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Für Digitalisierung begeistern – auch eine Aufgabe des CDOs

Ein Chief Digital Officer kann die digitale Transformation im Unternehmen voranbringen. Wo liegen die Vorteile? Welche Hürden gibt es?

JOSEF STELZER, EVA SCHRÖDER, Ausgabe 07-08/2022

Wer soll in der betrieblichen Digitalisierung die Fäden in der Hand halten? Manche Unternehmen setzen hierzu auf einen Chief Digital Officer, kurz CDO, der die digitalen Initiativen antreiben und zusammenführen sowie neue Geschäftsfelder erschließen soll.

CDO in jedem 5. Unternehmen

Nach einer Umfrage, die der Digitalverband Bitkom Ende 2021 bundesweit bei mehr als 600 Unternehmen durchführte, hat jedes fünfte eine solche Position geschaffen. Sechs von zehn Mittelständlern bezweifeln aber die Notwendigkeit einer zentralen Stelle mit Verantwortung für die Digitalisierung im Unternehmen.

Ist der CDO also eine Frage der Firmengröße oder der Unternehmenskultur? Welche Vorteile kann eine solche Position bieten?

Bei der Münchner TÜV SÜD AG mit 25.000 Mitarbeitern weltweit fungiert Dirk Schlesinger (57) als Chief Digital Officer. Schon 2015 übernahm er die damals neu geschaffene Position direkt unter dem Vorstand. Mittlerweile besteht sein Digitalteam aus 70 Experten an mehreren Standorten. Zu seinen Digitalisierungsprojekten gehört unter anderem ein E-Business-Portal, das die TÜV-SÜD-Kunden seit 2020 nutzen, sowie eine Komplettlösung zur Aufzugsfernüberwachung, die gemeinsam mit dem Geschäftsbereich Aufzug und Fördertechnik entwickelt wurde.

»Der CDO muss für die Digitalisierung begeistern«

Damit etwa diese intelligente Software zustande kommen konnte, waren Koordination und die Fähigkeit zum Ausgleich verschiedener Interessen gleichermaßen gefragt. »Der CDO muss für die Digitalisierung begeistern«, bringt es Schlesinger auf den Punkt. »Technologiekompetenz reicht nicht aus, nötig sind ebenso Kommunikationsfähigkeit und viel Überzeugungskraft.«

»Schlüsselfrage fürs Überleben«

Christopher Meinecke, Leiter Digitale Transformation des Digitalverbands Bitkom, meint sogar: »Der Digitalisierungsdruck hat in den vergangenen zwei Jahren derart zugenommen, dass das Angehen zentralisierter Digitalsteuerung in einer Firma heute zu ihrer Schlüsselfrage wird.« Die jeweilige Antwort der Firmenleitung entscheide darüber, welche Unternehmen in zehn Jahren noch bestehen werden. Dazu sei Sendungsbewusstsein eines CDO in gleich mehrere Richtungen nötig, so Meinecke: »Er muss einerseits die Firmenleitung piksen und stetig herausfordern. Andererseits braucht er aber ihre Rückendeckung, um auch Unangenehmes auszusprechen, anzupacken und disruptiv zu wirken.«

Abläufe hinterfragen

Im Abgleich mit der Firmenstrategie Denkfreiräume und entsprechende Ressourcen zu erhalten, beinhalte laut Meinecke, das aktuelle Geschäftsmodell und heute noch funktionierende Prozesse zu hinterfragen. »Eine Person als zentralen Anlaufpunkt in der Firma für die Verzahnung von Prozessen und Technologien zu benennen, passend zu den strategischen Zielen, ist wegen eines unabhängigen Monitorings und klarer Verantwortlichkeit wichtig.«

Alle Veränderungen aufzuzeichnen und agil vorzugehen, empfiehlt auch Armin Barbalata (51), CDO bei der IHK für München und Oberbayern: »Wir ändern bei Bedarf jeden einzelnen Schritt, prüfen die Zwischenergebnisse, testen dann wieder. Und das so lange, bis die passenden Resultate vorliegen.« Auf diese Weise setzte er beispielsweise das IHK-Serviceportal um, das eine Vielzahl von Onlinedienstleistungen ermöglicht, sowie die Webanwendung Cert4Trust, mit der Aus- und Weiterbildungszeugnisse sicher und schnell überprüfbar sind.

Es liege auf der Hand, dass Digitalchefs den vollen Rückhalt der Unternehmensführung benötigen, sagt der Diplom-Informatiker Barbalata: »Erforderlich sind zudem tiefe Kenntnisse der Geschäftsprozesse, enger Austausch mit den Fachbereichen und die Fähigkeit zu vernetztem Denken.«

Nicht leicht zu finden

Solche Digitalisierungsexperten seien grundsätzlich gar nicht so leicht und bezahlbar am Markt zu finden, wie sich manch digital affiner Firmeninhaber das erhoffe, meint Bitkom-Experte Meinecke: »Deshalb lohnt es sich gerade für Mittelständler, unter ihren Mitarbeitern Ausschau zu halten und passende Charaktere durch gezielte Weiterbildungen zu entwickeln.« Manche Mitarbeiter wachsen auch in diese Aufgabe hinein.

Digitalisierung als Team meistern

Die Nadler Straßentechnik GmbH in Schweitenkirchen hat bisher ohne offiziellen Chief Digital Officer agiert. Christian Kreitmair (44) startete vor 17 Jahren im Vertriebsinnendienst, ist heute dessen Leiter und bewährte sich zwischenzeitlich als Assistent der Geschäftsleitung. Für die Neuausrichtung des Unternehmens zuständig, hat er sich ins Thema eingearbeitet und bringt mit zwei Kollegen die betriebliche Digitalisierung gleichsam im Team voran.

Beispiele hierfür sind das 2019 bei Nadler installierte Dokumentenmanagementsystem, mit dem sich etwa Lieferscheine und Rechnungen digitalisieren und archivieren lassen, der neue Webshop des Unternehmens oder Onlineschulungen für Staplerfahrer.

Kreitmair zufolge sei es denkbar, dass »künftig ein CDO, der sich ausschließlich mit Digitalisierungsvorhaben beschäftigt, unsere Projekte führen wird«. Zumal die Umsetzung der komplexen Digitalisierungsvorhaben immer mehr Spezialwissen erfordere, etwa für den weiteren Ausbau des Onlineshops oder im Rahmen der Schnittstellenoptimierung für den Datenaustausch mit Kunden und Lieferanten, aber auch firmenintern.

Für Sabine Richartz, Gründerin und Geschäftsführerin der A2B Business Service GmbH, Hallbergmoos, sind digitale Geschäftsprozesse Alltag. Die Firmenchefin hat in München, Düsseldorf, Hamburg sowie in Frankfurt am Main einen Limousinen- und Chauffeurservice mit eigenem Fuhrpark und bis zu zehn Fahrzeugen pro Standort aufgebaut. Oberklasselimousinen fahren ihre Kunden zum Beispiel vom Flughafen ins Hotel. Tagesausflüge und Shuttle-Dienste für Messen oder Konzerte gehören ebenfalls zum Angebot.

IT-Freelancer für Spezialaufgaben

Die Unternehmerin hat sich bewusst dagegen entschieden, einen CDO anzustellen: »Nicht nur aus Kostengründen, sondern vor allem wegen der zahlreichen branchen- und unternehmensspezifischen Besonderheiten.« Allein die Aufgaben zur Fahrzeugsteuerung erfordern umfangreiches Spezialwissen und Branchenkenntnisse, die kaum jemand im gewünschten Umfang mitbringe. Für bestimmte Programmieraufgaben setzt Richartz auf erfahrene IT-Freelancer, die Lösungen für die zentrale Verwaltung aller betrieblich eingesetzten Smartphones entwickelt haben.

Digitale Fäden in der Hand halten

Ein weiterer Digitalisierungsschritt war zuletzt der Umstieg auf Cloud-Lösungen für Office-Programme. Damit sind die jeweils aktuellen Daten und Dokumente für alle Fahrer per Smartphone sofort verfügbar, unabhängig vom jeweiligen Standort. »Im nächsten Schritt wollen wir die digitale Anbindung unserer Kunden voranbringen, hierzu arbeiten wir eng mit ihnen zusammen«, betont Richartz – und sagt als Gründerin mit hoher digitaler Affinität: »Ich halte die digitalen Fäden meiner Firma am liebsten selbst in der Hand.«

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