Hand aufs Herz

TRiCares hat eine schonende Lösung entwickelt, um Herzkranken das Leben zu retten. Das junge Medizintechnik-Scale-up hofft auf eine baldige Zulassung.
Von Sabine Hölper, IHK-Magazin 10/2025
Weltweit leiden mehr als 100 Millionen Menschen an Herzklappenerkrankungen. Für viele von ihnen ist eine Operation am offenen Herzen zu risikoreich. Daher suchen Ärzte global seit Jahren nach einer minimalinvasiven Lösung, um diese Patienten behandeln zu können.
Einer von ihnen ist der Pariser Kardiologe Pascal Lim. Bereits 2013 entwickelte er eine Methode, testete sie an Tieren – und kam zu dem Ergebnis, dass die Weiterentwicklung erfolgreich sein müsste, aber von einem Unternehmen mit Zugang zu Wagniskapital betrieben werden sollte. So entstand im gleichen Jahr die TRiCares GmbH. Gründer war Helmut Straubinger. Der Oberbayer wählte als Standort Aschheim bei München und nicht Paris.
Knapp 50 Millionen Euro Risikokapital
Heute beschäftigt das Unternehmen 45 Mitarbeitende in München und weitere 6 in der vor gut 1 Jahr gegründeten Niederlassung im US-amerikanischen Minneapolis.
In Paris existiert zudem die TRiCares SAS, allerdings nur mit Lim als Berater. Straubinger ist noch als Berater an Bord, die Geschäfte führt seit Frühjahr 2024 Ahmed Elmouelhi. Er kommt aus der Medizintechnik-Hochburg Minnesota und ist in der Szene gut vernetzt. TRiCares sammelte vor rund 1 Jahr knapp 50 Millionen Euro Risikokapital ein.
Die Krankheit, die das Unternehmen behandeln will, nennt sich Trikuspidalinsuffizienz. Die Trikuspidalklappe ist eine von 4 Herzklappen, sie ist das Ventil zwischen dem rechten Vorhof und der rechten Herzkammer. Durch sie fließt sauerstoffarmes Blut aus dem Körper in die rechte Herzkammer und wird von dort in die Lungen gepumpt.
Prothese, die dem Herzschlag folgt
Ist die Trikuspidalklappe undicht, kommt es teilweise zum Rückfluss des Bluts Richtung Körper. Somit muss sich das Herz mehr und mehr anstrengen, wodurch die Klappe immer stärker ausleiert – bis sie irgendwann ihren Dienst versagt.
Die von TRiCares entwickelte Lösung heißt „Topaz“ und ist eine künstliche Trikuspidalklappe. Sie wird aus biologischem Gewebe von Schweinen hergestellt und dann in Handarbeit auf ein Gerüst aus einer Nickel-Titan-Legierung genäht. „Es handelt sich um eine weiche Prothese, die dem Herzschlag folgt“, sagt Michael Litzenburger (45), Vice President R&D bei TRiCares. Die Implantation der Prothese geschieht mithilfe eines Katheters, der ebenfalls von TRiCares kommt.
Nach dem Rückschlag der Durchbruch
Das Scale-up hat bereits 2 Klappengrößen entwickelt, die beide in dasselbe Kathetersystem passen. Es wird über die Oberschenkelvene eingeführt und bringt die Prothese in die rechte Herzhälfte. Dort ersetzt sie die kranke Klappe. Dieses Vorgehen gibt vor allem Schwerstkranken neue Hoffnung, für die eine OP am offenen Herzen bislang zu riskant ist.
Bei der Arbeit an der neuen Lösung gab es auch Rückschläge. Einer der ersten Prototypen war nicht haltbar genug, sagt Entwicklungschef Litzenburger. „Da muss man sich eingestehen: Es funktioniert nicht.“ Aber engagierte Forscher geben nicht auf, sondern probieren weiter. Nach etwa 3, 4 Jahren des Experimentierens kam der Durchbruch: „Plötzlich waren wir auf Medizinkongressen der neue Hype.“
Die Kollegen erkannten, dass sich ein junges Medizintechnikunternehmen aus Oberbayern der „vergessenen Klappe“ zugewandt hatte. Die 3 anderen Herzklappen waren bereits besser erforscht.
Urlaub statt Kontrolltermin
Was das Unternehmen bisher erreicht hat: Im Rahmen einer ersten „First in human“-Studie wurde 20 Patienten die künstliche Klappe eingesetzt, sagt Litzenburger. Besonders im Gedächtnis geblieben ist ihm die erste Patientin, die sich sogar noch vor Beginn der Studie in Paris behandeln ließ.
30 Tage nach dem Eingriff sollte sie zur Kontrolle erscheinen, kam aber nicht. Stattdessen meldete sie sich quietschfidel beim Arzt und sagte, dass sie mit dem Auto verreist sei. Sie war 800 Kilometer gefahren. Noch wenige Wochen vorher war sie aufgrund ihrer Erkrankung permanent müde, was normal ist, wenn das Blut nicht wie gewohnt zirkuliert.
Gewisses Risiko bleibt
Grundsätzlich erlebt Litzenburger sehr viel Vertrauen vonseiten der Patienten. „Manchmal zögern sie lediglich ein bisschen und sagen daher: Machen wir den Eingriff besser nach statt vor Weihnachten.“ Ganz unbegründet sind die Sorgen nicht. Denn nicht alle Eingriffe sind zufriedenstellend verlaufen.
2 Patienten sind verstorben, wenngleich nicht gesichert ist, woran genau. Schließlich handelt es sich meist um Patienten mit mehreren Erkrankungen. Dennoch: Ein Unternehmen, das sich noch in der Testphase befindet, kann solche Vorfälle nicht abtun, sondern muss umso mehr forschen und optimieren.
„Wir sind noch in der Studienphase“, sagt Litzenburger. Dazu gehört auch eine CE-Studie mit 77 Patienten. „Wenn diese gut verläuft, sollte im nächsten Jahr die Zulassung erfolgen.“ In dieser Phase der Validierung gehe es um die Risiko-Nutzen-Abwägung. „Ist der Nutzen höher als das Risiko, gibt es die Zulassung.“ Eine ähnliche Studie läuft in den USA mit mehreren Hundert Patienten. Hier peilt TRiCares die Zulassung etwas später als in Europa an.
Stents aus Pforzheim, Katheter aus Irland
Die letzte Finanzierungsrunde sollte bis zu diesen wichtigen Zeitpunkten ausreichen. Dabei müssen nicht nur die gut 50 Mitarbeiter bezahlt werden. Typisch für die Branche werden viele Leistungen ausgelagert: Die Katheter werden in Irland hergestellt, die Prothesen in Brasilien händisch genäht, die Stents in Pforzheim produziert. Testlabore werden weltweit unterhalten, in Aschheim hat das Scale-up nur ein kleines Labor. „Deshalb sind unsere Mitarbeiter viel auf Reisen, sie besuchen die Zulieferer“, sagt Litzenburger.
Und wohin geht die Reise von TRiCares? „Wir können mit unseren beschränkten Mitteln und Möglichkeiten nur einen eingeschränkten Vertrieb aufbauen“, sagt der Entwicklungschef. Wahrscheinlicher sei daher ein Verkauf des Unternehmens. Vor allem 4, 5 amerikanische Player kämen in Betracht.
IHK-Serie: Scale-ups aus Oberbayern
Scale-ups sind aufstrebende Unternehmen, die den anfänglichen Firmenaufbau erfolgreich hinter sich gebracht haben. Sie haben das Potenzial, die Großunternehmen und wichtigen Arbeitgeber von morgen zu werden. Die IHK für München und Oberbayern unterstützt mit dem Scale-up Council zusammen mit Partnern aus dem Munich Innovation Ecosystem junge, innovative und schnell wachsende Firmen auf ihrem Weg zum Großunternehmen. Das Ziel: die Hidden Champions von morgen zu halten und die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts zu sichern
Das IHK-Magazin stellt einige oberbayerische Scale-ups in einer lockeren Serie vor.
- Scale-up SciRhom – arbeitet daran, die Wirksamkeit von Medikamenten zu erhöhen
- Scale-up FINN GmbH – bietet Unternehmen Autos im Abo an
- Scale-up Helsing GmbH – will die Demokratie mit KI-gestützten Drohnen schützen