Der Heimatforscher

C.A. Hellhake ©
Kabarettist Richard Oehmann (rechts) mit Josef Parzefall

Richard Oehmann ist Singspielautor am Münchner Nockherberg und ein Kabarettist in bester Kasperltradition – auf und hinter der Bühne. Das Gegenteil von einem Lokalpatrioten und trotzdem ein Bewahrer von Dingen, die es braucht.

Cornelia Knust, Ausgabe 10/20

»Heimat muss man sich auch leisten können.« Diesen Satz spricht Uschi Glas alias Apanatschi im Nockherberg-Singspiel von 2018, verkleidet als Immobilienhai im Indianerkostüm. Die betroffenen Ureinwohner, die ihre Westernstadt verlassen oder »mal mit ihrer Hausbank reden« sollen, kommen bald zu dem Schluss: »So schee is da a wieder net.«

»Man muss nicht andauernd lokalpatriotisch sein.«

Autor und Regisseur Richard Oehmann hatte sich in diesem ersten Singspiel unter seiner Führung (zusammen mit Stefan Betz) gleich am Heimatbegriff abgearbeitet. 2019 war es dann das »kleine Glück«, der »Dusel«, der die drohende Katastrophe von der Heimat abwendet. Oehmann (53), Autor, Musiker, Puppenspieler, scheint dennoch ein gespaltenes Verhältnis zu dem Begriff Heimat zu haben. Im Gespräch reagiert er zunächst gereizt: »Mir geht das Heimatgeschwätz in Bayern auf die Nerven. Man muss nicht andauernd lokalpatriotisch sein.«

Bissiger Humor für eine Liebeserklärung an die Heimat

Das wird so stimmen, klingt aber weniger harsch, wenn man Oehmanns sonstige Aktivitäten kennt: »Dr. Döblingers wertvolles Kasperltheater« (zusammen mit Josef Parzefall) und die Band »Café Unterzucker« (zusammen mit Tobias Weber). Mit bissigem Humor, schrägen Songs und ausgefeilter Stimmimitation wird da zwar viel Konservatives hochgenommen. Doch im Grunde ist Oehmanns Kunst eine einzige Liebeserklärung an die Heimat. Beim Kasperl wird die Rettung einer seltenen Schmetterlingsart oder einer Magerrasenpflanze wie dem »Wiesenknopf« betrieben. Da wird die Sprengung eines Heimatmuseums in letzter Minute verhindert oder für den lokalen Einzelhandel demonstriert (genauer, gegen die Schließung eines gut sortierten Haushaltswarengeschäfts).

Kindheit in Weilheimer Künstlerfamilie

Da wird gezeltelt, gekickt, auf Traktorreifen geschwommen, mit der Zwille geschossen, »Himbeerschlaaz« verzehrt oder was das Leben sonst noch an einfachen Freuden zu bieten hat. Kommt hier Oehmanns eigene Kindheit in Weilheim im Schoß einer Künstlerfamilie zum Tragen? »Vielleicht«, räumt er ein. Denn den besagten Haushaltswarenhändler »Koppelhuber« hat es in Weilheim tatsächlich gegeben. Und Oehmann war damals lang genug als Jugendleiter auf der Insel Lindenbichl (Libi) im Staffelsee tätig, um den höheren Wert von »Arschbombe und Lagerfeuer« zu kennen.

Vom kleinen Glück

Das einfache Leben, das kleine Glück, das scheint Oehmann nicht nur den Kindern zu predigen, sondern auch den Erwachsenen, die es aus der eigenen Kindheit eigentlich besser wissen müssten. »Mit guten Brezen waren wir recht zufrieden«, erinnert er sich. »Schokolade hat es ab und zu gegeben, heute hat sie jeder Haushalt vorrätig. Ein Videorecorder war ein Luxusprodukt, jetzt gibt es alles immer.«

Ehrgeiz für die Erhaltung des Oberbairischen

Sendungsbewusstsein will Oehmann jedoch nicht haben und schon gar keine pädagogischen Absichten, wie er versichert. Nur bei der Erhaltung bestimmter Wörter und Redewendungen aus dem Oberbairischen räumt er einen gewissen Ehrgeiz ein. Zum Beispiel freut er sich am Ausdruck »Watscheints«, den er auf hiesigen Bolzplätzen der 1980er-Jahre verortet und grob mit »wahrscheinlich« übersetzt. Oehmann war ja selbst ein Bolzplatzkind und antwortet noch heute in Interviews auf die Frage nach seiner größten Leistung: »Drei Tore gegen Peißenberg in der C-Jugend.«

»Komödie ist kein Ausbildungsberuf.«

Der Mann, der seit drei Jahren im Auftrag der Paulaner-Brauerei zur Starkbierzeit die deutschen Politiker hochnimmt, hat nie Theaterwissenschaften, Musik oder Regie studiert. »Ich bin einfach zufällig Kasperlspieler geworden«, beschreibt Oehmann seinen Karriereweg. »Komödie ist kein Ausbildungsberuf. Das lernt man nur durch Spielen, Spielen, Spielen.« Schon als Schüler hat er gern Geschichten geschrieben. Nach dem Abitur schloss er sich für drei Jahre einem Wandertheater an. Dort lernte er Josef Parzefall kennen, mit dem er sein eigenes mobiles Kasperltheater aufmachte. Das geht noch heute mit den beiden auf Tour.

Unsichtbar als Kasperlspieler oder Regisseur

Zum Singspiel am Nockherberg kam Oehmann, weil Filmregisseur Marcus H. Rosenmüller ihn fragte, ob er mal mitmache; Rosenmüller habe ihn und Betz später als Nachfolger vorgeschlagen. Als Kasperlspieler oder Regisseur ist Oehmann während der Vorstellung unsichtbar. Seit 2013 steht er aber mit »Café Unterzucker«, der »Band für ungesüßte Kinderkultur« auch selbst auf der Bühne – mit seinem Libi-Kumpel Tobi Weber. Die übrigen Bandmitglieder kennt er größtenteils noch aus der Schule. Rund 40 Auftritte absolvieren sie in einem normalen Jahr. »Die Frage ist, wie lange das live noch geht«, sagt Oehmann mit Blick auf sein junges Publikum. »Wir sind alles 50-Jährige, nur die Frauen sind jünger.«

Engagements nur jahresweise

Am Nockherberg lobt er das »Super-Ensemble«, das inzwischen so etabliert sei wie ein Kasperltheater oder die Muppet-Show. Das Engagement werde nun immer jahresweise verlängert: »Wir sind froh, wenn wir das noch ein paarmal machen können.« Dass die Veranstaltung 2020 wegen der Coronapandemie so kurzfristig abgesagt wurde, nimmt Oehmann sportlich: »Wir sind alle bezahlt worden. Es ist nur ein Singspiel.« Mit der Grundidee für 2021 könne er sich erst jetzt im Herbst langsam befassen: »Gerade während Corona ist vieles in der Politik sehr schnell wieder überholt«.

Botschaft vom Kasperl an die Unternehmer

Wirtschaftsführer kommen auf der Bühne des Nockherbergs bisher nicht vor. »Die Leute aus der Wirtschaft sind nicht bekannt genug, und die Zusammenhänge sind zu kompliziert, um als Klamauk zu funktionieren«, sagt Oehmann. Dabei hat der Künstler durchaus eine starke Meinung zu Wirtschaftsthemen. Auch ist er ja selber Unternehmer, ein Soloselbstständiger, der lediglich für die Singspielverträge eine Agentin einschaltet. Andererseits gibt er den gewitzten Kasperlkopf mit Freude an Unsinn und Spiel, der auch gerne frei hat. Existiert eine Botschaft vom Kasperl an die Unternehmer? Oehmann überlegt kurz: »Produziert etwas, von dem ihr gut findet, dass es das gibt. Also dass es da ist. Nicht nur wegen Applaus oder Gewinn.« Die entscheidende Frage sollte immer sein: »Braucht’s des?«

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