Der Countdown läuft

Unbekanntes erforschen, Neues wagen, Chancen nutzen – so lässt sich die Erfolgsgeschichte des Start-ups Isar Aerospace zusammenfassen. Wichtiger Wachstumsfaktor: das richtige Timing.
Steffi Sammet, Ausgabe 01/21
Die Gründungsgeschichte der Isar Aerospace Technologies GmbH verläuft bislang beeindruckend geradlinig: Drei Studenten betreiben Höhenforschung für Raketen in den Werkstätten der Technischen Universität München, in denen die Studierendengruppe WARR (wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft für Raketentechnik und Raumfahrt) tätig ist. Dort entwickeln sie kleine Triebwerke.
Kaum haben die Studenten einen kurzen Film zum Projekt online gestellt, kommen schon die ersten Anfragen, ob sie die Triebwerke auch für den kommerziellen Markt bauen könnten.
»Also haben wir uns den Markt angeschaut, festgestellt, dass Unternehmen wenig Know-how im Bereich Raketenantrieb haben, und beschlossen, Trägerraketen zu entwickeln«, erzählt Daniel Metzler, der Isar Aerospace 2018 gemeinsam mit Josef Fleischmann und Markus Brandl gegründet hat.
Spezialisten für kleine Trägerraketen
Seither konzentriert sich das Start-up mit Sitz in Ottobrunn bei München auf den Bau kleiner Trägerraketen, die Satelliten bis zu einem Gewicht von 1.000 Kilogramm in den Orbit befördern. Etwa 100 Mitarbeiter entwickeln, planen und fertigen derzeit am Produktionsstandort vor den Toren Münchens und an Teststandorten im oberbayerischen Reischach und im schwedischen Kiruna.
Kaum ein anderes Start-up in Deutschland demonstriert aktuell so nachdrücklich, wie sich ein neuer Markt entwickeln lässt.
Seinen Anfang nahm das Projekt im Rahmen der Programme »ESA Business Incubation Center« der Europäischen Weltraumbehörde ESA sowie »Xpreneurs« von UnternehmerTUM, dem Zentrum für Innovation und Gründung an der Technischen Universität München (TUM). Inzwischen sei das Interesse von potenziellen Kunden an dem Service von Isar Aerospace auf einen höheren dreistelligen Millionenbetrag gewachsen, sagt CEO Metzler. Der erste Start ist bis Jahresende 2021 geplant, der Beginn der Serienproduktion mit bis zu 20 Raketen jährlich unmittelbar danach.
Kleinsatelliten im Internet-Warenkorb
Die Basis für den vielversprechenden Start des Unternehmens liegt im Zusammenspiel wesentlicher Faktoren. »Noch vor drei Jahren hätte ich kaum Chancen gesehen, so ein Unternehmen erfolgreich auf die Füße zu stellen«, gibt selbst Metzler zu. Doch jetzt treffen der 28-jährige Österreicher und seine Mitstreiter mit ihrem Geschäftsmodell auf einen Markt, der sich stark wandelt: In den vergangenen 40, 50 Jahren wurde die Raumfahrtindustrie nur von staatlicher Seite angetrieben. Bis 2005 nahm die Zahl an Raketenstarts sogar ab. Die Wende kam durch technische Innovationen: »Inzwischen lassen sich Kleinsatelliten im Internet zusammenstellen und in den Warenkorb legen«, stellt der Gründer fest.
1.000 neue Satelliten jährlich im Weltraum
Experten rechnen mit bis zu 1.000 neuen Satelliten jährlich im Weltraum. Mit der wachsenden Zahl an Satelliten, die im Orbit Daten und Bilder für Landwirte, Versicherungen, das Militär oder Regierungen sammeln sollen, kommt der Frage nach ihrer Beförderung »eine immens wichtige Bedeutung zu«, sagt Metzler.
Kosten-Nutzen-Relation beim Transport ins All
Aktuell müssen Unternehmen zwischen 30.000 und 60.000 Euro für einen kleinen Satelliten bezahlen, um ihn ins All transportieren zu lassen – pro Kilogramm. Isar Aerospace will indes ein Transportmittel zu erschwinglichen Kosten anbieten. »Wir möchten diesen Preis auf 10.000 Euro je Kilogramm reduzieren«, sagt Metzler. »Schließlich kauft man sich auch kein Buch für 20 Euro und bezahlt für den Versand 50 Euro.« Mit einem weiteren Vergleich fährt er fort: »Gleichzeitig muss die Größe der Rakete passen: Sie fahren ja auch nicht allein mit einem Bus ins Büro, oder?«
Satelliten in Schuhkarton-Größe
Raketen, die für eine Nutzlast von maximal 1.000 Kilogramm ausgelegt sind, seien bisher Mangelware, sagt Metzler. In diese Lücke soll »Spectrum« stoßen: eine zweistufige Trägerrakete, 27 Meter lang, zwei Meter im Durchmesser und maßgeschneidert für den Transport bis zu 1.000 Kilogramm schwerer Satelliten in die erdnahe Umlaufbahn – und die sind manchmal nur so groß wie ein Schuhkarton. Ein Motor der zweiten Stufe mit mehreren Zündern ermöglicht großen Satellitensystemen einen Zugang zum Weltraum.
Um Entwicklungs- und Produktionskosten einzusparen, will Isar Aerospace identische Triebwerke einsetzen. »Bislang werden die erste und zweite Stufe von Trägerraketen in Europa mit unterschiedlichen Triebwerken ausgestattet«, erklärt Metzler.
Namhafte Investoren an Bord
Die Idee, eine kostengünstige Trägerrakete für den kommerziellen Betrieb zu entwickeln, kommt auch bei Investoren gut an. Im Dezember 2020 schloss Isar Aerospace eine Investitionsrunde in Höhe von mehr als 14 Millionen Euro ab. An der Runde beteiligten sich namhafte Investoren wie Earlybird, Airbus Ventures, Vito Ventures, UVC Partners und Angermayers Apeiron Investment Group. Auch Bulent Altan, ehemaliger Chefingenieur bei SpaceX – dem Raumfahrtunternehmen von Elon Musk –, nahm an der Runde teil.
Der richtige Starttermin
CEO Metzler schreibt den bisher erfolgreichen Werdegang von Isar Aerospace auch dem richtigen Timing zu: »Bei so einem Unternehmen spielt Glück schon eine Rolle. Einen besseren Zeitpunkt für die Gründung hätten wir wohl nicht erwischen können.« Der Luft- und Raumfahrttechniker ist davon überzeugt, dass die europäischen Investoren zu einem früheren Zeitpunkt keinesfalls in so ein Start-up investiert hätten. »Und später hätte bedeutet, dass man wahrscheinlich den amerikanischen und chinesischen Unternehmen hinterhergehinkt wäre.« Im Nachhinein, ergänzt er, ließe sich alles schön erkennen und erscheine logisch. »Letztendlich aber darf man manchmal nicht lange überlegen, sondern muss machen.«
Wunsch: Startplatz in Deutschlands Norden
Zwar können die Isar-Aerospace-Trägerraketen von Schweden, Großbritannien oder Norwegen aus in den Orbit aufbrechen, aber vorsichtshalber hat der CEO jüngst auch mit Französisch-Guyana ein Abkommen geschlossen, um Spectrum von dort aus abheben zu lassen. »Am liebsten jedoch wäre mir ein Startplatz in Deutschland, denn dann müssten wir unsere Rakete nicht exportieren«, so Metzler.
Hoffnung darauf darf sich Isar Aerospace jedenfalls machen: Angesichts der Entwicklung der Luft- und Raumfahrtbranche, deren Umsatz sich laut Branchenkennern von heute 400 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren auf bis zu 1,5 Billionen Euro steigern soll, hat sich auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) Gedanken gemacht. Im Herbst 2019 präsentierte er ein Konzept für eine Raketenstartplattform in der Nordsee. Auch wenn die Pläne noch in einer frühen Phase stecken – vielleicht erfüllt sich ja schon bald Metzlers Wunsch, die Isar-AerospaceTrägerraketen von Deutschland aus auf ihre Reise ins All schicken zu können.