Synthetische Option
E-Fuels werden mithilfe von Strom aus Wasser und CO2 hergestellt. Können sie eine Alternative zu fossilem Sprit sein? Ein Überblick über Potenzial und Einsatzmöglichkeiten.
Von Josef Stelzer, IHK-Magazin 10/2023
Weltweit sind schätzungsweise 1,3 Milliarden Fahrzeuge mit herkömmlichen Kraftstoffen unterwegs. Sie setzen gewaltige Mengen an klimaschädlichem Kohlenstoffdioxid (CO2) frei. Allein in Deutschland sind nach Angaben des Kraftfahrt-Bundesamts mehr als 59 Millionen Verbrenner registriert – vor allem Pkws, aber auch Lkws sowie andere Nutzfahrzeuge. Und ihre Zahl wächst noch. So wurden im Vorjahr rund 2,2 Millionen Pkws, die mit fossilem Diesel oder Benzin unterwegs sind, neu zugelassen.
Ein rascher Austausch all dieser Vehikel durch Elektro- oder Wasserstoff-Fahrzeuge ist nicht sehr wahrscheinlich. Aber die Verbrenner könnten mit einem anderen Kraftstoff fahren: mit E-Fuels. Werden diese synthetischen Kraftstoffe mit regenerativer Energie produziert, sind Pkws und Lkws mit ihnen weitaus umweltschonender unterwegs als mit fossilen Energieträgern. E-Fuels eignen sich nicht nur für Neuwagen, sondern auch für ältere Fahrzeuge, die womöglich schon einige Hunderttausend Kilometer zurückgelegt haben. Verbrauch und Motorleistung bleiben unverändert.
E-Fuels – klimaneutral und reichlich zu produzieren
Das sind im Prinzip ausgezeichnete Voraussetzungen für einen Einsatz. Wie realistisch ist der großflächige Einsatz von E-Fuels also?
Ein Blick auf die Herstellung zeigt den großen Vorteil der E-Fuels in puncto Klimaneutralität: Die Produktion läuft in mehreren Schritten ab. Zunächst wird mit regenerativem Strom per Elektrolyse Wasser (H2O) in Sauerstoff (O2) und Wasserstoff (H2) gespalten. Anschließend wird der Wasserstoff mit Kohlendioxid (CO2) verbunden, das aus Biogasanlagen, der Umgebungsluft oder aus Industriebetrieben stammt. Dadurch entsteht zunächst synthetisches Rohöl. Es kann weiterverarbeitet werden, etwa zu E-Diesel, E-Benzin, synthetischem Marine-Diesel-Oil für Schiffsmotoren, zu synthetischem Kerosin oder zu Grundstoffen für die chemische Industrie.
Der grünstrombasierte Sprit gilt bei der Verbrennung als treibhausgasneutral, weil dabei genauso viel Kohlenstoffdioxid freigesetzt wird, wie der Atmosphäre bei seiner Herstellung zuvor entnommen wurde. Da die Ausgangsstoffe in der Natur reichlich vorhanden sind, können E-Fuels – auch Power to Liquid (PtL) genannt – in sehr großen Mengen hergestellt werden.
Praxistest längst bestanden
Diese Argumente überzeugen auch Unternehmer aus der Logistikbranche. So sagt Ferdinand Kloiber, Geschäftsführer und Inhaber des Logistikdienstleisters Kloiber GmbH in Petershausen: „Wir benötigen den synthetischen Diesel letztlich, um klimaneutral zu werden.“ Vor allem für den Einsatz im Lkw-Fernverkehr, für Spezialfahrzeuge und Containerstapler sei der E-Diesel geradezu prädestiniert.
Der Kloiber-Fuhrpark umfasst rund 150 Zugmaschinen und Spezialfahrzeuge, darunter Sattelkipper sowie Kran-Lkws – allesamt für synthetischen Sprit geeignet. Für den Unternehmer kommen allerdings nicht nur E-Fuels in Betracht, sondern auch andere klimaschonende Kraftstoffe wie beispielsweise die sogenannten HVO, die mit biologischen Reststoffen wie etwa Speisefetten hergestellt werden, sowie synthetisches Flüssigerdgas (E-LNG).
Renaissance für Verbrenner
„Um die Mobilitätswende im angestrebten Zeitraum zu schaffen, müssen wir technologieoffen alle alternativen Antriebsarten betrachten“, fordert Kloiber. „Gewiss werden der batterieelektrische Antrieb und Wasserstoff einen großen Anteil abdecken, aber dem Verbrenner mit nachhaltigen Treibstoffen sollte man keine Absage erteilen.“
Das sieht Markus Brunner, Regionalleiter Süddeutschland im UNITI Bundesverband mittelständischer Mineralölunternehmen, ähnlich: „Dieselantriebe bleiben uns noch viele Jahrzehnte erhalten, sowohl für Pkws als vor allem auch für schwere Lkws, Baufahrzeuge oder in der Schifffahrt.“ Mit synthetischen Kraftstoffen könnten sie weiter unterwegs sein, zumal ihr Einsatz sehr flexibel ist. „E-Fuels lassen sich problemlos als Benzin- oder Dieselersatz sowohl als Beimischung mit einem beliebigen Anteil als auch als Reinkraftstoff in den bestehenden Tank- und Logistikinfrastrukturen nutzen“, betont Brunner.
Pilotanlagen vor dem Start
Noch aber ist es nicht so weit. An den Tankstellen sucht man E-Fuels noch vergebens. Es gibt bisher kleinere Pilotanlagen, größere Produktionsanlagen wollen nach und nach an den Start gehen.
Beispielsweise hat die Ineratec GmbH aus Karlsruhe eine Produktionsanlage fertiggestellt, die 2024 im Frankfurter Industriepark Höchst in Betrieb genommen werden soll. Bis zu 2.500 Tonnen E-Fuels jährlich kann die Anlage liefern. Zu den Abnehmern gehören 30 Mitglieder des UNITI Bundesverbands mittelständischer Mineralölunternehmen, zum Beispiel Tankstellen und Logistikunternehmen.
Standort Leuna soll Großproduzent werden
Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) plant ebenfalls eine E-Fuel-Produktionsanlage. Baubeginn ist 2024 im sachsen-anhaltinischen Leuna. Dort soll die Technologieplattform PtL künftig pro Jahr bis zu 10.000 Tonnen strombasierter Kraftstoffe herstellen. Damit wäre sie eine der größten Anlagen dieser Art weltweit.
Porsche prescht vor
Besonders viel Erfahrung mit den E-Fuels besitzt die Porsche AG. Der Autohersteller hat bereits Ende 2022 im südchilenischen Punta Arenas gemeinsam mit der Partnerfirma HIF Global LLC eine E-Fuel-Anlage in Betrieb genommen. Produziert wird dort synthetisches Benzin mit Strom aus Windkraft, Wasser und CO2. In Punta Arenas weht es derart stark, dass die Windräder, die den Strom für die Kraftstoffherstellung liefern, an etwa 270 Tagen im Jahr unter Volllast laufen – bis zu viermal länger als in Europa.
Der Sprit aus Chile hat bereits einen besonderen Test bestanden. Der erste Porsche überhaupt, der 356 Nr. 1 Roadster aus dem Jahr 1948, war damit bei der Ennstal Classic unterwegs, einer Oldtimer-Rallye in der Steiermark – gefahren von Unternehmer Wolfgang Porsche. „E-Fuels lassen sich problemlos auch in älteren Fahrzeugen verwenden, ohne irgendwelche Modifikationen an den Motoren oder an einzelnen Bauteilen“, sagt Karl Dums, Projektleiter E-Fuels im Porsche-Entwicklungszentrum Weissach.
Beste Produktionsbedingungen in Chile
Der synthetische Sprit aus Chile besteht bislang bis zu 85 Prozent aus klimaneutralen Anteilen, bestimmte Kraftstoffkomponenten auf fossiler Basis sind noch enthalten. Bis Mitte des Jahrzehnts soll in Punta Arenas, das nahe der Magellanstraße liegt, die jährliche Produktion auf 55 Millionen Liter steigen, später auf 550 Millionen Liter und mehr. Das Potenzial ist groß. „Selbstverständlich kommen auch weitere Regionen, die ähnlich günstige Standortbedingungen wie Punta Arenas aufweisen, für eine E-Fuel-Produktion infrage“, sagt Dums.
E-Fuels auch für Schiff- und Luftfahrt geeignet
Abnehmer für synthetische Kraftstoffe wird es künftig wohl reichlich geben. Denn in der Seeschifffahrt und im Luftverkehr ist der Einsatz der E-Fuels unumstritten. Elektro- oder Brennstoffzellenantriebe wären in beiden Verkehrssektoren wenig praktikabel, weil Batterien oder Wasserstofftanks so groß ausfallen würden, dass kaum Transportvolumen übrig bliebe.
Lufthansa treibt Entwicklung voran
Nachhaltige Kraftstoffe sind für die Dekarbonisierung des globalen Luftverkehrs künftig von großer Bedeutung. „Die Lufthansa Group treibt den Einsatz nachhaltiger Flugkraftstoffe seit vielen Jahren voran, auch die Forschung zu PtL-basierten Treibstoffen begleiten wir eng“, sagt Jan Pechstein, Leiter des Lufthansa-Emissionsmanagements.
Nachhaltigkeit contra Preis
Nachhaltigere Reiseangebote würden in allen Kundensegmenten zunehmend nachgefragt. „Hierfür sind umweltfreundlichere Kraftstoffe entscheidend“, sagt der Experte und ergänzt: „Zudem kommt die europäische Beimischungsquote auf uns zu.“ EU-weit ist schon ab 2025 ein Anteil von 2 Prozent nachhaltigem Flugkraftstoff im Treibstoffmix vorgesehen, der bis 2030 auf insgesamt 6 Prozent ansteigt, davon 1,2 Prozent E-Fuels.
Pechstein: „Perspektivisch wird der Flugkraftstoff in der EU durch die nachhaltigen Treibstoffkomponenten und die weiteren Umweltauflagen allerdings teurer.“ Diese einseitige Verteuerung sei gegenüber außereuropäischen Fluglinien ein massiver Wettbewerbsnachteil. Pechstein fordert daher: „Um fairen Wettbewerb sicherzustellen und Carbon Leakage zu vermeiden, muss die EU die geplanten Gesetzesvorhaben nachbessern.“