Standortpolitik

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Corona – beherrschendes Thema auch in der EU

Auf der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im 2. Halbjahr 2020 liegen große Erwartungen: In der Post-Corona-Phase  europäische Rahmenbedingungen schaffen für langfristig und nachhaltig starke Firmen. Hier die wichtigsten Punkte der Agenda.

Sabine Hölper, Ausgabe 07/20

Die Coronakrise überschattet Wirtschaft und Politik – das gilt auch für die am 1. Juli 2020 beginnende deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Die derzeitige Ausnahmesituation ist gleichzeitig jedoch ein guter Zeitpunkt für Deutschland, die Weichen für die entscheidenden Herausforderungen der Wirtschaft nach dem Shutdown zu stellen. Die Ratspräsidentschaft ermöglicht es, zentrale Themen zu setzen, die von Interesse für alle 27 Mitgliedstaaten sind. EU-Themen, die den bayerischen Mittelstand umtreiben und die er auf höchster Ebene platziert sehen möchte, gibt es immer – auch in diesem Jahr.

Dringend weniger Bürokratie

In der Praxis aber haben sich seit dem Auftreten des Coronavirus einige Prioritäten verschoben. Zum einen sind jetzt kurzfristige Hilfen entscheidend. »Ziel war und ist es auch weiterhin, den Unternehmen über die Durststrecke, in die sie zum Beispiel durch Geschäftsschließungen und Produktionsstillstand geraten sind, hinwegzuhelfen«, sagt Sabine Hepperle, Abteilungsleiterin Mittelstandspolitik beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. In dieser speziellen Situation gehe es erst einmal »um das Nötigste«, ergänzt Alexander Lau, Referatsleiter Europa und EU-Politik bei der IHK für München und Oberbayern. Das seien vor allem Überbrückungshilfen für notleidende Firmen. »Die Unternehmen brauchen zudem dringend Erleichterungen bei der administrativen Bürokratie«, so Lau.

Zum anderen sei es nun wichtiger denn je, sich auf das Wesentliche zu fokussieren. »Jetzt, da sich viele Firmen in einer extrem kritischen wirtschaftlichen Situation befinden, ist nicht der Zeitpunkt, um ein Paket der EU-Kommission mit 43 Themen einzubringen«, sagt Lau. Das bedeutet: Kurzfristige Hilfen sind wichtig, mittel- bis langfristige Perspektiven ebenfalls. Aber Dosis und Gewichtung müssen stimmen. Und beides sollte Hand in Hand gehen.

Rahmenbedingungen für KMU verbessern

Hepperle aus dem Bundeswirtschaftsministerium betont, dass »die Sicherung des Überlebens von Unternehmen und der Neustart der europäischen Wirtschaft im Vordergrund stehen«. Es gehe in den nächsten sechs Monaten darum, die gesetzlichen Rahmenbedingungen für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) auf den Prüfstand zu stellen, langfristig zu verbessern und sie somit dabei zu unterstützen, neue Ideen zu entwickeln und kreative Geschäftsmodelle zu erschließen.

»Im vereinten Europa, wo der Mittelstand in besonderem Maße auf offene Märkte und eine unternehmensfreundliche Regulierung angewiesen ist – von Arbeitnehmerfreizügigkeit bis Zollvorschriften –, heißt das vor allem: Die Firmen brauchen Zugang zu Kapital, Daten und qualifizierten Fachkräften wie auch zu Wertschöpfungs- und Forschungsnetzwerken«, so Hepperle. »Der Binnenmarkt muss klar wiederbelebt werden. Wir müssen Wege finden, um den freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen unter allen Umständen zu ermöglichen.« Vor allem Letzteres ist ein Grundanliegen der bayerischen Unternehmen, und die deutsche EU-Ratspräsidentschaft muss das Thema vorantreiben.

Weniger Barrieren bei Dienstleistungen

»Der Warenverkehr ist das eine«, sagt IHK-Experte Lau. »Es geht jetzt aber auch darum, die überflüssigen Barrieren für den Dienstleistungsverkehr im Binnenmarkt zu beseitigen.« Das sei ein »wunder Punkt«, ein in der Krise vernachlässigtes Thema, das dringend wieder auf die Agenda genommen werden müsse. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat Ende Mai die Prioritäten im Arbeitsprogramm in einem »Recovery Plan« für die Zeit nach der Coronakrise neu geordnet.

Fokus auf drei Kernthemen

Was die Fokussierung auf die wichtigsten Kernthemen betrifft, nennt Kristin Schreiber, Direktorin KMU-Politik bei der EU-Kommission in Brüssel, drei Eckpfeiler: »Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Resilienz.« Die KMU-Strategie sei dahingehend angepasst worden.

Was heißt das im Einzelnen? In puncto Digitalisierung müssten manche Firmen nachlegen. Schließlich haben nur 17 Prozent der KMU erfolgreich digitale Technologien integriert, bei den großen Unternehmen sind es 54 Prozent. Die Krise hat zwar in den meisten Betrieben das Bewusstsein für die Notwendigkeit der Digitalisierung geschaffen. Nun aber gilt es, die Firmen bei der Umsetzung zu unterstützen, zum Beispiel durch den Ausbau existierender Netzwerke wie etwa des Enterprise Europe Network (EEN) oder der Digital Innovation Hubs.

Firmeneigene Nachhaltigkeitsstrategie

Der Eckpfeiler Nachhaltigkeit geht mit der Digitalisierung Hand in Hand. Bereits die Industriestrategie von 2020 führt auf: »Kapazitätsaufbau und Unterstützung für den Übergang zu Nachhaltigkeit und Digitalisierung.« Jede Firma, so Schreiber, solle eine Nachhaltigkeitsstrategie erarbeiten. »Auch hier ist es zielführend, Netzwerke wie das EEN stärker zu nutzen, um dafür die nötige Expertise zu erhalten.«

Vor allem sollen Mittel bereitgestellt werden, um Green-Deal-Innovationen im Rahmen des Europäischen Innovationsrats (EIC) zu fördern. Jedoch gehen gerade beim Green Deal die Meinungen auseinander. Er umfasst einen Fahrplan mit Maßnahmen zur Förderung einer effizienteren Ressourcennutzung durch den Übergang zu einer sauberen und kreislauforientierten Wirtschaft sowie zur Wiederherstellung der Biodiversität und zur Bekämpfung der Umweltverschmutzung. Die EU-Kommission will so bis 2050 die Nettoemissionen von Treibhausgasen in der EU auf null senken. Dazu müssen alle Wirtschaftssektoren einen aktiven Beitrag leisten, vor allem, so die EU-Kommission, »Investitionen in neue, umweltfreundliche Technologien«.

Dieser Transformationsprozess zu mehr Nachhaltigkeit müsse aber für Unternehmen wohl dosiert werden, die gerade mit den Folgen der Coronakrise kämpften, warnt IHK-Experte Lau. Kleine und mittlere Firmen dürften nicht über Gebühr belastet werden, sagt auch EU-Kommissionsdirektorin Schreiber. »Es ist daher elementar, dass jede einzelne Regel einen KMU-Test durchläuft.«

Resilienz auch in der Wirtschaft

Der dritte Punkt, die Resilienz, ist ein aus der Psychologie bekannter Ansatz der psychischen Widerstandsfähigkeit. Sie versetzt Menschen in die Lage, Krisen zu bewältigen und sie als Anlass für Entwicklungen zu nutzen, und soll laut Schreiber auch in der Wirtschaft mehr Beachtung finden. Konkret heißt das: »Nicht abschotten, aber doch die globalen Lieferketten hinsichtlich Resilienz und Vorhandensein von Alternativen überprüfen, Just-in-time überdenken, mehr Lagerhaltung, gute Planung sowie auf staatlicher Ebene für mindestens drei Monate Reserven von systemrelevanten Gütern beziehungsweise Rohstoffen anlegen.«

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