU-Kommission noch eine Regulierung weiterverfolgen wird. Nur EU-Gruppenleiterin Schneeweiß ist davon überzeugt, dass die Sozialtaxonomie kommt.

Geschäftslage »sehr gut«

Die Rüstungsbranche präsentiert sich währenddessen in stabiler Verfassung.Das Magazin »Europäische Sicherheit & Technik« bezeichnete vor Corona die Geschäftslage der schätzungsweise 70 bayerischen Rüstungsfirmen als »sehr gut«.

Zur Wahrheit gehören allerdings auch hausgemachte Probleme der Branche. Panzer, die im Praxistest der Bundeswehr durchfallen. Flugtransporter, die zu spät geliefert werden, teuer und störanfällig sind. Drohnenhersteller, die in die Insolvenz gehen. Schon 2015 bescheinigte die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) dem deutschen G36-Sturmgewehr nicht nur ein »Präzisionsproblem«, sie läutete auch eine Trendwende in der Beschaffung ein. Die Bundeswehr kauft deutsche Waffen – diesen Automatismus gibt es nicht mehr.

»Wir müssen jetzt nicht in aller Welt einkaufen.«

Florian Hahn (CSU), verteidigungspolitischer Sprecher der Union im Bundestag, baut daher schon einmal vor: »Wir müssen jetzt nicht in aller Welt einkaufen.« Die Bundesregierung hat trotzdem F-35-Tarnkappenjets beim US-Giganten Lockheed Martin bestellt. Das geplante Raketenabwehrsystem Arrow 3 kommt aus Israel. Die USA liefern den neuen Transporthubschrauber der Bundeswehr. Unklar ist nur, ob der 5,2-Milliarden-Euro-Auftrag an Boeing oder Lockheed Martin geht.

Europa kommt mit Amerika nicht mit

Was Hahn und Experten des Verteidigungsministeriums nervös macht, ist die immer größere Dominanz der US-Rüstungsindustrie. Wie in den USA zivile und militärische Technologie miteinander verschmelzen, welche Summen da bewegt werden – Europa kommt da nicht mit. Google entwickelt für zwölf Milliarden US-Dollar eine Super-Datenbrille für die US-Armee. Tesla-Chef Elon Musk liefert der Ukraine Satellitenbilder, Spezialisten von US-Militär und Microsoft rüsten die Ukraine für den Cyberkrieg auf. Das hilft der Ukraine, das hilft dem eigenen Geschäft.

»Im Moment sind wir alle Ukrainer«

Rüstungslobbyist Atzpodien stellt indessen fest, seit Kriegsbeginn werde seine Branche wieder positiver gesehen. Zumindest sitzt jetzt in jeder Talkrunde ein Ex-General. »Zeit«-Chef Giovanni di Lorenzo bezweifelt aber, dass der Trend von Dauer ist. »Im Moment sind wir alle Ukrainer«, schreibt er. Bald werde das Murren jedoch wieder anschwellen.

Ob die Aufrüstung der Bundeswehr zu einem Boom der deutschen Rüstungsfirmen führt – nach Ansicht eines Experten auf der Hardthöhe wird man das erst in zehn bis zwanzig Jahren wissen. Sicher ist nur: Die Rüstungsdebatte wird weitergehen. Und das mit typisch deutscher Dogmatik.

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