Vor dem Durchbruch

Der Brenner Basistunnel soll den Weg über die Alpen per Zug deutlich beschleunigen. Fortschritte beim Tunnelbau lassen Oberbayerns Wirtschaft hoffen.
Von Martin Armbruster, IHK-Magazin 07-08/2025
Nur eines hat Ferdinand Kloiber an der IHK-Exkursion „Brennerkorridor Tunnelbau & Nordzulauf“ zu bemängeln. Die Bohrmaschine Wilma im Einsatz, das hätte der Geschäftsführer der Spedition Kloiber GmbH in Petershausen zu gern gesehen. Diesen Wunsch konnte ihm die Fahrt nicht erfüllen. Dennoch fand er den Tag äußerst informativ. Viele Details des Baus habe er vorher nicht gekannt, meint er. Das will etwas heißen. Als Spediteur ist Kloiber vom Fach. Sein Fazit: „Ich bin schwer beeindruckt.“
Korbinian Leitner, Referatsleiter Verkehr bei der IHK für München und Oberbayern, darf sich bestätigt fühlen. Seiner Ansicht nach bringt ein Tag am Brenner mehr als alle Positionspapiere. Jeder Besucher verstehe auf Anhieb, warum der Brenner Basistunnel so dringend benötigt wird.
Projektumfang: 10 Milliarden Euro
Nach der erfolgreichen Premiere im vergangenen Jahr hat Leitner daher Anfang Mai 2025 zum 2. Mal eine Fahrt zu dem Großprojekt organisiert. Neben Spediteur Kloiber waren knapp 50 weitere Vertreter der oberbayerischen Wirtschaft dabei.
Schon die Dimension des Baus findet Bernd Rosenbusch, Geschäftsführer der MVV Münchner Verkehrs- und Tarifverbund GmbH, faszinierend. Er spricht von einem „Jahrhundertbauwerk für die Zukunft“. Schöner hätte es Martin Gradnitzer, Vorstand der Brenner Basistunnel BBT SE, auch nicht formulieren können. Gradnitzer empfängt regelmäßig Besuchergruppen. In seinem Vortrag vor der IHK-Delegation betonte er die europäische Bedeutung, die der Tunnel habe. Es sei ein Kraftakt Italiens, Österreichs und der EU gewesen, das 10-Milliarden-Projekt auf die Beine zu stellen.
Tunnel ab 2033 im Betrieb
Gradnitzer fiebert einem Termin entgegen: Im September 2025 ist bei der 3. Röhre, dem Versorgungskanal, der Durchbruch von Italien nach Österreich geplant. Dann steht der längste Eisenbahntunnel der Welt. Man habe wegen Bürokratie und komplexen Ausschreibungsregeln Zeit verloren, räumte Gradnitzer ein. Aber jetzt stehe der Termin: Von 2033 an gehe der Tunnel in Betrieb.
Im Gegensatz zur Verkehrspolitik gibt es beim Tunnelbau stetigen Fortschritt. Die Bohrmaschine Wilma des deutschen Herstellers Herrenknecht AG aus Schwanau gräbt sich täglich 20 Meter weiter durch das Gestein. Der Besuch der Ausstellung „Tunnelwelten“ und die Führung durch die Tunnelbaustelle „unter Tage“ machten den Besuchern aus Oberbayern deutlich, welcher technische Aufwand für den Tunnelbau nötig ist.
Gesamttunnellänge: 230 Kilometer
MVV-Geschäftsführer Rosenbusch sagt, in der IHK-Delegation sei man sich einig gewesen: Der Aufwand für den Tunnel sei vertretbar – angesichts seiner Länge von 230 Kilometern und den Problemen, vor denen man im Alpentransit stehe.
Den Ernst der Lage verdeutlichen 2 Zahlen: 1968 fuhren 1,97 Millionen Fahrzeuge über die Brenner-Autobahn. 2024 waren es 14,2 Millionen. Der Stau gehört auf der A13 heute zum Alltag. Die Brenner-Autobahn ist chronisch überlastet. Korrosion, Schwerverkehr, Streusalz, Pfeilerverschiebung – das alles zeigt Wirkung.
Sommerferien: Härtetest für die Luegbrücke
Erwiesenermaßen ist die Luegbrücke baulich nicht mehr zu retten und muss ersetzt werden. Seit Jahresbeginn ist die bestehende Brücke grundsätzlich nur noch 1-spurig befahrbar. Neben den Lkw-Fahrverboten und der Blockabfertigung ist das eine weitere Belastung für den Güterverkehr im Alpentransit.
Laut Auskunft der Verkehrspolizeiinspektion Rosenheim ist trotz dieser Engstelle zumindest bis Mitte Mai das befürchtete Verkehrschaos ausgeblieben. Nach Ansicht aller Experten steht der Härtetest aber noch aus – zu Beginn der Sommerferien, wenn halb München zum Gardasee will. Und es könnte noch schlimmer kommen.
Dauer-Sanierung der Brenner-Autobahn bis 2040
Johann Cammerlander, Gemeinderat der benachbarten Gemeinde Gries am Brenner, sagte in einer BR-Reportage, er fahre nicht mehr über diese Brücke. Die sei so marode, es könne jeden Moment zur Vollsperrung kommen. Auch politisch spitzt sich das Ganze zu. Karl Mühlsteiger, der Bürgermeister von Gries am Brenner, hat mit allen rechtlichen Mitteln versucht, den Neubau zu verhindern. Nun kündigt er Straßenblockaden an.
Das ist erst der Anfang. MVV-Geschäftsführer Rosenbusch hält die Aussage für bemerkenswert, dass die Brenner-Autobahn bis 2040 durchgehend saniert werde, weil alle Brücken marode seien. IHK-Experte Leitner sieht darin eine Belastung für die gesamte bayerische Wirtschaft. Schließlich liegt das Handelsvolumen zwischen Bayern und Italien bei jährlich etwa 30 Milliarden Euro.
Politik als Bremsklotz
Die Politik hat die Misere zwar kommen sehen, aber nichts zu ihrer Lösung beigetragen. Die Alpenländer Bayern, Tirol und Südtirol hatten sich auf den Vorschlag eines Slotsystems für den Lkw-Verkehr verständigt, doch die Regierungen in Berlin, Wien und Rom zeigten bislang kein Interesse an der Umsetzung. Stattdessen hat Italiens stellvertretender Ministerpräsident Matteo Salvini (Partei Lega) Österreich vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt.
So weit, so verfahren. Nur die Stärkung der Schiene und der Brenner Basistunnel wecken Hoffnung. Ist der Tunnel fertig, gibt es in Richtung Italien keine Steigungen mehr. Güterzüge kommen mit einer einzigen Lok aus und können bis auf 740 Meter verlängert werden.
Vision: täglich 400 Güterzüge nach Italien
Personenzüge schaffen es in 25 Minuten von Innsbruck bis Franzensfeste. Den Spediteur Kloiber bringt das ins Schwärmen: Alle 2 Minuten könne dann ein Güterzug Richtung Italien „geballert“ werden. BBT-Sprecher Gradnitzer geht davon aus, dass täglich bis zu 400 Güterzüge durch den Tunnel rollen werden.
Hermann Blomeyer, Leiter der Umweltabteilung der Flughafen München GmbH, findet das hoch spannend. Er sagt, schon heute habe der Flughafen als Drehkreuz von internationalem Rang Passagiere aus Tirol und Südtirol. Auch wenn Personenzüge nur einen Anteil von 20 Prozent des Schienenverkehrs durch den Basistunnel ausmachen sollen, könne dies dennoch mehr Passagiere aus dem Norden Italiens nach München bringen.
Bürger frühzeitig einbinden
Als umso peinlicher werten die Teilnehmer der Brenner-Exkursion die Performance der deutschen Verkehrspolitik. MVV-Chef Rosenbusch lobt, wie konsequent das Projekt in Österreich umgesetzt werde. Anfangs habe es auch dort Widerstände gegeben, aber irgendwann hätten alle erkannt, dass es eine Lösung braucht, wenn man nicht im Schwerverkehr ertrinken wolle.
Der Spediteur Kloiber hält das für die entscheidende Erkenntnis der Exkursion: wie gut es die Österreicher hinbekommen, das „Jahrtausendprojekt“ umzusetzen. Die Verantwortlichen für den Tunnel nahmen die Bürger frühzeitig mit und suchten den Dialog.
Anderes Mindset bei „Sowieso-Maßnahmen“
Einen weiteren Grund sieht Kloiber im „Mindset“, in einer anderen Denkweise als hierzulande. Der Tunnel und seine Zulaufstrecken seien „Sowieso-Maßnahmen“: Jedem sei klar, dass sie kommen müssen. Das sei eben typisch deutsch – zögern und verschieben, bis alles noch teurer und schwieriger werde.
Deutschland unter Zugzwang
IHK-Fachmann Leitner gibt sich als Fazit der Exkursion optimistisch. Die Fortschritte beim Tunnelbau setzten die Bundesregierung unter Zugzwang, die von der Bahn geplante Trasse für den Brenner-Nordzulauf auch umzusetzen. Im Herbst 2025 werde sich der Bundestag mit der Finanzierung befassen. Leitner erwartet grünes Licht für den Trassenbau. „Deutschland hat sich in 3 Staatsverträgen zum Bau der Zulaufstrecke bekannt. Das lässt sich nicht länger verschieben“, betont der IHK-Experte.
Container-Terminals aufstocken
Nach Ansicht von Christoph Gasser-Mair, Sprecher der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB), muss sich Grundlegendes ändern, wenn der Brenner Basistunnel sein Potenzial ausschöpfen soll. Dem BR sagte der ÖBB-Mann, durch den Tunnel dürfe die Fracht nur in Containern rollen. Aber weder in Trento noch in Bayern gebe es genügend Terminals, um die Container zu verladen.
Tunnel muss sich rechnen
Eine weitere Bedingung sei ein fairer Wettbewerb zwischen Lkw und Bahn. Davon sei man noch meilenweit entfernt. Als Beispiel nannte der ÖBB-Sprecher, dass Lkws auf den meisten Straßen kostenlos fahren könnten, während ein Güterzug für jeden gefahrenen Kilometer auf jeder Trasse bezahlen müsse. Georg Dettendorfer, Spediteur und IHK-Vizepräsident, sieht das genauso: Die Fahrt durch den Tunnel mag noch so spektakulär sein, am Ende muss sie sich für den Kunden rechnen.
Sicher ist: Was rund um den Brenner passiert, wird Bayerns Wirtschaft weiter beschäftigen. Die IHK arbeitet daher auch an der Vorbereitung einer weiteren IHK-Brenner-Exkursion.