Nur keine Angst!
Ein Stimmungsbild aus der oberbayerischen Wirtschaft zeigt: Auf der Wunschliste der Unternehmen stehen vor der Bundestagswahl Reformen, Mut und Zuversicht – und Europa.
Von Martin Armbruster, IHK-Magazin 01-02/2025
Die „Woge der Erleichterung“ spürt man auch in Mittenwald. Das Ampel-Aus, die vorgezogenen Bundestagswahlen – Katrin Eissler, Vorsitzende des IHK-Regionalausschusses Garmisch-Partenkirchen und Geschäftsführerin der Spedition Neuner GmbH & Co.KG, bezeichnet das als „Geschenk“. Sie hofft auf einen politischen Neuanfang. Für den Neustart hat die IHK die Positionen der oberbayerischen Wirtschaft formuliert.
Wie viel davon realisiert werden kann? IHK-Hauptgeschäftsführer Manfred Gößl sieht das nüchtern. Auch die neue Bundesregierung werde keine Wunder wirken. Die Firmen blieben auf Monate hinaus auf sich allein gestellt. „Ob dann die nötigen Reformen mutig angegangen werden oder wieder nur verzagte Klein-Kompromisse kommen, wissen wir wohl erst im Frühjahr 2025“, sagt Gößl voraus.
„Dem Land fehlt der Schwung“
Dazu kommt ein 2. Punkt, der schwerer fassbar ist. Es gibt kein deutsches „Yes, we can“, das Euphorie erzeugen könnte. Die Ökonomin Isabella Weber, Professorin für Volkswirtschaftslehre an der University of Massachusetts Amherst, erklärt, dass Wähler, deren größte Sorge die Wirtschaft ist, nicht jemanden wollten, der wie ein VWL-Professor redet.
Dem Land fehlt der Schwung. So sieht das Unternehmerin Eissler. Sie beklagt die Trägheit der Verwaltung: „Niemand hat mehr den Mut, etwas zu entscheiden. Verantwortung wird weitergeschoben.“
Denise Amrhein, Vorsitzende des IHK-Tourismusausschusses und Chefin der Fuchsbräu Hotel GmbH, bestätigt das. Die Behörden hätten es nicht geschafft, binnen 8 Jahren über den Asylantrag eines ihrer besten Mitarbeiter zu entscheiden. Nun versucht es die Unternehmerin anders, über das neue Chancen-Aufenthaltsrecht. Sie hat den Sachbearbeiter der Ausländerbehörde darum gebeten, seinen Ermessensspielraum zu nutzen, um das Ganze zu beschleunigen. Doch der bleibe stur. Null Risiko, Dienst nach Vorschrift.
Neue Ideen statt Aggressionen
IHK-Vizepräsidentin Karin Elsperger sagt, eine Fahrt in der U-Bahn genüge, um zu spüren, wie aggressiv die Stimmung sei. Dazu trage auch der politische Kulturkampf bei. „Das zieht mich komplett runter“, klagt die Unternehmerin. Als Chefin einer Modeagentur müsse sie ständig neue Dinge ausprobieren. Wenn sie so wenig neue Ideen hätte wie die Politik, schimpft sie, könnte sie ihr Geschäft zusperren. Was jetzt helfen würde? „Etwas Positives. Darauf warte ich jeden Tag.“
Der französische Ökonom Nicolas Baverez sieht einen psychologischen Grund für Deutschlands Krise: „furchtbare Angst“. Von ungefähr kommt die nicht. Seit Monaten trenden die Hashtags „Weltkrieg“ und „Atomkrieg“ auf Elon Musks Plattform X. Rüdiger von Fritsch, ehemaliger Botschafter Deutschlands in Moskau, hält das für eine Folge der hybriden Kriegsführung Putins.
Optimistisch für die Zukunft
Beim Wirtschaftsempfang Altötting-Mühldorf mit rund 600 Gästen erklärte von Fritsch, wie Populisten Angst schüren und wie Angst die Demokratie lähmt. Seine Botschaft kam an. Die Weinhändlerin Franziska Niedermeier-Haller sagte im Anschluss: „Für mich war die schönste Aussage des Abends: Wir dürfen die Zuversicht nicht verlieren.“
Was die wirtschaftliche Zukunft des Landes angeht, äußern sich viele Unternehmer überraschend optimistisch. So sagt Denise Schurzmann, IHK-Vizepräsidentin und Geschäftsführerin der Krause Industrieschaltanlagen GmbH: „Trotz aller Probleme bin ich sicher: Wir kriegen das hin.“
Bürokratiemonster bezwingen
Wie das gelingen kann? Korbinian Baur, Inhaber eines Schmuckgeschäfts und Mitglied des IHK-Regionalausschusses Altötting-Mühldorf, fordert einen Politikwechsel. Es sei falsch, Sozialleistungen immer weiter auszubauen. „Wir müssen dafür sorgen, dass die Firmen wieder vernünftig arbeiten können“, stellt Baur fest.
Wo die Politik dringend handeln muss, macht Alexander Bitzer anschaulich. Er sei „ein Mann des Tuns“ und betreibe mit Leidenschaft seine Garten- und Landschaftsbaufirma, sagt der Unternehmer. Inzwischen habe die Bürokratie aber solche Auswüchse erreicht, dass er sein eigenes Büro fast nicht mehr betreten mag. „Das packe ich nicht mehr“, klagt er. Bitzer sucht jetzt einen Betriebswirt, der diesen Part übernimmt. Zwischenstand: kein Bewerber in 6 Monaten.
Milliarden-Projekt in Zeitverzug
Wo es in Deutschland klemmt, konnte man im November auch auf der Sitzung des DIHK-Verkehrsausschusses im Börsensaal der IHK in München erfahren. Verkehrs- und Logistikfachleute aus ganz Deutschland waren gekommen, um sich über den „Alpentransit am Brenner“ zu informieren. Martin Ausserdorfer, Direktor der Beobachtungsstelle für den Brenner Basistunnel (BBT) in der Franzenfeste, berichtete dort mit Leidenschaft über den Stand des 10-Milliarden-Euro-Projekts.
Wegen Bürokratie und Ausschreibungsregeln habe man zwar Zeit verloren. Aber nun gehe es beim Tunnel und bei der Zulaufstrecke auf der Alpensüdseite zügig vorwärts. Ausserdorfer sagte ganz klar: 2032 steht das Ding.
Kein Geld für Brenner-Nordzulauf?
Italien habe seine Häfen ausgebaut, man sei bereit für mehr Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Handel. Dereinst, wenn der Tunnel stehe, werde man mit dem Zug von München aus im Stundentakt zum Gardasee reisen. Die Zukunft müsse eine „europäische Eisenbahn“ sein.
Die darauffolgende Rede eines Managers der Deutsche-Bahn-Tochter DB InfraGo verlangte den Zuhörern dagegen einiges an Leidensfähigkeit ab. Der Inhalt: Nach 11 Jahren Arbeit gibt es für den Brenner-Nordzulauf nun immerhin eine „bürgerfreundliche Vorschlagstrasse“. Allerdings muss der Bundestag entscheiden, ob dafür noch Geld vorhanden ist. Der Südtiroler Ausserdorfer mag da die Welt nicht mehr verstehen: „Wenn ihr Deutschen dafür kein Geld habt, was sollen dann wir Italiener sagen?“
Grüne Reindustrialisierung
Dieser Stillstand, warnt die Ökonomin Weber, schwäche auch die Demokratie in Deutschland. Die Wirtschaftspolitik müsse dafür sorgen, dass sich die Menschen in ihrem Land wieder zu Hause fühlten. Sie schlägt eine „grüne Reindustrialisierung“ vor. Man müsse die Bedürfnisse der Menschen systematisch integrieren in den Ausbau einer grünen Infrastruktur. Das heißt zum Beispiel: Solarpaneele auf Parkhäusern und Supermärkten und entlang der Autobahnen, kombiniert mit mehr Schallschutz.
Spannend an dieser Idee: Sie wird in Südostbayern mit der „Innovationsachse A94“ schon umgesetzt. Entlang der Autobahn sollen E-Ladesäulen sowie Wasserstofftankstellen entstehen und sich Start-ups ansiedeln. Mühldorfs Landrat Max Heimerl (CSU) ist überzeugt: So könnte die Zukunft bundesweit aussehen.
Unternehmerischer agieren
Szenenwechsel auf die internationale Bühne. Zum Außenhandels-Event IHK Trade & Connect 2024 Ende November kamen rund 300 Teilnehmer, um sich über internationale Geschäftschancen zu informieren. Für seine Begrüßung wählte IHK-Hauptgeschäftsführer Gößl als Hintergrundbild das Cover des Wirtschaftsmagazins „The Economist“: Es zeigt einen Golfschläger mit Gravur „47“ auf dem Schlägerkopf, kurz bevor dieser die Erdkugel trifft. Kein Zweifel: Wir stehen vor einer Zeitenwende – Donald Trump ist zurück als 47. Präsident der Vereinigten Staaten.
Am Stand der Onlinemarketing-Agentur eviom GmbH spürte man dennoch nichts von Resignation. Geschäftsführer Nils Horstmann geht engagiert zur Sache. Deutschland müsse weniger politisch, sondern unternehmerischer agieren, sagt er. Wenn man in China, einem Markt mit 1,4 Milliarden Menschen, mitspielen wolle, müsse man Respekt zeigen vor Chinas Geschichte, Politik und Kultur.
Macher gefragt
Seiner Meinung nach brauche es in der Politik einen „Macher“, der schnell entscheide und gegen Bürokratie hart durchgreife. Auch Europa sei in einer schlechten Verfassung. „Momentan sehe ich nur Angst und Duckmäuserei“, kritisiert der Unternehmer. Er wünscht sich von der neuen Bundesregierung europäisches Denken.
Vertrauen in Europa zurückgewinnen
Zuletzt habe sich Deutschland allerdings antieuropäisch verhalten, sagt Laura von Daniels von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. „Bei den Einfuhrzöllen für Elektrofahrzeuge aus China hat sich das gut gezeigt. Wir sind da als EU-Mitgliedstaat ausgeschert“, so von Daniels. Es sei eine wichtige Aufgabe der neuen Regierung, in Europa wieder Vertrauen aufzubauen. Gemeinsam sollte sich einiges bewegen lassen – in Europa und in Deutschland.