Klimaschutz | Standortpolitik
In die Box statt an die Tür
Der Onlinehandel wird auch nach Corona weiter wachsen – und mit ihm der Lieferverkehr, der die Pakete zu den Kunden transportiert. Wie lässt sich die Zustellung schnell und klimafreundlich organisieren?
EVA ELISABETH ERNST, Ausgabe 06/2022
Seit einem Jahr liefert die Glocally Technologies GmbH Pakete in München aus – ausschließlich mit E-Cargobikes und E-Vans. Das Geschäft wächst stetig. Im Frühjahr 2022 lag die Zahl der wöchentlichen Sendungen des Münchner Start-ups bereits im fünfstelligen Bereich, der Fuhrpark ist auf jeweils 50 Bikes und Vans gewachsen. Noch in diesem Jahr soll der Zustellservice auch in anderen Städten ausgerollt werden. »Zunächst haben wir uns auf Münchner Onlineshops konzentriert, um deren lokale Kunden aus den Läden heraus zu beliefern«, erklärt Co-Gründer und Geschäftsführer Fabian Warmdt (25).
Ökologische Lieferalternative
Doch längst setzt das Start-up auch auf große E-Commerce-Anbieter, um sich als ökologische Lieferalternative zu etablieren. »Das funktioniert sehr gut«, freut sich Warmdt. Sowohl bei Shopbetreibern als auch bei den Kunden komme der Service gut an.
Wie das praktisch aussieht, zeigt die Kooperation mit Decathlon, einem der größten Sportartikelhändler weltweit. Glocally fährt Produkte aus den Münchner Decathlon-Niederlassungen direkt an die Besteller in der Landeshauptstadt aus. Ein Teil der Pakete kommt aber auch aus weiter entfernten Decathlon-Lagern und wird ans Glocally-Hub, also das Sammellager des Start-ups, geliefert und von dort aus zugestellt.
Rund 600 Gramm CO2-Ersparnis pro Paket
Als derzeit größte Herausforderung bezeichnet Glocally-Chef Warmdt das sprunghafte Wachstum seines Unternehmens, wenn größere E-Commerce-Anbieter als Kunden hinzukommen – wobei die Fahrzeugbeschaffung schwieriger sei als das Recruiting neuer Mitarbeiter. »Wir arbeiten ausschließlich mit fest angestellten Fahrern, denen wir ein attraktives Package bieten. Und wie unsere Handelspartner und die Endkunden wissen auch die Fahrer zu schätzen, dass wir klimaneutral arbeiten.« Schließlich erspare die Zustellung durch Glocally der Umwelt rund 600 Gramm CO2 pro Paket.
Urbane Logistik wächst weiter
Die Umweltauswirkungen des Pakettransports auf der sogenannten letzten Meile, also der Strecke vom finalen Logistikknoten bis zum Endverbraucher, dürften nicht unterschätzt werden, betont Marie-Louise Seifert, Referentin Mobilität und Logistik bei der IHK für München und Oberbayern: »Diese Transporte verursachen 20 bis 30 Prozent der städtischen CO2-Emissionen.«
Ein Bericht des Weltwirtschaftsforums von 2020 erwartet als Folge des Wachstums der Kurier-, Express- und Paketdienste (KEP), dass das Aufkommen an Lieferfahrten bis 2030 noch um 36 Prozent steigen könnte. »Der Handlungsdruck, eine saubere urbane Logistik zu schaffen und die Versorgung der Unternehmen und der Bürger weiterhin zu sichern, ist hoch«, so Seifert.
»Auf der letzten Meile lässt sich besonders viel tun«
Wie aber lässt sich das erreichen? »Auch wenn auf dem Weg zu der von uns angestrebten Klimaneutralität die gesamte Lieferkette eine Rolle spielt, lässt sich auf der letzten Meile besonders viel tun«, sagt Christiane Behrisch, Koordinatorin Wirtschaftsverkehr im Mobilitätsreferat der Landeshauptstadt München. Ein wichtiger Baustein sind ihrer Meinung nach Elektrofahrzeuge.
Mikrodepots für Lastenräder
Zudem hält sie eine verstärkte Verlagerung der Zustelltransporte auf Lastenräder für sehr sinnvoll. Da mit einem Lastenrad eher kürzere Strecken zurückgelegt werden und weniger Pakete darauf Platz finden, benötigen die KEP-Dienste jedoch Mikrodepots, also kleine Zwischenlager mit Lademöglichkeiten.
Derzeit arbeitet die Stadt München an einer Datenbank zur Vermittlung von privaten Flächen, die sich für Mikrodepots eignen. »Zudem muss nicht jeder Logistiker sein eigenes Lastenradsystem betreiben«, sagt Behrisch. »In der Münchner Innenstadt wäre es durchaus vorstellbar, dass ein, zwei Dienstleister die Lastenradzustellung als Service für die KEP-Logistiker sowie für lokale Geschäfte anbieten.«
Ist eine solche Lösung auch für weiträumigere Gebiete denkbar? Georgios Stavrakis (59), Koordinator Fuhrpark und Zustellmodelle im Regionalgeschäftsbereich Süd der Deutschen Post DHL Group, ist da skeptisch. Stadtweite Lösungen mit Mikrodepots und der Zustellung per Lastenrad hält er für kaum realisierbar. »Um ein Lieferfahrzeug zu ersetzen, sind vier Lastenräder und eben auch vier Zusteller nötig«, sagt er. »In der Fläche wäre das wirtschaftlich und zeitlich sehr schwierig.«
70 Prozent Elektrofahrzeuge bis 2030 als Ziel
Stavrakis weist darauf hin, dass DHL immerhin über die Hälfte der Münchner Zustellbezirke im Paketbereich bereits CO2-neutral mit Elektrofahrzeugen bedient. Noch in diesem Jahr kommen weitere E-Fahrzeuge hinzu. »Unser Ziel bis Ende 2030 ist, dass über 70 Prozent unserer Zustellfahrzeuge mit Elektroantrieb ausgestattet sind.«
30 Prozent CO2-Ersparnis durch Packstationen
Einen weiteren Beitrag zur Nachhaltigkeit bieten laut Stavrakis die Packstationen: Eine Sendung dorthin spare im Vergleich zur Haustürzustellung auf der letzten Meile im Durchschnitt bis zu 30 Prozent CO2 ein. Die Zusteller könnten pro Stopp an der Packstation mehrere Dutzend Pakete abliefern und abholen. Mit bundesweit mehr als 9.000 DHL-Packstationen sei das Unternehmen hier Vorreiter. In München gibt es derzeit rund 315 dieser Stationen.
»Wir würden hier gern noch mehr Packstationen bauen, doch dafür fehlt es an geeigneten Standorten«, sagt Stavrakis.
Ein Paket ist im Grunde erst dann angekommen, wenn der Empfänger es tatsächlich in der Hand hält. »Denn jedes Paket, das an einer Packstation oder einem Paketshop abgegeben wird, muss vom Empfänger ja dort abgeholt werden, was erneut zu einem gewissen Verkehrsaufkommen führt«, sagt Kathrin Zabel, Geschäftsführerin des ProPaketBox e.V., der die Interessen von sieben Paketboxherstellern vertritt.
Paketbox als Alternative?
Der Verein wirbt für haushalts- oder arbeitsplatznahe Paketboxen, die nicht nur diesen »Sekundärverkehr« von der Paketstation nach Hause vermeiden. »Sie reduzieren auch die Zahl der Lieferfahrzeuge, da jeder Zusteller im Vergleich zur persönlichen Übergabe an der Haustür pro Stopp durchschnittlich drei bis fünf Minuten Zeit spart«, erklärt Zabel.
Eine für alle Paketdienstleister zugängliche Box reiche im Schnitt für drei bis vier Haushalte aus, zur Öffnung der Paketbox durch den Empfänger gebe es bereits verschiedene Lösungen. »Paketboxen können aber auch in Shoppingcentern aufgestellt werden, um die Abholung von Waren außerhalb der Öffnungszeiten der Geschäfte zu ermöglichen«, so Zabel.
Lieferdienstneutrale Paketstationen in Einkaufszentren bietet auch die pakadooo GmbH. Kerngeschäft des Böblinger Start-ups sind allerdings sogenannte pakadoo points in Unternehmen, die es den Mitarbeitern ermöglichen, sich private Pakete an ihren Arbeitsplatz liefern zu lassen. Mittlerweile gibt es 400 solcher Abholstellen an Firmenstandorten in Deutschland, Österreich und in der Schweiz.
Auch viele Onlinehändler bieten pakadoo bereits als Versandoption in ihren Shops, darunter die E-Commerce-Riesen Amazon und Zalando SE. »Sie sehen es als Vorteil, dass die Ware schneller beim Kunden ist und auch Retouren schneller abgewickelt werden können. Durch die Bündelungseffekte bei der Zustellung können sie zudem bessere Versandpreise bei ihren Logistikpartnern verhandeln«, berichtet pakadooo-Geschäftsführer Markus Ziegler (57).
Microhubs für paketdienstübergreifende Zustellung
Zudem ist sein Unternehmen an einigen Citylogistik-Projekten beteiligt. Denn Ziegler geht davon aus, dass sich das Konzept einer paketdienstübergreifenden, gebündelten Zustellung auch auf ganze Städte übertragen lässt und mit Paketschränken und der Paketverwaltungssoftware auch über Microhubs abgebildet werden kann. Die DropFriends GmbH aus Köln setzt dagegen auf die persönliche Annahme und Übergabe der Pakete an sogenannten DropPoints, die von vorab registrierten Privatpersonen oder lokalen Einzelhändlern betrieben werden. Onlinebesteller können per App einen dieser Abholpunkte auswählen, den sie als Lieferadresse angeben.
Zusatzgeschäft durch DropPoints
Privatpersonen können sich über ihre DropPoint-Services etwas dazuverdienen. Stationäre Händler profitieren von der erhöhten Frequenz in ihren Läden und können den Abholern zudem über die App Gutscheine übermitteln, sodass sich aus dem Abholprozess durchaus Zusatzgeschäft entwickeln kann. »Wir sehen uns als Innenstadtbeleber und Einzelhandelsförderer«, sagt Co-Gründer und Geschäftsführer Martin Peters (38).
Weiterer Ausbau geplant
DropFriends ist bundesweit aktiv. Die meisten Abholmöglichkeiten gibt es in Köln und Hamburg. »In diesen beiden Städten sind es bereits über 1,500 Drop-Points – deutlich mehr als DHL-Packstationen und -Paketshops«, so Peters. Berlin und das Ruhrgebiet wachsen derzeit besonders stark. Aber auch die Präsenz in München und Oberbayern will das Unternehmen künftig ausbauen.
In skandinavischen Ländern bereits Standard
Vorteil der Alternativen zur Haustürbelieferung: Sie vermeiden mehrere Zustellversuche und damit unnötigen Lieferverkehr. Und je mehr Abholpunkte es gibt, desto geringer fällt der Sekundärverkehr aus. »In den skandinavischen Ländern sind Abholstellen für Pakete, die sich in fußläufiger Distanz zu den Wohnungen befinden, bereits Standard«, berichtet Behrisch vom Mobilitätsreferat der Stadt München. Sie sieht die logistisch deutlich aufwendigere Haustürbelieferung als Extraservice, der vielleicht sogar separat berechnet werden sollte. »Am besten ist es natürlich«, so Behrisch abschließend, »regionale Wirtschaftskreisläufe zu stärken und bei lokalen Anbietern zu kaufen.«