Klimaschutz | Standortpolitik

Natur ist systemrelevant

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Flora und Fauna – auch für die Wirtschaft überlebenswichtig

Unternehmen tragen durch aktiven Naturschutz zum Erhalt der Biodiversität bei – und damit zum Erhalt der existenziellen Grundlagen jedweden Lebens und Wirtschaftens.

GABRIELE LÜKE, Ausgabe 04/2022

Die Beschäftigten der Herbaria Kräuterparadies GmbH in Fischbachau lieben es, im Sommer ihre Mittagspause im Freien zu verbringen. Auf 1.135 Quadratmetern rund um die Firmenzentrale hat die Geschäftsführung eine Blühwiese angelegt. Dort duftet und schimmert, summt und brummt, zwitschert und pfeift es so wunderbar, dass Erholung garantiert ist. Doch die Blühfläche verschönert nicht nur die Pause. Vor allem trägt sie dazu bei, die heimische Artenvielfalt zu fördern.

Drei Viertel weniger Fluginsekten 

Spätestens durch die sogenannte Krefelder Studie aus dem Jahr 2017 ist belegt, wie dramatisch die biologische Vielfalt abnimmt: Allein der Bestand an Fluginsekten reduzierte sich in Deutschland zwischen 1989 und 2016 um 76 Prozent. Untersucht wurden 63 deutsche Naturschutzgebiete.

Insgesamt sind derzeit weltweit rund eine Million Pflanzen und Tierarten vom Aussterben bedroht, viele davon bereits in den nächsten Jahrzehnten, warnt der Weltbiodiversitätsrat. »Wenn Arten aussterben, sind sie zumeist unwiederbringlich verloren – wir können sie nur selten wiederbeleben oder künstlich ersetzen«, warnt Frauke Fischer (55), Biologin und Gründerin der Unternehmensberatung »auf!« in Frankfurt am Main. »Jede Art, die stirbt, bringt das fein abgestimmte natürliche Gleichgewicht ins Wanken, weitere Arten geraten in Mitleidenschaft.« Oft wird verkannt, welch existenzielle Bedeutung dieses Gleichgewicht hat und welche gravierenden Probleme auf uns zukommen, wenn es weiter ins Wanken gerät.

Biodiversitätsverlust um Faktor 1.000 beschleunigt

Die Verantwortung für den Biodiversitätsverlust trägt vor allem der Mensch: Die wachsende Weltbevölkerung, die intensiven Eingriffe in die Natur, Klimawandel, Umweltverschmutzung – das alles schadet Flora und Fauna. »Seit den 1950er-Jahren haben wir Menschen durch unser Verhalten den Biodiversitätsverlust um den Faktor 1.000 beschleunigt«, so Expertin Fischer.

120 Billionen Euro Ökosystemleistungen

Dabei sind Mensch und Wirtschaft substanziell von den Leistungen der Natur, den sogenannten Ökosystemleistungen, abhängig. Die Natur sorgt für fruchtbare Böden und Wasser, bestäubt Pflanzen, liefert Nahrungsmittel und Rohstoffe, reguliert Klima und Krankheiten, gibt wie in der Bionik Vorbilder für technische Entwicklungen, ermöglicht Erholung – kostenlos. Der ökonomische Gegenwert, das haben wissenschaftliche Berechnungen ergeben, liegt bei rund 120 Billionen Euro im Jahr.

»Die Natur ist für Menschen und Wirtschaft systemrelevant, der Biodiversitätsverlust ein existenzielles Risiko«, betont Fischer. Gegenmaßnahmen müssten daher schnellstens beginnen. Notwendig sei auch ein internationales Ziel entsprechend dem 2-Grad-Ziel beim Klimaschutz. »Artenschutz ist Risikomanagement im eigenen Interesse«, so Fischer.

Was können Firmen beitragen?

In einem ersten Schritt sollten sie sich bewusst machen, in welchem Maß sie über die gesamte Wertschöpfungskette von der Biodiversität abhängen und was passiert, wenn diese Leistungen ausfallen.

Dann gilt es, Eingriffe in die Biodiversität von vornherein zu stoppen oder zu verringern beziehungsweise durch Ausgleichsmaßnahmen vor Ort oder im weltweiten Naturschutz abzumildern. Dies lässt sich über das betriebliche Nachhaltigkeits und Umweltmanagement mitsteuern.

Neue Geschäftsfelder durch den Schutz von Biodiversität

Fischer: »Die gute Nachricht ist, dass sich aus dem Schutz von Biodiversität jetzt und in Zukunft vermehrt neue Geschäftsfelder entwickeln und der Schutz von Biodiversität wesentlich billiger ist als ein ›Weiter so‹.«

Der Naturproduktehersteller Herbaria ist sich seiner Abhängigkeit von einer intakten Natur mehr als bewusst, liefert doch ausschließlich sie ihm die Rohstoffe für sein Kerngeschäft. »Insofern setzen wir uns seit knapp 100 Jahren auch für Umweltu nd Naturschutz sowie den Erhalt der Biodiversität ein«, erklärt die Nachhaltigkeitsbeauftragte Inez Bachmann (29). Das Unternehmen hat diesen Anspruch in seinen Leitlinien verankert, ist entsprechend seit 1997 EMAS-zertifiziert, nutzt seit 2008 Ökostrom, wirtschaftet seit 2019 klimaneutral.

Aktiver Einsatz von Lieferanten gefordert

Herbaria schützt die Biodiversität folgendermaßen: Alle nationalen und internationalen Lieferanten müssen verbindlich erklären, sich aktiv für den Erhalt der Artenvielfalt einzusetzen, indem sie beispielsweise Kaffee ausschließlich in Waldmischkultur anbauen oder Pfeffer von Wildpflanzen ernten. »So verhindern wir Monokulturen, die der Artenvielfalt schaden, bei der Umsetzung unterstützen wir die Lieferanten«, sagt Bachmann.

Am Firmensitz selbst findet das Engagement für mehr Biodiversität seinen im Wortsinn vielfältigsten Ausdruck in den artenreichen Blühflächen, einer ökologisch wertvollen Streuobstwiese und in Hecken. »Wir verzichten selbstverständlich auf chemischen Dünger und Pestizide, mähen sehr selten – lassen der Natur, den Arten ihren Raum und ihre Ruhe.«

Blühflächen rechnen sich wie Getreide

Ein anderes Beispiel für unternehmerisches Engagement ist die Münchner BayWa AG. Sie möchte die Landwirtschaft, mit der sie seit 1923 geschäftlich und verantwortlich eng verbunden ist, mit der Gesellschaft zusammenbringen und zu einem Hebel für mehr regionale Artenvielfalt machen. Daher unterstützt sie Landwirte dabei, Blühflächen anzulegen, und hilft ihnen, dass sich das mit wenig Aufwand auch rentiert. Über die Internetplattform www.combayn.de können Unternehmen oder Privatpersonen Blühpaten für die Landwirte werden. »Die finanziellen Beiträge der Paten ersetzen die Einnahmeverluste, weil auf den Blühflächen kein Ertrag erwirtschaftet wird«, erklärt combayn-Koordinator Jacques Volland (53). »So rechnen sich Blühflächen dann wie Getreide oder Gemüsefelder.«

Die Unternehmen, die als Paten fungieren, haben ebenfalls Vorteile: Ihr Engagement macht sie attraktiver für Kunden und Mitarbeiter, sie können ihren CO2-Fußabdruck regional kompensieren. »Eine regionale und nachhaltige Win-win-Situation für Landwirtschaft, Firmen und Natur«, freut sich Volland.

»Precision Farming«

Überdies berät combayn die Landwirte, welche ihrer Flächen sich als Blühwiesen besonders eignen und welche heimischen Pflanzen am besten passen. Mit dem »Precision Farming« erhalten sie Empfehlungen, wie sie ihre Böden mit weniger Dünger und Pflanzenschutzmittel im Sinne der Artenvielfalt schonen. Derzeit sponsern rund zehn Firmen und 140 Privatpersonen insgesamt 36 Blühflächen.

Blühpakt Bayern – ein Preis für blühende Betriebe

Die Wirtschaft kann sich aber auch über den Blühpakt Bayern, ein Angebot der Bayerischen Staatsregierung, für mehr Artenvielfalt einsetzen. Er wurde 2018, noch vor dem Volksbegehren zur Bienenrettung, als Reaktion auf die Krefelder Studie ins Leben gerufen. »Mit dieser Initiative sollen wieder mehr Blühflächen und damit neue Lebensräume für Insekten entstehen«, erklärt Dagmar Schmitt (56) vom Bayerischen Umweltministerium, das den Blühpakt koordiniert.

Wie können Unternehmen den Blühpakt nutzen? Wer seine Freiflächen bereits naturnah und insektenfreundlich gestaltet hat, kann sich auf die staatliche Auszeichnung als »Blühender Betrieb« bewerben. Bislang wurden 58 Betriebe geehrt, darunter auch Herbaria.

Blühpakt-Allianz mit vielen Partnern

»Zudem haben wir die Blühpakt-Allianz ins Leben gerufen. Für diese wünschen wir uns neben anderen gesellschaftlichen Organisationen auch viele Institutionen und Verbände aus der Wirtschaft als Partner«, ergänzt Schmitt. »Jeder Beitrag zum Schutz unserer heimischen Insekten ist wertvoll.« Der Schutz der Artenvielfalt ist dabei weit mehr als ein Beitrag zum Erhalt der Biodiversität. Letztlich geht es um nichts weniger als die Sicherung unserer Lebens und damit der Wirtschaftsgrundlage.

Weitere Infos auf der Website des "Blühpakt Bayern".

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