Effektiv vernetzt

Im Chemiedreieck zwischen Burghausen, Trostberg und Waldkraiburg organisiert sich ein Großteil der Chemieunternehmen erfolgreich in einer Initiative. Die Betriebe wollen so ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern.
Steffi Sammet, Ausgabe 03/2020
Heute schon einen Kaugummi gekaut? Oder das Gesicht eingecremt? Vielleicht auch Waschpulver in die Maschine gefüllt oder das Auto gestartet? Es gibt in Deutschland wohl kaum jemanden, der im Laufe eines Tages nicht mindestens einmal mit einem Produkt in Kontakt kommt, das die 25 Chemieunternehmen im südostbayerischen Chemiedreieck herstellen.
Ob Spezialdichtungen, metallurgische Produkte wie Motorblöcke, Aluminiumgusslegierungen für Getriebegehäuse im Flugzeug- und Fahrzeugbau, Kosmetika oder Lebensmittel – im Dreieck zwischen den Ortschaften Burghausen, Burgkirchen/ Gendorf, Waldkraiburg und Trostberg entstehen Tausende verschiedene chemische Produkte, die weltweit etwa in der Nahrungsmittel-, der Pharma-, der Konsumgüter- und der Kunststoffindustrie, dem Maschinenbau, der Bau-, Automobil- und der Hightech-Elektronikindustrie weiterverarbeitet werden.
Mit mehr als zehn Milliarden Euro Umsatz erwirtschaften die Unternehmen der chemischen Industrie an acht Standorten in der südostbayerischen Region circa fünf Prozent des Branchenumsatzes in Deutschland. »Viele Unternehmen haben ihren Sitz und ihre Produktion schon seit mehr als 100 Jahren in dieser Region, das Chemiedreieck schaut auf eine lange Tradition zurück«, sagt Johann Krichenbauer, Bürgermeister der Gemeinde Burgkirchen. Obwohl diese Ecke Südbayerns abseits großer Wirtschaftszentren liegt, »steht sie deutschlandweit für Wohlstand, Erfolg und sichere Arbeitsplätze«, ergänzt Dieter Gilles, der in Burghausen als Werkleiter für den größten Produktionsstandort der Wacker Chemie AG verantwortlich ist. Allein auf den bisherigen Erfolg wollen sich die Unternehmen indes nicht verlassen: Vor zwölf Jahren hat sich ein großer Teil von ihnen zur Initiative ChemDelta Bavaria zusammengeschlossen, um gemeinsam Ziele wie den Ausbau der Infrastruktur oder eine nachhaltige Nachwuchssicherung zu verfolgen. »Natürlich haben die Unternehmen auch das Ziel, miteinander zu kooperieren«, ergänzt Georg Häckl, Sprecher der Initiative. Dass sich die chemische Industrie überhaupt in dieser Randregion angesiedelt hat, lag vor allem an den günstigen geografischen Gegebenheiten – dem starken Gefälle des Flusses Alz und dem Wasserreichtum des Inns in den Landkreisen Traunstein und Altötting. Aus der Wasserkraft lässt sich bis heute kostengünstig elektrische Energie gewinnen. Die längeren Transportwege für die damals notwendigen Rohstoffe wie Kalk, Kohle und Salz nahm die chemische Industrie, die extrem viel Strom braucht, dafür in Kauf.
Heute reicht die Produktpalette von Nahrungsergänzungsmitteln bis zu Polysilicium für Solarpanels. In Summe verlassen mehr als acht Millionen Tonnen Güter jährlich die Region, etwa 60 Prozent davon sind für den Export bestimmt. Circa 20000 Beschäftigte arbeiten im Chemiedreieck in der Branche, weitere 40000 Arbeitsplätze sind indirekt von der chemischen Industrie abhängig. Zwischen Burghausen, Trostberg und Töging am Inn ist sie der größte Arbeitgeber.
Kooperation soll die Position der Chemieunternehmen weiter stärken. »Ein Zusammenschluss, wie wir ihn hier in der Region mit ChemDelta Bavaria haben, hilft uns allen, mehr Gehör bei den Behörden, der Politik und in der Öffentlichkeit zu bekommen«, ist Andreas Niedermaier, Vorstandsvorsitzender der AlzChem Group in Trostberg, überzeugt. Und genau das hat sich die 2007 gegründete Initiative vorgenommen: Sie will die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaftsregion Südostbayern nicht nur sichern, sondern weiter ausbauen. »Die Themen Verkehrsinfrastruktur, Energie oder auch Kooperation untereinander spielen dafür eine wichtige Rolle«, betont Wacker-Werkleiter Gilles, der derzeit den Lenkungskreis der Initiative leitet. Aktuell gehören der Initiative 18 Unternehmen an. Einmal jährlich findet eine Versammlung statt, in der die Mitglieder über Aktivitäten entscheiden. Ein Lenkungskreis, in dem neben Geschäftsführern und Standortleitern auch die bayerischen Chemieverbände vertreten sind, koordiniert deren Umsetzung. Die sechs Arbeitskreise treffen sich regelmäßig.
Erst im vergangenen Herbst durfte sich die Initiative darüber freuen, dass sie einem wesentlichen Ziel, der Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur, einen großen Schritt näher gekommen ist: Seit September 2019 ist die Autobahn 94 von München bis Marktl am Inn nach mehr als 40 Jahren durchgängig befahrbar. »Das ist eine enorme Erleichterung für uns«, sagt Wacker-Werkleiter Gilles. An diesem Thema habe die Initiative jahrelang hart gearbeitet und immer wieder Fakten geliefert, warum die Autobahn dringend gebraucht werde. »Am Thema Infrastruktur bleiben wir auch zukünftig dran: Wichtig sind der Weiterbau der A94 bis Passau sowie der zweigleisige Ausbau der Bahnstrecke zwischen Markt Schwaben und Freilassing«, betont Gilles.
Viele Firmen – ein Verbund
Die Kooperation in der Region betrifft auch die Produktion. Die Unternehmen betreiben Stoff-, Energie- und Rohstoffverbundsysteme: So sind der Chemiepark in Burgkirchen/Gendorf, die OMV und die Wacker Chemie in Burghausen miteinander über Ethylen-Pipelines und Stickstoffleitungen vernetzt; die AlzChem-Werke Hart, Schalchen und Trostberg betreiben ein Kohlenmonoxid-Verbundsystem; die Vinnolit Gendorf versorgt ihren Partnerstandort in Burghausen mit Vinylchlorid. »Auf diese Weise lassen sich Ressourcen sparen und Umweltemissionen verringern«, sagt Burgkirchens Bürgermeister Krichenbauer.
Von dem Grundsatz, sich effektiv zu vernetzen, profitieren neben den Unternehmen auch die Gemeinden: So reinigt Wacker Chemie die kommunalen Abwässer der Stadt Burghausen und der österreichischen Nachbargemeinde Hochburg/Ach mit. Das Müllheizkraftwerk in Burgkirchen stellt Dampf für den Chemiepark Gendorf bereit. Dafür reinigt der Chemiepark die Deponieabwässer aus drei Landkreisen in seiner Sickerwasser-Reinigungsanlage. Die Abwärme der Carbidöfen in Hart beheizt das Freibad in Garching, Neubauten im Burghauser Sportpark werden mit Fernwärme aus der Industrie versorgt. Ohnehin, schwärmen Wacker-Werkleiter Gilles und Burgkirchens Bürgermeister Krichenbauer, »ist die Zusammenarbeit zwischen der Wirtschaft und den Gemeinden sehr gut« – egal, wo. Alle zögen an einem Strang. »Es gibt keine Parteigrenzen, über Jahrzehnte hinweg hat sich ein gutes Miteinander herausgebildet. Die Chemieunternehmen und die Region sind längst untrennbar. «