DIHK-Chefin Melnikov im Interview: „Es zählen Taten“

DIHK-Hauptgeschäftsführerin Helena Melnikov erklärt, was sie von der Bundesregierung erwartet und welche Pläne sie mit der IHK-Organisation verfolgt.
Von Martin Armbruster, IHK-Magazin 10/2025
Frau Melnikov, Sie sind seit Januar 2025 DIHK-Hauptgeschäftsführerin und die erste Frau an der Spitze der IHK-Organisation. Was hat Sie in diesen schwierigen Zeiten dazu motiviert, das Amt zu übernehmen?
Gerade in diesen Zeiten muss Wirtschaft die Politik für sich gewinnen – damit sich etwas bewegt. Das reizt mich gut ein Jahr nach meiner Wahl durch die DIHK-Vollversammlung immer noch. Wir gestalten aktiv Wirtschaftspolitik mit und sprechen für die Anliegen der Unternehmen. Dabei bauen wir auf ein einzigartiges Netz aus 79 IHKs in ganz Deutschland und weltweiten Auslandshandelskammern (AHKs) an mehr als 150 Standorten in 93 Ländern. Die Breite und Tiefe ist einzigartig und ein großartiger Hebel.
„Direkt am Puls der Unternehmen“
Was haben Sie sich für diese Aufgabe vorgenommen?
Ich wünsche mir, dass die DIHK als erste Adresse gilt, wenn es um Wirtschaftskompetenz in Deutschland geht – für Politik, Medien und Gesellschaft. Wir vertreten die gesamte gewerbliche Wirtschaft und haben über die IHKs das Ohr direkt am Puls der Unternehmen.
Daraus entwickeln wir unsere Analysen und Vorschläge. Ich will alles dafür tun, dass daraus möglichst viel praktische Politik wird. Aktuell verfolgen wir vor allem ein Ziel: dass die deutsche Wirtschaft wieder kräftig wächst und sich die Unternehmen in Deutschland wieder wohlfühlen.
Regulierungen belasten KMU überproportional
Sie haben in Ihrer früheren Funktion als Verbandschefin festgestellt: Die Frauenquote für Aufsichtsräte wirkt. Plädieren Sie für eine Ausweitung der Quote?
Eine stärkere Präsenz von Frauen in Führungspositionen ist der deutschen Wirtschaft ein wichtiges Anliegen. Das Gesetz hat vor 10 Jahren einiges in Bewegung gebracht, auch wenn es zuvor schon positive Entwicklungen etwa bei der Besetzung von Aufsichtsräten mit Frauen gab.
Fest steht jedoch auch, dass Regulierungen wie gesetzliche Quoten auch zusätzlichen Verwaltungsaufwand und Kosten bedeuten, was gerade kleine und mittlere Unternehmen überproportional belastet. Eine Ausweitung von Quotenregelungen sehen wir daher kritisch.
Mehr Frauen ins Ehrenamt
Der Frauenanteil einer IHK-Vollversammlung liegt im Schnitt bei knapp 26 Prozent. Muss die IHK-Organisation weiblicher werden?
Auch die IHK-Organisation kann noch stärker davon profitieren, wenn mehr Frauen für das Ehrenamt gewonnen werden. Denn Vielfalt stärkt die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und Institutionen. Wir sind hier bereits aktiv, nicht zuletzt mit den Business Women IHK. Dieses Netzwerk von ehrenamtlich in den 79 IHKs engagierten Unternehmerinnen begeistert mit seinem Aktionsplan „Werde Unternehmerin!“ Mädchen und Frauen für die Selbstständigkeit. Zudem setzen sie sich dafür ein, weitere Unternehmerinnen für die IHK-Ehrenamtsarbeit zu gewinnen.
Erfreulicherweise gibt es einen positiven Trend, wenn ich mir die Zahlen anschaue: Bei Ihnen in München und auch in Berlin etwa liegt der Frauenanteil in der IHK-Vollversammlung bereits bei mehr als 40 Prozent. Das ist stark! Entscheidend ist: Wenn wir als deutsche Wirtschaft wachsen und innovativ bleiben wollen, brauchen wir den Spirit und die Perspektiven aller – von Unternehmern und Unternehmerinnen.
Bundesregierung muss liefern
Gehört das mangelhafte Angebot für Kinderbetreuung zu den Punkten, für die Sie eine Lösung von der Regierung erwarten?
Ein gut ausgebautes, qualitativ hochwertiges und flexibles Kinderbetreuungsangebot ist eine absolute Grundlage für die Fachkräftesicherung. Denn es ist Voraussetzung dafür, dass Eltern und Betriebe wirklich Familie und Beruf vereinbaren können. Der Ausbau der Kinderbetreuung sollte daher hohe Priorität haben.
2025 wird ein entscheidendes Jahr, haben Sie nach Ihrem Amtsantritt erklärt. Die erste Halbzeit haben wir jetzt hinter uns. Wie zufrieden sind Sie mit dem Ergebnis?
Wir blicken auf intensive Monate zurück: Bundestagswahlkampf und Neuwahlen, Amtsantritt von Donald Trump, Rekordschulden-Entscheidung und Grundgesetzänderung, die neue Regierungsmannschaft … Und alles vor dem Hintergrund einer Wirtschaft, die gegen das 3. Rezessionsjahr in Folge ankämpfen muss. Die Agenda der Bundesregierung gibt uns Hoffnung.
Aber: Es zählen Taten, nicht Worte. Insofern können wir noch nicht zufrieden sein, sondern hoffen auf echte strukturelle Reformen in der Wirtschaftspolitik.
Wirtschaft braucht Verlässlichkeit
Die Ampel hat Vertrauen verspielt. Mit der „Steuersauerei“ („Bild“) um die Stromsteuer geht das mit der neuen Regierung offenbar weiter. Wird der Investitionsbooster überhaupt Wirkung erzielen?
Das ist noch offen und wir stellen der Regierung daher auch die kritische Frage: Wie sollen Unternehmen auf die nun beschlossene Senkung der Körperschaftsteuer ab 2028 vertrauen, wenn die fest versprochene Senkung der Stromsteuer schon nach wenigen Wochen wieder zurückgezogen wird?
Entlastungen sind nur zielführend, wenn sie die Breite der Wirtschaft erreichen. Wenn sie nur einem Teil der Betriebe zugutekommen sollen, sind sie nicht nur ungerecht, sie entfalten auch nicht ihre volle Wirksamkeit.
Weniger Bürokratie, mehr Investitionen
Teilen Sie die Sorge, mit Schulden ohne Reformen ließen sich nur Schulden erzielen?
Ausdrücklich ja! Mit mehr Geld allein wird keine Brücke schneller fertig. Wenn wir nicht auch das Vergaberecht vereinfachen, Planverfahren beschleunigen und für genügend Arbeitskräfte sorgen, bleiben nur die Schulden und die Zinsen dafür als Last übrig.
Einfache Verfahren fordern wir nicht nur für die versprochenen Investitionen des Staats ein. Weniger Bürokratie brauchen wir insbesondere auch für die Unternehmen. Denn wir müssen vor allem private Investitionen wieder anreizen: 90 Prozent der Investitionen werden privat finanziert.
Im Einsatz für Selbstständige
Über die Hälfte der IHK-Mitglieder in München und Oberbayern sind Einzelunternehmer. Haben Sie in Berlin auch diese Zielgruppe im Blick?
Ja, ganz sicher, denn nicht nur in Bayern stellen die Soloselbstständigen die Mehrheit unserer Mitglieder dar. Ein Beispiel unserer Arbeit: Wir haben uns im Vorfeld der Koalitionsverhandlung gegenüber der Union für eine bessere gesetzliche Abgrenzung zwischen Selbstständigkeit und Scheinselbstständigkeit starkgemacht, damit Auftraggeber und Selbstständige mehr Rechtssicherheit bekommen. Gerade Soloselbstständige sind aufgrund der sozialgerichtlichen Rechtsprechung oft vermeintlich von Scheinselbstständigkeit betroffen.
Dieser Punkt wurde glücklicherweise in den Koalitionsvertrag aufgenommen – eine Reform des Statusfeststellungsverfahrens ist geplant. Selbstständige verdienen gesellschaftliche Anerkennung, keine pauschalen Verdächtigungen.
Zur Person: Helena Melnikov
Helena Melnikov ist promovierte Juristin und seit Januar 2025 Hauptgeschäftsführerin der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). Zuvor war sie in führenden Positionen beim Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME) und beim Waren-Verein der Hamburger Börse e.V. tätig.