„Zukunft mit Düsenantrieb“

Scale-ups verbinden Tech-Kompetenz mit einem rasanten Wachstum – warum diese Unternehmen für den Standort enorm wichtig sind und welche Unterstützung sie benötigen.
Von Sabine Hölper, IHK-Magazin 05-06/2025
Etwa 30 Sekunden, mehr war es nicht. So lange stieg die Rakete auf, bevor sie kontrolliert ins Meer stürzte. Und doch war die Aufmerksamkeit enorm. Als im März das Münchner Unternehmen Isar Aerospace SE seine Trägerrakete „Spectrum“ zum Testflug in Norwegen abheben ließ, berichteten Medien weltweit.
„Jetzt geht es darum, alle Daten auszuwerten, daraus zu lernen und so schnell wie möglich wieder auf dem Startplatz zu stehen“, sagte Daniel Metzler, Chef und Mitgründer von Isar Aerospace nach dem Test. Das Ziel ist ehrgeizig: Die Firma will Satelliten für Kunden aus aller Welt ins All transportieren, die Nachfrage nach solchen Diensten wächst. Isar Aerospace trage so auch dazu bei, Europa den Zugang zum Weltraum zu eröffnen, sagt Metzler.
Gewaltige Potenziale
Das 2018 gegründete Raumfahrtunternehmen ist auf dem Weg in eine Gruppe aufstrebender Firmen in und um München, den sogenannten Scale-ups: Im Gegensatz zu Start-ups sind diese Unternehmen schon einige Jahre auf dem Markt, zeichnen sich durch starkes Wachstum aus und haben skalierbare Prozesse eingeführt (siehe Kasten unten). Man könnte auch sagen: Sie sind die Großunternehmen – und damit auch wichtige Arbeitgeber – von morgen.
Scale-ups haben eine große Bedeutung für den hiesigen Standort. Nicht nur weil etablierte Industrien wie etwa die Automobilbranche oder der Maschinenbau unter Druck geraten sind. „In unseren regionalen Scale-ups, die hochtechnologische Kompetenz mit rasantem Wachstum von Umsatz und Beschäftigten verbinden, findet Zukunft mit Düsenantrieb statt“, sagt Manfred Gößl, Hauptgeschäftsführer der IHK für München und Oberbayern. „Hier entstehen gewaltige Chancen und Potenziale für mehr Wettbewerbsfähigkeit.“
STICHWORT: SCALE-UP
Scale-ups sind aufstrebende Unternehmen, die den anfänglichen Firmenaufbau erfolgreich hinter sich gebracht haben und nun in einer Phase des beschleunigten Wachstums sind.
Im Einzelnen zeichnet sie aus:
- Das Team wächst schnell, sie beschäftigen mehr als zehn Mitarbeitende.
- Sie sind seit mindestens fünf Jahren auf dem Markt.
- Sie investieren in weiteres Wachstum und Infrastruktur, sie sind oft durch Venture-Capital-Geber mehrfach finanziert.
- Sie skalieren bewährte Produkte oder Services, die ihre Marktfähigkeit bewiesen haben.
- Sie erreichen ein starkes, konsistentes Umsatzwachstum von 20 Prozent und mehr pro Jahr.
Milliardenschwere Firmen
Zu diesen Scale-ups gehört zum Beispiel die Flix SE mit FlixBus und FlixTrain oder das Softwareunternehmen NavVis GmbH, das auf digitale Zwillinge bebauter Umgebung spezialisiert ist. Ein neues Auto-Abo-System hat die FINN GmbH (Details unten) erfunden.
Das Verteidigungsunternehmen Helsing GmbH (Kurzportrait siehe unten) wiederum hat einen besonders steilen Aufstieg hinter sich. Nur 4 Jahre nach seiner Gründung gehört es bereits zu den am höchsten bewerteten Scale-ups in Oberbayern – mit einer Bewertung von 5 Milliarden Euro. „Wir sind Deutschlands wertvollstes KI-Unternehmen“, sagt Geschäftsführer Wolfgang Gammel.
IHK-Idee: Neues Scale-up Council
Damit sich Scale-ups so rasant entwickeln können, brauchen sie ein Umfeld, das ihnen optimale Bedingungen bietet. Nur dann können sie ihr großes Potenzial entfalten, internationalisieren und dabei am Standort Bayern bleiben. „Als IHK für München und Oberbayern unterstützen wir mit Herzblut unsere regionalen Scale-ups“, sagt Hauptgeschäftsführer Gößl.
Dazu gehört ein konkretes, von der IHK und der Munich Innovation Ecosystem GmbH initiiertes Projekt, das gegen Ende des Jahres starten soll: der Scale-up Council. Die Initiative will erfolgreiche Gründer vernetzen, ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen, ihre Wertschöpfung und Kompetenzen sichtbarer machen, ein Sprachrohr in Richtung Politik sein.
Vernetzung, Fachkräfte, Flächen
„Mit dem Scale-up Council geben wir den Scale-ups eine Plattform, um konkrete Probleme kuratiert an die Politik auf EU-, Bundes- und Landesebene zu adressieren“, sagt Bernhard Eichiner, IHK-Referatsleiter Industrie und Innovation. „Wir fordern ganz konkrete Lösungen. Wir wollen keine losen Versprechungen, sondern dezidierte Antworten.“
Ein erster Schritt dahin: Der Council wird die Scale-ups organisiert und regelmäßig zusammenbringen, damit sie sich über alle wichtigen Themen austauschen können. Vor allem über die Rahmenbedingungen, die sie benötigen, um langfristig am Standort zu bleiben und Geld zu verdienen. „Sie brauchen Fachkräfte, Flächen, Produktionsstätten“, sagt Eichiner.
Groß und international denken
Ferner will der Scale-up Council die Unternehmen bei Fachthemen wie Gewerberecht, Außenwirtschaftsrecht oder Verkehr unterstützen. „Unser Ziel ist die Förderung und Schaffung der Großunternehmen von morgen“, sagt Eichiner. Es geht um die Erneuerung des Standorts und die Weiterentwicklung neuer standortunabhängiger Technologien.
Matthias Notz bekräftigt: „Wir denken groß.“ Notz ist Geschäftsführer des Munich Innovation Ecosystem sowie der Start2 Group GmbH, die junge Unternehmen bei der Skalierung und Internationalisierung begleitet. „Das ist elementar, da der deutsche Markt zu klein ist, um relevant zu wachsen.“ Notz, wegen seines langjährigen Engagements in der Szene als „Mr. Scale-up“ bekannt, sieht es als Erfolg, dass die EU eine Start-up- und Scale-up-Strategie umsetzen und so die Bedingungen für innovative junge Unternehmen verbessern will.
EU plant Scale-up-Strategie
Die Strategie soll konkrete Maßnahmen enthalten, um den Firmen ein schnelleres und einfacheres Wachstum im Binnenmarkt zu ermöglichen. Sie wird sich, so die Ankündigung, mit Herausforderungen wie dem Zugang zu Finanzmitteln, Märkten und Talenten sowie regulatorischen und bürokratischen Hürden und der Marktfragmentierung befassen. Den Zugang zu modernster Infrastruktur, Wissen und Dienstleistungen will sie erleichtern.
An all diesen Stellschrauben muss gedreht werden, damit sich Erfolgsgeschichten wie jene der Celonis SE möglichst häufig wiederholen. Das Münchner Softwareunternehmen hat sich seit der Gründung 2011 zum globalen Marktführer in Process Mining und Prozessintelligenz mit einer Unternehmensbewertung von 13 Milliarden US-Dollar entwickelt.
Mehr Risiko wagen
Noch aber ist das Kapital, das bayerische beziehungsweise deutsche Unternehmen erhalten, deutlich geringer als die Finanzmittel, die US-amerikanischen oder asiatischen Firmen zur Verfügung stehen. „Es heißt Risikokapital, aber die wenigsten Venture-Capital-Geber wollen ein Risiko eingehen“, sagt Thomas Lang, Geschäftsführer der Level 10 Ventures in München.
Laut Lang, der selbst einige Firmen gegründet und sich an etlichen beteiligt hat, fehlt es oft am entsprechenden Mindset. „In Dubai redet man über Chancen, in Deutschland über Risiken.“
Scale-ups helfen Start-ups
Nicht nur beim Geld hakt es. „Warum“, so fragt Experte Notz, „fliegen immer die Chefs der etablierten Unternehmen und nicht die Gründer der Scale-ups mit dem Bundeskanzler zu Delegationsreisen?“ Warum reden viele über „die neuen BMWs und Siemens“, wenn die jungen Firmen genau das nicht werden wollen und nie sein werden wie die etablierten Konzerne?
Es gibt also noch viel zu tun. Gelingt das Engagement für die Scale-ups, wird es sich vielfach auszahlen. Nicht nur weil dabei starke junge Großunternehmen entstehen. Sondern auch weil deren Gründer ihr Geld wieder investieren – in neue, vielversprechende Unternehmen, die am Standort heranwachsen.
FINN GmbH: Die längste Probefahrt der Welt
Wer ein neues Auto benötigt, steht in der Regel vor der Frage: Kaufen oder leasen? Ein junges Münchner Unternehmen bringt eine 3. Variante ins Spiel: das Auto-Abo. Mit dieser Idee startet die 2019 gegründete Münchner FINN GmbH durch: Das oberbayerische Scale-up gilt als Marktführer in der Branche, wurde kürzlich mit rund 550 Millionen Euro bewertet. Erst im Februar dieses Jahres konnte es sich weiteres Kapital in Höhe von bis zu 1 Milliarde Euro für die Flottenfinanzierung sichern.
Schon vor 25 Jahren kursierte im Handel der Spruch: „Die Menschen wollen keine Bohrmaschine kaufen, sie wollen Löcher in den Wänden.“ FINN-Geschäftsführer Maximilian Wühr sagt, dass es im Bereich der Mobilität nicht anders sei: „Die Leute wollen sich aufs Autofahren konzentrieren. Und sie möchten flexibel sein.“
Zu einem Drittel E-Autos im Abo
Infolgedessen bietet das Unternehmen Fahrzeuge im Abo an. In den Kosten ist alles von der Kfz-Steuer bis zur Hauptuntersuchung enthalten, sodass sich Kunden um nichts kümmern müssen. Die Laufzeiten der Abos betragen im Schnitt weniger als 1 Jahr.
So könnten Kunden immer wieder ein neues Automodell ausprobieren – und haben mit einer Laufzeit von zum Beispiel 6 Monaten „die längste Probefahrt der Welt“, sagt Wühr. Viele Kunden wollten zum Beispiel ein E-Auto testen, weshalb die FINN-Flotte von rund 25.000 Fahrzeugen zu einem Drittel aus Elektroautos besteht.
Geeignet für Unternehmensflotten
Insgesamt hat das Unternehmen mehr als 30 Marken im Angebot – vom kleinen Fiat, der für rund 330 Euro pro Monat gemietet werden kann, über einen Jeep für 600 Euro bis hin zum Audi RS 6 Avant für rund 2.400 Euro Monatsmiete.
Gut 25.000 Abonnenten setzen bislang auf das Modell und immer mehr Firmen mieten ihre ganze Flotte bei FINN.
Helsing GmbH: Schutz der demokratischen Werte
Die Studie hat an Aktualität noch gewonnen: In einer Umfrage der R+V Versicherung gab 2023 eine große Mehrheit der Befragten an, sie hätten Sorge, dass sich Deutschland im Kriegsfall nicht verteidigen könne. Ein junges Unternehmen aus München will den Bürgern die Angst nehmen – und selbstverständlich mit seinem Geschäftsmodell auch erfolgreich sein.
Nach nur 4 Jahren milliardenschwere Bewertung
Die Helsing GmbH ist dabei auf gutem Weg. Nur 4 Jahre nach der Gründung wird sie mit 5 Milliarden Euro bewertet. „Wir sind Deutschlands wertvollstes KI-Unternehmen“, sagt Geschäftsführer Wolfgang Gammel.
Erst kürzlich sicherte sich das Unternehmen eine neue Finanzierung über 450 Millionen Euro. Von dem Kapital werden unter anderem die 450 Mitarbeiter an den Standorten München, Paris und London sowie in der Dependance in Berlin bezahlt. Vor allem aber wird in die technologische Entwicklung investiert.
Künstliche Intelligenz (KI) – das ist der Schlüssel für das Anliegen von Helsing, die demokratischen Werte und die offene Gesellschaft zu schützen. Das gehe leider nicht nur mit Worten, sondern teilweise nur mit Waffen. So liefert das Scale-up seine KI-gestützten Drohnen in die Ukraine.
Mehr Kampfwert durch KI
Die Münchner entwickeln vor allem die Software, teilweise aber auch die Hardware zum Beispiel für Panzerhaubitzen oder Aufklärungssysteme über und unter Wasser. Gammel fasst den Mehrwert so zusammen: „Durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz ist der Kampfwert pro investiertem Euro bedeutend höher als bei herkömmlichen Systemen.“