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Design und schöne Dinge

Thorsten Jochim ©
»Ich bin kein Mensch, der Dinge an sich reißt« – Radspieler-Geschäftsführer Peter von Seidlein

Von der Vergolderwerkstatt zu Wohnkultur und Damenmode – in den vergangenen 180 Jahren hat sich das Münchner Traditionsunternehmen Radspieler immer wieder neu erfunden. Wichtige Konstante: ein hoher Anspruch an Qualität und Form.

Eva Elisabeth Ernst, Ausgabe 04/2021

Stoffe für Vorhänge, Tischdecken, Markisen oder Dirndl, zeitgenössische Möbelstücke, dazu Teppiche, Geschirr, Gläser und Besteck, Nachthemden, Bademäntel und Wärmflaschen: Das Radspieler-Haus ist eine wahre Schatzkammer für Menschen, die auf gutes Design und hochwertige Handwerksqualität achten. »Unseren Kunden ist es wichtig, ihr Zuhause gut und schön einzurichten«, sagt Peter von Seidlein, Geschäftsführer der F. Radspieler GmbH & Co. KG. Er führt das von seinem Urururgroßvater Josef Radspieler anno 1841 gegründete Unternehmen in sechster Generation.

Ladengeschäft im historischen Palais

Das Geschäft befindet sich im Zentrum Münchens, im ehemaligen Palais des Grafen Rechberg in der Hackenstraße. Dort wird das breite und tiefe Sortiment in vielen ineinander übergehenden Räumen in Szene gesetzt. Im nächsten Zimmer, um die nächste Ecke herum gibt es für Kunden immer wieder Neues zu entdecken. Im Innenhof werden während der Saison Gartenmöbel ausgestellt, in einer separaten Ladeneinheit zur Hackenstraße hin gibt es ein sorgfältig zusammengestelltes Sortiment an Damenmode und Accessoires.

Der Großteil des Möbelsortiments wird in der eigenen Schreinerei gefertigt. Daneben unterhält Radspieler auch eine Polsterwerkstatt. »Wir betreiben keine Massenproduktion, sondern setzen auf Einzelanfertigungen, die wir nahezu ausschließlich aus Vollholz herstellen«, erklärt von Seidlein. Die eigenen Modelle werden ergänzt durch Möbelstücke von Herstellern, die dem hohen Anspruch an Qualität und Form gerecht werden.

Roter Faden durch die Firmengeschichte

Der Fokus auf Design und Handwerkskunst zieht sich wie ein roter Faden durch die Firmengeschichte. Sie begann mit der Vergolderwerkstatt Josef Radspielers, der Rahmen und Spiegel produzierte, aber auch Kirchen renovierte und ausstattete. Nachdem er den Thronsessel für König Ludwig II. von Bayern gefertigt und das königliche Appartement in der Residenz eingerichtet hatte, wurde er zum »Königlich Bayerischen Hof Vergolder« ernannt. Seine Nachkommen bauten das Rechberg-Palais um und die Schreinerei zum Hauptbetrieb aus; sie entwarfen Möbel sowie Wohnaccessoires und importierten hochwertige Erzeugnisse aus ganz Europa. Peter von Seidleins Mutter, Gretl von Seidlein, war Kunstmalerin und entwickelte das heute noch aktuelle Erscheinungsbild des Unternehmens. Darüber hinaus entwarf sie Stoffe, Tragetaschen und Geschirrtücher.

Ins Familienunternehmen hineingewachsen

Peter von Seidlein ist quasi ins Familienunternehmen hineingewachsen und war schon als Jugendlicher bei der Auslieferung und der Montage von Möbeln dabei. Selbst während seiner Ausbildung zum Fotografen engagierte er sich in der Möbelabteilung. »Das Konzept war gut, die Qualität hat gepasst und ich war mit Herzblut dabei«, erinnert sich der heute 63-Jährige.

»Die richtigen Leute am richtigen Platz«

Daher entschied er sich für den Einstieg ins Familienunternehmen und leitete anschließend lange Jahre gemeinsam mit seinem Onkel Rasso das Möbelgeschäft. 2008 verstarb sein Onkel, drei Jahre später übertrug ihm sein Vater Hubert die Geschäftsführung. »Ich habe keine Managerausbildung und bin auch kein Mensch, der Dinge an sich reißt«, sagt Peter von Seidlein. »Aber ich behalte den Überblick und achte darauf, dass die richtigen Leute am richtigen Platz sind.« Daher wisse er auch, dass seine Mitarbeiter ihre Arbeit vernünftig machen und er ihnen viel Freiheit lassen könne. »Und wenn etwas danebengeht, erfahre ich das sowieso.«

Das Unternehmen befindet sich vollständig in Familienbesitz. Damit das so bleibt, ließ Hubert von Seidlein vertraglich festlegen, dass Unternehmensanteile nur an eigene Kinder vererbt werden können. »Natürlich wächst die Zahl der Gesellschafter mit jeder neuen Generation und auch die Frage, welche Familienmitglieder im Unternehmen mitarbeiten und mitentscheiden, wird immer wieder besprochen«, sagt Peter von Seidlein. »Doch die familiären Diskussionen halten sich im Rahmen.«

Geschäft mit Wohnkultur und Gartenmöbeln läuft gut

Dazu dürfte nicht zuletzt beitragen, dass die Geschäfte bis zum Ausbruch der Coronapandemie sehr zufriedenstellend gelaufen sind. Das Palais wird in einer separaten Immobiliengesellschaft verwaltet, die sich ebenfalls im Besitz der Familie befindet. »Daher bezahlen wir auch eine marktübliche Miete für unsere Räumlichkeiten«, betont von Seidlein.

Durch die coronabedingten Schließungen ging der Umsatz 2020 allerdings um rund 20 Prozent zurück. Vor allem die Modeabteilung litt. Für Möbelhandel, Schreinerei und Polsterei lagen genügend Aufträge vor, in der Öffnungsphase im Sommer liefen die Geschäfte rund um die Wohnkultur ausgesprochen gut. »Man hat gemerkt, dass die Inneneinrichtung an Bedeutung gewonnen hat«, sagt der Geschäftsführer. Auch Gartenmöbel waren sehr gefragt. Dennoch musste Radspieler für einen Teil des Teams Kurzarbeit in Anspruch nehmen.

Nächste Unternehmergeneration steht bereit

Die erste Zwangspause wurde unter anderem dazu genutzt, die Verkaufsräume zu renovieren. »Wir haben auch einen kleinen Onlineshop installiert, aber damit konnten wir die Umsatzverluste nicht auffangen«, so von Seidlein. »Bei unserem Sortiment sind der Publikumsverkehr und das haptische Erleben wichtig.«
Vielleicht ist das auch ein Grund dafür, dass Internet und Onlinemarketing bei Radspieler durchaus noch ausbaufähig sind, wie von Seidlein einräumt. »Dieses Feld überlasse ich der nächsten Generation.«

Die steht schon in den Startlöchern: Seine älteste Tochter absolvierte ein BWL-Studium und plant den beruflichen Wiedereinstieg nach ihrer Kinderpause. Die zweite Tochter ist Architektin, der Sohn Schreiner und Designer und bereits bei Radspieler tätig. Keine schlechte Konstellation, um die Geschichte des Familienunternehmens erfolgreich fortzuschreiben.

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