Schattdecor ©
Seit 1993 in Polen aktiv – Schattdecor aus Thansau

Polen macht es vor: Ökonomische Rekorde und Vollbeschäftigung sind möglich – auch während der Pandemie. Die wirtschaftliche Stärke des europäischen Nachbarn eröffnet auch für bayerische Unternehmen Chancen.

Mechthilde Gruber, Ausgabe 09/2021

Deutschlands Nachbar ist stolz auf seine Leistung. »Polen hat sich zu Recht den Titel ›Robert Lewandowski unter den europäischen Volkswirtschaften‹ erworben. Das Land ist wirtschaftlich ein herausragender Player«, sagt Lars Gutheil, Hauptgeschäftsführer der Deutsch-Polnischen Industrie- und Handelskammer (AHK Polen). Seit den 1990er-Jahren ist die Wirtschaft kontinuierlich gewachsen – ohne Einbruch selbst während der Finanzkrise.

In der Pandemie schrumpfte nun erstmals die Wirtschaft. Die Rezession fiel mit einem Minus von 2,8 Prozent im europäischen Vergleich jedoch sehr milde aus. »Das Handelsvolumen zwischen Polen und Deutschland hat sich aber auch in dieser Zeit gut entwickelt«, sagt Gutheil. Ebenso positiv ist die Entwicklung der Wirtschaftsbeziehung zwischen Bayern und Polen. »Trotz der Einschränkungen durch die Coronakrise lieferten polnische Unternehmen 2020 so viele Güter und Dienstleistungen nach Bayern wie nie zuvor«, sagt Sophie Treiber, IHK-Expertin für Mittel- und Osteuropa in München.

So sind die Importe aus Polen um fast zehn Prozent gestiegen. Das Handelsvolumen zwischen Bayern und Polen wuchs um 3,4 Prozent und lag bei 21 Milliarden Euro. Polen ist damit knapp hinter Italien der fünftwichtigste Handelspartner des Freistaats. Ein großes Plus in der Beziehung ist die geografische und kulturelle Nähe. Heute unterhalten mehr als 2.500 bayerische Firmen Geschäftsbeziehungen in Polen, fast 70 Unternehmen sind dort mit eigenen Produktionsstätten aktiv. Das Land ist für Unternehmen im Freistaat äußerst attraktiv.

Bald Europas Produktionsstandort Nummer eins für E-Batterien?

Für den Erfolg der polnischen Wirtschaft gibt es verschiedene Gründe: »Polen hat seine Industrie erfolgreich diversifiziert, sodass das Land nicht mehr von einzelnen Branchen abhängig ist«, sagt AHK-Experte Gutheil. Zwar dominiere nach wie vor der Automotive-Sektor. »Trotzdem kann das, was hier während der Pandemie weggebrochen ist, von anderen Branchen gut kompensiert werden«, so Gutheil. Polen hat sich an Zukunftstechnologien orientiert und ist beispielsweise auf dem besten Weg, Europas Produktionsstandort Nummer eins für E-Batterien zu werden.

Zuverlässige Lieferanten

Polnische Unternehmen zeigen sich in der Pandemie überdies als sehr flexibel und anpassungsfähig. Der Mittelstand im Nachbarland ist in vielen Bereichen hoch spezialisiert und hat sich mit seinen wachsenden Bindungen nach Deutschland bereits als wichtiger Zulieferer etabliert. Dies könnte sich durch die Krise noch weiter verstärken, sagt IHK-Expertin Treiber: »Unternehmen wollen ihre Lieferketten resilienter gestalten, Nearshoring wird interessanter und damit wächst die Bedeutung Europas als Beschaffungsmarkt. Polen hat gezeigt, dass es als Lieferant sehr zuverlässig ist.«

Starker Ausbau erneuerbarer Technologien

Das Wachstumsland Polen ist für bayerische Unternehmen ebenso ein lukrativer Markt. So ist die Energiewende mit einer Abkehr von Kohlekraftwerken ein zentrales Thema, sagt AHK-Chef Gutheil: »Dabei geht es nicht nur darum, die EU-Klimaziele zu erreichen, sondern vor allem um den Wettbewerb um Investoren. Dafür muss Polen jetzt rasch handeln und einen attraktiven Energiemix bieten.« Bis 2040 werden – mit starker EU-Förderung – große Summen in den Ausbau erneuerbarer Technologien fließen. »Deutschland sollte hier am Ball bleiben und diese Chance nicht verpassen«, rät der AHK-Experte.

Förderprogramme zur Digitalisierung des Mittelstands

Gute Geschäftschancen, gerade für bayerische Unternehmen, ergeben sich derzeit auch durch die Förderprogramme zur Digitalisierung. Über drei Milliarden Euro sind dafür im EU-Wiederaufbaufonds für unterschiedlichste Bereiche vorgesehen. »Der polnische Mittelstand ist bei Automatisierung und Robotik noch im Rückstand und wird hier, unterstützt von den Fördergeldern, massiv aufrüsten«, erwartet Gutheil. Aber auch bisher schon starke Sektoren wie die Autobranche, der Maschinenbau, die Möbelindustrie, die Nahrungsmittelindustrie sowie der Pharma- und Gesundheitssektor bieten gute Möglichkeiten für Kooperationen.

Alle warten nun darauf, dass neben den virtuellen auch physische Geschäftskontakte wieder leichter werden. »Für Polen ist Deutschland schon lange der wichtigste Handelspartner«, sagt AHK- Chef Gutheil. »Umgekehrt aber wird für Deutschland der östliche Nachbar immer wichtiger werden. Da ist viel Potenzial.«

Firmenbeispiel Schattdecor: Fertigung in Polen

Das Familienunternehmen Schattdecor ist seit 1993 in Polen tätig und schätzt das Land nicht nur als Produktionsstandort.

»Der Schlüssel zu unserem Erfolg in Polen sind unsere Mitarbeiter«, sagt Roland Auer (52), Vorstandsvorsitzender der Schattdecor AG. »Hier werden Innovationen vorangetrieben, unsere polnischen Mitarbeiter sind kreativ und hoch motiviert.« Das international agierende Familienunternehmen mit Hauptsitz im oberbayerischen Thansau ist Weltmarktführer bei bedruckten und veredelten Oberflächen für die Möbel- und Holzwerkstoffindustrie.

Ein Joint Venture in Polen war 1993 der erste Schritt des Unternehmens ins Ausland, 1996 übernahm Schattdecor alle Anteile des Dekordruckunternehmens Maltaprint in Posen und investierte im Anschluss in Tarnowo Podgórne in einen neuen Standort. »In Polen herrschte Aufbruchstimmung«, erinnert sich Auer, der vor seiner Zeit als CEO lange Jahre Geschäftsführer am polnischen Standort war. »Die Industrie machte insgesamt eine starke Entwicklung durch. Auf dieser Erfolgswelle konnten wir mitschwimmen.« Die Möbelindustrie zählt in Polen zu den besonders erfolgreichen Branchen.

Mit Produkten ›made in Polen‹ weltweit präsent

Schattdecors Engagement entwickelte sich ebenso dynamisch. »Polen war für uns nie die verlängerte Werkbank. Der riesige und moderne lokale Markt war für Schattdecor anfangs entscheidend, mittlerweile sind wir aber mit unseren Produkten ›made in Polen‹ weltweit präsent«, betont CEO Auer.

Ausschließlich polnische Führung vor Ort

Innerhalb der Schattdecor AG ist der Standort Polen laut Vorstandschef ein Ideentreiber. In Posen investierte das Unternehmen kürzlich 20 Millionen Euro in neue Produktionstechnologien. Entscheidend für den Erfolg sei die hoch spezialisierte und stabile Belegschaft unter einer ausschließlich polnischen Führung, sagt Auer: »Die machen einen hervorragenden Job.« Das allerdings ist auch der Grund, warum das Unternehmen in Polen gerade vor einer neuen Herausforderung steht. Denn der Wettbewerb um qualifizierte Fachkräfte verschärft sich.

Immer mehr internationale Investoren aus unterschiedlichsten Branchen zieht es in den aufstrebenden EU-Mitgliedsstaat. Es wird schwieriger, neue Mitarbeiter zu finden und zu halten. Auch die Arbeitskosten erhöhen sich. Schattdecor bleibt dennoch optimistisch, denn die Möbelindustrie boomt in der Pandemiezeit. Um die weiter gestiegene Nachfrage zu bedienen, fährt das Unternehmen derzeit Sonderschichten.

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