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Zehn Meter pro Tag – die IHK-Exkursion führte auch zur Baustelle Brenner Basistunnel

Die Sanierung der Brennerautobahn zwingt die Verkehrspolitik zu mehr Kooperation – die IHK arbeitet mit an grenzüberschreitenden Lösungen.
 
Von Martin Armbruster, IHK-Magazin 07-08/2024

Um diese Aufgabe ist Stefan Siegele nicht zu beneiden: Siegele ist Chef der ASFINAG Alpenstraßen GmbH. Die Autobahngesellschaft beginnt 2025 das, was die Politik jahrelang verzögert hat: die Sanierung der Luegbrücke, mit knapp 2 Kilometern Länge das Herzstück der Brennerautobahn. Glaubt man manchen Medien, plant Siegele das „Chaos am Brenner“ (tz), den „Super-GAU“ (Tiroler Tageszeitung) und die „Kapazitäten-Schmelze“ am Brenner (Deutsche Verkehrs-Zeitung).

Was die ASFINAG wirklich vorhat, erklärte Siegele an einem sonnigen Freitagnachmittag Anfang Mai 50 bayerischen Unternehmern in der Autobahnmeisterei Plon in Steinach am Brenner. Die IHK-Exkursion „Brenner Transitverkehr – Tunnelbau und Autobahn“ machte die Diskussion möglich, die Idee dazu hatte IHK-Verkehrsexperte Korbinian Leitner. Seinen Worten zufolge ging es dabei um mehr als darum, Baustellen zu besichtigen. Die Exkursion sollte deutlich machen, wie dringend auch die Verkehrspolitik eine Sanierung braucht.

Lage am Brenner „maximal schlecht“

Dafür lieferte die Exkursion gute Argumente. Schon zum Auftakt fuhr die IHK-Delegation im Reisebus an stehenden Lkws vorbei – Blockabfertigung zwischen Kufstein und Kiefersfelden, wie das vor einem Wochenende eben so ist. IHK-Vizepräsident Georg Dettendorfer stimmte danach die Teilnehmer schon einmal ein. Er sagte, die Lage am Brenner sei „maximal schlecht“.

Oliver Schwedes, Verkehrsforscher an der TU Berlin, hält diesen Zustand für programmiert. Er erklärte im ZDF, warum die Politik seit 20 Jahren für die Sanierung der Infrastruktur so wenig unternimmt: Das koste Geld und bringe Ärger. Mit Staus, Baustellen und Umleitungen ließen sich keine Wähler gewinnen.

Alternativlos im Gütertransport: der Lkw

Wohin das führt, lässt sich im Sauerland besichtigen. 2023 erfolgte dort die Sprengung der Talbrücke Rahmede, der höchsten Autobahnbrücke Deutschlands. Seitdem rollen täglich 6.000 Lkws mitten durch Lüdenscheid. Ein Albtraum-Szenario, das auch dem Transitverkehr über die Alpen droht. Die Infrastruktur ist überlastet und veraltet. Neben der Luegbrücke müssen auf der A 10-Tauernautobahn, der zweiten wichtigen Nord-Süd-Achse, Tunnel saniert werden. Auf der bayerischen Seite stehen auf der A 8 Brückensanierungen und eine Fahrspurerweiterung an.

Das alles wäre nur halb so tragisch, wenn es für den Schwerverkehr eine Alternative zur Straße gäbe. Spediteur Dettendorfer bezeichnet aber auch den Zustand der Bahn als „maximal schlecht“. Der Gütertransport auf der Schiene sei zu teuer, zu langsam, zu unpünktlich, die Infrastruktur ebenfalls sanierungsbedürftig. Folge: Der Tauern-Eisenbahntunnel wird von November 2024 an für 8 Monate gesperrt.

Luegbrückensanierung „hochpolitisch“

Das ist erst der Anfang. Die Deutsche Bahn wird 2027 den hoch belasteten Bahnkorridor von München nach Rosenheim für die Sanierung komplett sperren, was für noch mehr Verkehr auf der Straße sorgen wird. Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) sagt voraus, dass die Sanierungswelle Bayerns Wirtschaft schädigen werde.

Intensiv wie nie zuvor beschäftigt sich die IHK daher mit dem Alpentransit – mit mehreren Veranstaltungen schon in der ersten Hälfte 2024. Keine davon machte so deutlich, was in der Verkehrspolitik schiefläuft, wie das Gespräch am Brenner in der Autobahnmeisterei. ASFINAG-Chef Siegele nannte das Vorhaben Luegbrücke „hochpolitisch“. Und das ist noch untertrieben.

Tunnel als Alternative umstritten

Neubau oder Tunnel? Darüber wurde in Österreich jahrelang auf allen Ebenen gestritten. Alle mischten mit, FPÖ, Grüne, ÖVP, SPÖ, die Neos. Die Gemeinde Gries hat das Projekt mit allen rechtlichen Mitteln bekämpft und um Jahre verzögert. Günther Platter (ÖVP), bis Oktober 2022 Landeshauptmann Tirols, wollte den Tunnel. Sein Nachfolger und Parteifreund Anton Mattle gab diesen Plan wegen „technischer Gründe“ auf: Der Tunnelbau würde 15 Jahre Zeit und mehr als eine Milliarde Euro kosten.

Einen Tag, bevor die IHK-Delegation bei der ASFINAG eintraf, hatte das Tiroler Landesverwaltungsgericht eine Beschwerde der Gemeinde Gries abgewiesen. Bürgermeister Karl Mühlsteiger kündigte eine „außerordentliche Revision“ beim Bundesverwaltungsgerichtshof an. Nötigenfalls will er mit Sitzblockaden auf der Autobahn die Bundesregierung in Wien und die EU-Kommission zum Eingreifen zwingen.

Hauptschlagader der europäischen Wirtschaft

In der Sache hat die Statik längst entschieden. Den Teilnehmern der IHK-Exkursion versicherte Siegele: „Wir wollen diese Brücke am Leben halten.“ Eine gute Nachricht auch für Bayerns Wirtschaft. Ursprünglich war die Vollsperrung geplant.

Im Tiroler Wipptal geht es nicht um eine normale Autobahnbaustelle. Dort ist eine Hauptschlagader der europäischen Wirtschaft bedroht. Über die Brücke rollen pro Jahr 2,5 Millionen Lkws, mehr als die Hälfte des alpenquerenden Güterverkehrs und Waren im Gesamtwert von mehr als 100 Milliarden Euro. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) betont, dort werde über Deutschlands Wohlstand entschieden.

Vor dem Neubau Ausweichrouten sichern

Bautechnisch hat sich die ASFINAG für die anspruchsvollste Variante entschieden. Während der Verkehr einspurig auf der alten Brücke weiterläuft, wird parallel dazu die neue gebaut. Das Ganze soll erst starten, wenn über die Ausweichroute A 10 wieder Verkehr umgeleitet werden kann. Der Neubau wird rund 3 Jahre dauern. Siegele machte sehr klar, was das für den Schwerverkehr bedeutet: noch mehr Tage mit „Dosierung“.

Einen Rückstau von bis zu 10 Kilometern hält er für akzeptabel. Im ASFINAG-Jahreskalender für 2025 sind aber Richtung Süden etwa 20 Tage violett eingefärbt. Das steht für Rückstaus von bis zu 65 Kilometern Länge. Dann müsse man handeln, erklärte Siegele, sonst sei das Inntal dicht. Unfälle, Unwetter und Erdrutsche sind nicht eingerechnet.

Fahrspurwechsel an Spitzentagen

Kann das gut gehen? Anruf bei einem Mann, der es wissen muss. Michael Schreckenberg, Inhaber des Lehrstuhls Physik und Verkehr an der Uni Duisburg-Essen, gilt als Experte für Autobahnbaustellen. Er hält das, was die ASFINAG plant, für ein großes Experiment. Aber auch für eines, das glücken kann. Als „richtig klug“ lobt er die Idee, an Spitzentagen einen „dynamischen Fahrspurwechsel“ vorzunehmen.

Verkehrsphysiker Schreckenberg hat das genau berechnet. Bei Einspurigkeit verliert die Brücke bis zu 80 Prozent ihrer Kapazität, weil das langsamste Fahrzeug das Tempo bestimmt. Wenn ein Lkw liegen bleibt, kommen alle zum Stehen. An Tagen mit viel Reiseverkehr wird die ASFINAG phasenweise 2 Spuren nur in Richtung Süden nutzen. Der Gegenverkehr wird umgeleitet. Lkws und Busse müssen Pause machen oder eine andere Route nach Italien nehmen.

Brenner-Dilemma – günstige Maut, billiger Diesel

Schreckenberg sieht in der Routenwahl einen weiteren Entlastungseffekt. Es gibt Studien, wonach ein Drittel der Lkws über den Brenner fährt, obwohl das ein Umweg ist. Laut der Erhebung „Alpenquerender Güterverkehr“ (CAFT) sind es mehr als 50 Prozent. Der Brenner zieht mit günstigen Diesel-Tankstellen und der niedrigsten Maut aller Alpenpässe Schwerverkehr an. Das könnte sich ändern, sollte die Dauerbaustelle auf der A 13 Staus und Wartezeiten provozieren.

Ziel: Baustellen rechtzeitig ankündigen

Hoffnung macht auch das anlaufende Teamwork für den Alpentransit. Das Bundesverkehrsministerium erklärt, die Niederlassung Südbayern der Autobahn GmbH bereite sich in Abstimmung mit Polizei, ASFINAG, IHK und weiteren Betroffenen auf die Notlage vor. Man arbeite an einem Kommunikationskonzept, um Unternehmen und Urlauber frühzeitig über die Baustelle zu informieren. Sogar die Eidgenossen ziehen mit. Das Schweizer Verkehrsministerium schreibt, man werde von 2025 an eine Verlagerung von Straßentransporten vom Brenner auf die Bahnangebote der Schweiz ermöglichen.

Noch mehr Güter über die Alpen

Leider hilft das wenig gegen das Kernproblem: Die Verkehrsbelastung der Brenner-Autobahn steigt unentwegt. Und sie wird sich noch verstärken. Italiens Wirtschaft wächst, die Häfen Liguriens und der nördlichen Adria wurden massiv ausgebaut. Folglich müssen noch mehr Güter über die Alpen.

Jahrhundertprojekt Brenner Basistunnel

Zweites Ziel der IHK-Busreise war daher ein Jahrhundertprojekt: Ausstieg auf dem Parkplatz vor dem „Infopoint“ der Brenner Basistunnel Gesellschaft SE (BBT) in der Franzensfeste. In der unterirdischen Baustelle bei Mauls genossen die Unternehmer in Gummistiefeln und Sicherheitswesten das Gefühl, dass sich etwas in die richtige Richtung bewegt. BBT-Sprecher Heinrich Tschigg erklärte, wie viel technischen Aufwand es erfordert, damit sich die Tunnelbohrmaschine „Ida“ 10 bis 14 Meter pro Tag durch das Gestein gräbt. Seine Botschaft: „Alles fein. Wir kommen voran.“

Bürokratie bremst den Basistunnel aus

Auf der politischen Seite läuft es weniger gut. BBT-Aufsichtsrat Martin Ausserdorfer nannte im Infopoint die Rahmenbedingungen „verrückt“. Österreich, Italien und die EU hätten in einem historischen Kraftakt 10 Milliarden Euro für den Basistunnel aufgebracht. Jetzt kämpfe man gegen Bürokratie und Vergaberecht. Statt 2028 könnten deswegen erst 2032 bis zu 200 Güterzüge täglich durch die Doppelröhre rollen.

Die große Frage: Was passiert bis dahin? Der Umweg mit dem Schiff Richtung Nordsee dürfte sich nur im Ausnahmefall rechnen. Ingrid Obermeier-Osl, Holzwerkchefin und Italien-Kennerin im IHK-Präsidium, hält den Vorschlag für absurd, den italienischen Markt aufzugeben. „Ich habe das Italien-Geschäft in Jahrzehnten aufgebaut. Meine Kunden und Lieferanten sitzen dort. Die kann ich nicht nach Polen umtopfen“, erklärt sie.

Grenzüberschreitendes Verkehrsmanagementsystem

Tatsächlich haben bislang nur die Alpenländer ein Konzept auf den Tisch gelegt, mit dem man relativ schnell auf die Not-OP der Luegbrücke reagieren könnte.  Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und die Landeshauptleute Anton Mattle (ÖVP) und Arno Kompatscher (SVP) unterzeichneten im April 2023 die „Kufsteiner Erklärung“. Sie verpflichteten sich dazu, grenzüberschreitend ein digitales Verkehrsmanagementsystem einzuführen. Ähnlich wie beim Luftverkehr sollen Slots für Lkw-Fahrten vergeben werden. Dafür würde Tirol auf die Blockabfertigung verzichten.

Angriff auf die Warenverkehrsfreiheit

Für dieses Modell müssten Italien, Deutschland und Österreich einen Staatsvertrag unterzeichnen. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hält aber von einer Lkw-Kontingentierung nichts. Seine Sprecherin nennt das einen Angriff auf die „Warenverkehrsfreiheit“. Das Slot-System bedeute, „die Blockabfertigung mittels Digitalisierung fortzusetzen“.

Italien klagt gegen Blockabfertigung

Italiens Regierung um Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (Fratelli d’Italia) hat Österreich wegen der Blockabfertigung vor dem EuGH verklagt. Der A 13 hilft das nicht. Bis zu einem Urteil wird es Jahre dauern.

Die Fachverbände machen ebenfalls Front gegen das Slotsystem. Andrea Pellegrini, Präsident von Fai Conftrasporto Trentino-Südtirol, fordert ein Ende des Lkw-Nachtfahrverbots. Wie realistisch das ist – siehe oben. Dann blockiert das Transitforum Austria-Tirol wieder die Straßen.

Auch Tourismus hängt am Auto

Nicht minder weltfremd ist die Forderung des Südtiroler Spediteurs Martin Gruber nach einer Einschränkung des Urlaubsverkehrs, damit seine Lkws ungehindert fahren. Denn ein 40-Tonner belastet die Luegbrücke so stark wie 50.000 Pkws.

Und Tourismus ist eben auch wichtig. „Kämen die Deutschen nicht mehr, wäre Südtirol pleite“, sagt Angelika Malleier, Wirtin des Götzfried Kellers in Lana. Natürlich könnten die Deutschen auch mit dem Zug nach Meran kommen. Nur ist das Bahnangebot schon beim Preis kaum interessant. Die einzige attraktive Alternative zum Auto ist der Flixbus. Und der fährt auf der Straße.

Deutscher Nordzulauf kommt 10 Jahre zu spät

Maximal schlecht ist unverändert der deutsche Beitrag zum Erfolg des Brenner-Basistunnels. Der Nordzulauf kommt 10 Jahre zu spät. Im Dezember 2024 steigt der Trassenpreis für den Güterverkehr auf der Schiene um 16 Prozent. Das bringt noch mehr Lkws auf die Straße.

Bereit, neue Instrumente auszuprobieren

IHK-Fachmann Leitner sieht dennoch Fortschritte. Endlich gebe es Bewegung in der Diskussion. Die Alpenländer seien bereit, neue Instrumente auszuprobieren. 2025 gibt es daher wieder eine IHK-Exkursion zum Brenner. Wenn es gut läuft, steht dann die Luegbrücke noch. Und die neue ist im Bau.

Selbst vom Brenner-Basistunnel gibt es Neuigkeiten. Die Deutsche Bahn kündigte an, ihre Planung für die deutsche Zulaufstrecke zügig abzuschließen. „Die Unterlagen bereiten wir bis Ende des Jahres auf“, sagte der scheidende Bahnchef in Bayern, Klaus-Dieter Josel. „Ziel ist, dass diese im Frühjahr 2025 in den Bundestag eingebracht werden.“

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