Betrieb + Praxis

Die Liquidität sichern

bluedesign_stock.adobe.com ©
Lückenlos gedeckt – wie vermeiden Firmen Ausfälle beim Geldeingang?

Um den Geldfluss stabil zu halten, hilft effektives Forderungsmanagement. Tipps, wie Unternehmen am besten vorgehen.

Monika Hofmann, Ausgabe 11/20

Oberflächlich betrachtet, sehen die Daten wenig alarmierend aus: Die Zahl der Insolvenzen sank im ersten Halbjahr in Deutschland weiter und lag bei 8.900 Unternehmen, so die jüngste Studie der Creditreform in Neuss. Doch der niedrige Wert täuscht. Noch überdecken Coronahilfen und die befristet ausgesetzte Insolvenzantragspflicht manche Schieflage. Fachleute rechnen damit, dass es bald deutlich mehr Pleiten geben wird. Die Insolvenzwelle ist nur vertagt – in diesem Punkt sind sich auch die Experten Andreas Dehlzeit, Geschäftsführer der Bibby Financial Services GmbH in Düsseldorf, und Rudolf Keßler, Präsident des Bundesverbands Credit Management (BvCM) in Kleve, einig.

»Massive Insolvenzwelle rollt auf uns zu«

»Spätestens wenn die Pflicht zum Insolvenzantrag wieder einsetzt, rollt eine massive, dadurch noch weiter verstärkte Insolvenzwelle auf uns zu«, befürchtet Dehlzeit. Einerseits helfen die staatlichen Aktivitäten jenen Unternehmen, die über Wettbewerbskraft verfügen, aber wegen Corona kurzfristig aus dem Tritt geraten sind. Andererseits tragen sie dazu bei, solche Betriebe am Leben zu halten, die bereits vor der Coronakrise nicht mehr marktfähig waren. »Damit werden Gelder auch dorthin gelenkt, wo sie nichts bewirken können«, kritisiert Keßler.

Angesichts dieser Lage wird konsequentes und weitsichtiges Forderungsmanagement noch wichtiger. Es hilft, Pleiten zu vermeiden, die als Folge der Zahlungsunfähigkeit von Kunden eintreten. »Leider geriet dieses Thema in der vergangenen Zeit ins Hintertreffen – gerade jetzt ist es überaus wichtig, weil es Unternehmen auf der Erfolgsspur hält«, betont Experte Keßler. »Denn nur mit einem durchdachten Forderungsmanagement sorgen die Betriebe dafür, dass ihre Rechnungen tatsächlich beglichen werden«, erklärt Oliver Nerz, betriebswirtschaftlicher Berater der IHK für München und Oberbayern in der Geschäftsstelle Rosenheim. »Forderungsmanagement muss Chefsache sein.«

Ein professionelles Forderungsmanagement baut vor allem auf folgende Aspekte:

Bonität prüfen

Jeder Unternehmer sollte sich vorab Informationen über die Bonität eines Kunden verschaffen und sie auch regelmäßig aktualisieren. »Am effektivsten ist es, auf Daten einer Wirtschaftsauskunftei, verbunden mit der Analyse von Zahlungsflüssen, zurückzugreifen«, empfiehlt IHK-Berater Nerz. Für Kunden mit guter Bonität ist es sinnvoll, Lieferantenkredite einzuräumen. Um die Bonität ihrer Kunden im Blick zu behalten, sollten Unternehmen regelmäßig kritische Punkte prüfen:

  • Hat sich das Zahlungsziel des Kunden verschoben?
  • Überschreitet der Kunde es oft?
  • Zahlt er nur Teilbeträge?
  • Hat er hohe Bestände und veraltete Maschinen?
  • Lässt das Image der Produkte nach?
  • Gewährt er erhöhte Rabatte?
  • Sind die Kapazitäten nicht ausgelastet?

Lauten die Antworten auf die meisten dieser Fragen »ja«, könnte dies ein Hinweis auf eine schlechtere Bonität des Kunden sein. »Ein geschulter Außendienst kann eine brauchbare Markteinschätzung abgeben, bei einer deutlichen Bonitätsabstufung gilt es jedoch, weitere Maßnahmen zu ergreifen«, rät IHK-Betriebsberater Nerz. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten: Zum einen kann das Unternehmen versuchen, das Ausfallrisiko selbst abzufangen; je nach Forderungsumfang muss es dann die Zahlungsmodalitäten anpassen oder neue Vereinbarungen treffen, die gegen eine Insolvenzanfechtung Bestand haben, bei der ein Insolvenzverwalter unter Umständen abgeflossenes Vermögen zurückfordern kann. Zum anderen kann die Firma das Risiko auch abgeben, etwa über eine Versicherung oder über Factoring.

Warenkreditversicherung abschließen

Eine Warenkreditversicherung zahlt, wenn Außenstände offen bleiben, weil ein Kunde zahlungsunfähig ist (wenn bei ihm also das Insolvenzverfahren eröffnet wird, mangels Masse abgelehnt wird oder die Zwangsvollstreckung erfolglos war). Schon bei den ersten Anzeichen einer Bonitätsverschlechterung sollten Firmen diese Versicherungen zumindest in Betracht ziehen. Denn: »Sind schon erste Vollstreckungsmaßnahmen erfolgt, ist dieser Weg verschlossen«, erklärt Nerz. Um den Firmen die Abwägung zu erleichtern, ob eine solche Versicherung sinnvoll ist, verweist der IHK-Betriebsberater auf die durchschnittlichen Insolvenzquoten der vergangenen Jahre. Sie lagen für Unternehmen bei 3,9 Prozent. Das heißt: Bei Insolvenzverfahren erhielten Gläubiger durchschnittlich 3,9 Prozent ihrer Forderungen zurück.

Factoring nutzen

Beim Factoring verkauft eine Firma ihre Außenstände ganz oder teilweise an ein Factoringunternehmen. »Dabei übernehmen wir das Bonitäts- und Insolvenzrisiko und ziehen bei Überfälligkeit auch die Forderungen ein«, erläutert Geschäftsführer Dehlzeit vom Factoringspezialisten Bibby. Im Gegenzug erhält der Unternehmer sofort einen Großteil der offenen Forderungen. Dabei können die Zahlungsziele bis zu 90 Tage betragen. Kleine und mittlere Firmen würden besonders häufig das Full Service Factoring nachfragen, das von der Bonitätsprüfung über das Forderungsmanagement bis zum Inkasso und zur Absicherung reicht.

Factoring eignet sich für Wachstumsfirmen, also auch für Start-ups, ebenso wie für Mittelständler und kleinere Firmen. »Sie profitieren von schneller Liquidität und können so das hohe Risiko minimieren, das neue Kunden mit sich bringen«, so Dehlzeit. Wer Factoring nutze, entlaste zudem seine Bilanz, verbessere die Eigenkapitalquote und damit das Rating.

Zahlungsvereinbarungen treffen

Im Krisenfall können Firmen oft noch Teilforderungen retten, wenn sie rechtzeitig ihre Zahlungsvereinbarungen anpassen. Sobald eine Forderung entsteht, können sie sich zudem ein Sicherungsrecht an den Vermögenswerten des Kunden einräumen lassen. Damit können sie ihre Ansprüche bei einer späteren Insolvenz einfacher durchsetzen. »In angespannten Geschäftsbeziehungen vereinbart ein Betriebsinhaber am besten Vorkasse, um die eigene unternehmerische Basis zu sichern«, rät IHK-Betriebsberater Nerz.

Forderungen steuern

Unternehmen, die regelmäßig die wichtigsten Kennziffern des Forderungsmanagements unter die Lupe nehmen, sie stets aktualisieren und kontrollieren, schaffen die besten Voraussetzungen, um die Geldflüsse stabil zu gestalten. Zudem verhindern sie, dass sie in einen Engpass geraten, weil sie eine drohende Gefahr zu spät erkennen. Genau das ist wichtig: Nur wer Krisenlagen rechtzeitig heranziehen sieht, kann noch umsteuern und etwa umschulden oder das Angebot neu strukturieren. »Unternehmen, die ihre Kennziffern immer im Blick behalten, können die Forderungen damit quasi über ein Cockpit steuern«, erklärt Nerz.

Zu den zentralen Kennzahlen gehört die Debitorenlaufzeit. Sie beschreibt die Anzahl von Tagen, die von der Rechnungsstellung bis zum Zahlungseingang auf das Bankkonto vergehen. Die Debitorenlaufzeit gibt Aufschluss über das Zahlungsverhalten von Kunden und über das Mahnwesen des Unternehmens. Sinkende Laufzeiten sind ein gutes Signal, steigende sollten Anlass zum Prüfen der Außenstände sein.

Mahnwesen professionalisieren

Wenn Kunden ihre Rechnungen nicht fristgerecht bezahlen, sollten Unternehmen weitere Schritte einleiten, um an ihr Geld zu kommen. IHK-Berater Nerz: »Dabei geht es darum, Ausfälle zu vermeiden und mit unbezahlten Außenständen effektiv umzugehen.« Zunächst sollten Firmen die Situation der Kunden prüfen und die Mahnprozesse starten. Ebenso gilt es, über Beträge und Zahlungspflichten zu verhandeln. Bei erfolglosem Inkasso müssen Firmen einen gerichtlichen Mahnbescheid beantragen, um einen gerichtlichen Titel zu erlangen, der für Forderungen 30 Jahre gültig bleibt.

Bei all diesen Maßnahmen gilt als Grundregel für erfolgreiches Forderungsmanagement: Firmen sollten jeden einzelnen Kunden mit seiner wirtschaftlichen Lage und bisherigen und künftigen Bedeutung für den Betrieb in den Blick nehmen. Dazu rät BvCM-Präsident Keßler mit Nachdruck. »Erst dann lassen sich individuelle Lösungen finden, von denen alle Seiten profitieren.«

IHK-Service

Die IHK-Website zum Forderungsmanagement bietet weitere Informationen und Services zum Forderungsmanagement, wie einen anpassbaren Forderungsspiegel mit Kennzahlen zum Download.

Verwandte Themen