Einfluss nehmen

Wie lassen sich langfristig Unternehmen mit fairen Arbeits- und nachhaltigen Produktionsbedingungen aufbauen? Drei Gründerinnen zeigen, wie sie ihre Geschäftsideen vorantreiben.
Harriet Austen, Ausgabe 05/2021
»Ich will nicht mehr Müll produzieren, sondern den nehmen, der schon da ist«, beschreibt Birgitta Tafelmeier ihre ungewöhnliche Gründungsidee. Sie fertigt Sportbekleidung aus recycelten Fischernetzen. Marie-Luise Meinhold erkannte, »dass Versicherungen wegen der Macht des Geldes ein guter Hebel für Nachhaltigkeit sind«, und möchte die erste grüne Sachversicherung aufbauen. Mit ihrem langlebigen und leicht zu transportierenden Knister Grill hat Carolin Kunert das Ziel, die Konsumgüterbranche nachhaltig zu verändern: »Die Wegwerfgesellschaft kann und will ich nicht mehr unterstützen.«
Drei Frauen aus München, die ihren Weg in die Selbstständigkeit mit Mut, Ausdauer und Durchsetzungsvermögen gestaltet haben – und mit einer besonderen Ausrichtung; ihnen ist neben dem wirtschaftlichen Erfolg auch die soziale und ökologische Nachhaltigkeit ein Anliegen. »Wir beobachten zunehmend, dass die Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen im Zentrum der Gründung von Start-ups steht«, sagt Verena Jörg, IHK-Referentin für Unternehmensverantwortung.
Frauen gründen anders, stellt Susanne Traugott fest: »Nachhaltiger, langfristiger, häufig kleiner, vorsichtiger und im Nebenerwerb.« Traugott ist bei der UnternehmerTUM GmbH, dem Zentrum für Innovation & Gründung in Garching, zuständig für die Initiative Women Start-up. Sie will Frauen ermutigen, ihre Talente zu erkennen und techorientierte Start-ups zu gründen. »Unsere Veranstaltungen sind offen für alle. Wie sehen uns als Netzwerk und offenes Einfallstor für die weiterführenden Programme von UnternehmerTUM«, sagt die Projektleiterin.
Gründerinnen häufig vorsichtig im Vorgehen
Women Start-up sei nötig geworden, weil die Szene von Männern dominiert wird und Frauen auf ihrem Weg in die Selbstständigkeit noch zu vielen Hindernissen begegnen. Mit ihrer häufig vorsichtigen Herangehensweise sei es schwierig zu zeigen, was für ein großes Potenzial in ihren Ideen steckt.
Unternehmerin Tafelmeier zum Beispiel lässt sich bewusst Zeit. Ihr 2017 gegründetes Start-up Crystal Flow UG managt und finanziert sie allein. »Ich wollte schon immer gründen. Wenn man selbst etwas macht, kann man besser Einfluss nehmen«, findet die 37-Jährige, die zwei Jahre in der Karibik lebte und mit ihrer nachhaltigen und funktionalen Sportbekleidung einen Beitrag zur Reinigung der Meere leisten will.
Um Fremdkapital hat sie sich bisher noch nicht bemüht, »weil ich unabhängig bleiben und weiter meine eigenen Entscheidungen treffen möchte«, so Tafelmeier. Die Lieferkette ist bis ins kleinste Detail durchdacht und fair, das Geschäft »läuft über nachhaltige Onlineplattformen sehr gut«, so die Gründerin. Ein Nebenjob sichert ihren Unterhalt, über die Coronakrise kommt sie wegen ihrer niedrigen Fixkosten gut hinweg.
Firmenchefin Meinhold wählte einen anderen Weg, sie hat ein weit größeres Projekt angeschoben. Meinhold war schon als Angestellte einer großen Versicherung fasziniert von der Idee, Nachhaltigkeit und Sachversicherung zu kombinieren. Bei ihrem Arbeitgeber fand sie mit diesem Konzept jedoch keine Resonanz. »Dann mache ich mich lieber selbstständig«, nahm sich die Biologin und Ökonomin 2016 vor. Mit ihrem Unternehmen Ver.de will sie eine Sachversicherung aufbauen, die genossenschaftlich, fair, sozial, nachhaltig und gemeinwohlorientiert arbeitet. Das Geld der Kunden fließt in ausgesuchte grüne und ethische Finanzanlagen; eine Million Euro hat sie bereits angelegt. Kunden können Mitglieder der Ver.de Genossenschaft werden.
Investoren überzeugen, die eher auf dominante ›Macher‹ setzen
Da das Start-up noch nicht von der BaFin anerkannt ist und sich deshalb nicht Versicherung nennen darf, vertreibt Meinhold das erste Produkt ihres Unternehmens als Diebstahlschutz für Fahrräder. 2,5 Millionen Euro muss die 50-Jährige noch einsammeln. »Es ist nicht leicht, als Frau überwiegend männliche Investoren zu überzeugen, die eher auf dominante ›Macher‹ und Hightech-Projekte setzen«, sagt Meinhold. Sie merke aber, dass sich ein Wandel abzeichne.
Elfriede Kerschl, Leiterin des IHK-Referats Fachkräfte, Frauen in der Wirtschaft, setzt daher im IHK-Arbeitskreis »Frauen in der Wirtschaft« darauf, Unternehmerinnentum schon früh zu stärken und zu fördern. »Es ist wichtig, Mädchen bereits in der Schule für die Idee der Selbstständigkeit zu begeistern und die vielen tollen Start-up-Gründerinnen sichtbar zu machen, um anderen Mut zuzusprechen«, ist Kerschl überzeugt.
Vorbilder und Mutmacherinnen hätte sich auch Unternehmerin Kunert gewünscht: »Ich kannte weder in meiner Familie noch an der Schule oder Uni jemanden, der gründen wollte«, und sie hatte es selbst auch nie vor. Dass sie trotzdem Unternehmerin wurde, verdankt die Industriedesignerin einem Zufall. Sie gewann während des Studiums in Dänemark mit ihrer Idee eines besonders leicht transportierbaren Grills, der Einweggrills ersetzen soll, einen Wettbewerb. »Ich war supermotiviert weiterzumachen«, so Kunert.
Zurück in München, ging sie sofort ans Werk: Gründung der Knister GmbH 2018, Verkaufsstart über eine Crowdfunding-Plattform, Optimierung des Produkts, Aufbau einer Fertigung in Bayern, erfolgreiche Finanzierungsrunden, Vertrieb über große Campinghändler und Baumärkte, Beginn der Internationalisierung, Entwicklung einer neuen Produktserie.
Im Produktzyklus zu 99 Prozent auf Plastik verzichtet
Ihr Ziel und Antrieb sei es, in einem ersten Schritt auf dem Weg zu nachhaltigen Konsumgütern »extrem haltbare, regional hergestellte und langlebige Outdoor-Produkte zu schaffen«, sagt Kunert, die im ganzen Produktzyklus zu 99 Prozent auf Plastik verzichtet. Die Firma wächst, inzwischen beschäftigt die 25-Jährige acht Mitarbeiter. Ihr Erfolgsrezept: von Anfang an den Fokus auf Sales setzen und fast alles darüber finanzieren. »Ich bin stark impactgetrieben«, sagt sie und ergänzt schmunzelnd: »Jung zu gründen, ist ein erheblicher Vorteil. Ich habe keine hohen Kosten, wohne in einer WG und lebe nicht auf großem Fuß.«