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»Emissionsfrei fliegen«

MTU/Andreas Koehler ©
»MTU investiert massiv in kerosinsparende und emissionsarme Technologien« –MTU-Technikvorstand Lars Wagner

Lars Wagner, Technikvorstand des Münchner Triebwerksherstellers MTU Aero Engines, über das erfolgreichste Jahr der Firmengeschichte, den Flugzeugantrieb der Zukunft und warum das Unternehmen immer in München bleiben wird.

Uli Dönch, Ausgabe 03/2020

Herr Wagner, MTU fliegt gerade von Erfolg zu Erfolg: Umsatz und Gewinn steigen, die Aktie war 2019 das Dax-Wertpapier des Jahres. Was sind die wichtigsten Gründe für das erfolgreichste Jahr der Firmengeschichte?

Auch wenn wir sehr stolz auf unseren Erfolg sind: Wir arbeiten in einer Branche, der es gut geht. Die Luftfahrtindustrie wächst jedes Jahr um fünf, sechs Prozent. Umso erfreulicher ist es, dass unser sicheres und zukunftsorientiertes Geschäftsmodell – Entwicklung, Produktion und Instandhaltung von Luftfahrtantrieben – in diesem Umfeld so gut funktioniert. Wir sind im Instandhaltungsgeschäft auf Jahre ausgebucht. Unsere Hochtechnologiekomponenten für Triebwerke, darunter unsere schnelllaufenden Niederdruckturbinen für den Getriebefan, sind für die nächsten sieben, acht Jahre ausverkauft. Ende September 2019 hatten wir einen Auftragsbestand von insgesamt fast 30 Milliarden Euro.

Welches der drei Geschäftsfelder ist derzeit das wichtigste?

Alle Geschäftsbereiche sind gleich wichtig. Jede unserer drei Unternehmenssäulen stützt die anderen. Ein Beispiel: Unser größtes Geschäftsfeld Instandhaltung – also Instandsetzung und Service – erwirtschaftet zwar 60 Prozent des gesamten Umsatzes, ist aber auch davon abhängig, dass wir fortlaufend neue Produkte entwickeln, produzieren und verkaufen. Dabei geht es auch um die Entwicklung neuer technischer Lösungen für Reparaturverfahren.

Ist MTU mit der Instandhaltung etwa schon so erfolgreich, dass man bereits Aufträge ablehnen muss?

Nein, so weit ist es natürlich noch nicht. Aber wir wachsen hier rasend schnell. 2018 haben wir neue Instandhaltungsaufträge im Wert von 4,5 Milliarden US-Dollar gewonnen, Ende September 2019 waren es schon neue Aufträge im Wert von über sechs Milliarden US-Dollar. Unsere Bücher sind gut gefüllt. Wir fragen uns aber: Wie schnell können und wollen wir hier noch wachsen? Unser oberstes Ziel muss die Zufriedenheit unserer Kunden bleiben.

Wie langfristig und vorausschauend muss ein Unternehmen wie MTU planen?

Sehr, sehr langfristig. Ein Flugzeugtriebwerk bleibt im Schnitt bis zu 40 Jahre auf dem Markt, bevor das Nachfolgemodell kommt. Wir müssen also genau abwägen, wie viel Geld wir in die Entwicklung neuer Hochtechnologieteile für Triebwerke stecken und wie wahrscheinlich es ist, dass diese Komponenten ein dauerhafter Markterfolg werden. Denn wir wollen für diese Triebwerke auch 40 Jahre lang unseren Service anbieten.

MTU hat gerade beschlossen, gemeinsam mit einem Partnerunternehmen ein neues militärisches Triebwerk auf den Markt zu bringen. Wie lange dauert so etwas?

Unsere Entwickler haben jetzt mit ihrer Arbeit begonnen. Bis dieses neue militärische Triebwerk für den neuen europäischen Kampfjet in Serie hergestellt werden kann, vergehen rund 20 Jahre – es kommt also erst 2040 auf den Markt. Dann beginnt der 40-jährige Lebenszyklus. Wir werden dieses Triebwerk also bis 2080 produzieren, vielleicht sogar bis 2090.

Die Luftfahrtbranche steht – wie auch die Autohersteller – vor besonderen Herausforderungen: Die Triebwerke sollen weniger Kerosin verbrauchen und deutlich weniger Schadstoffe wie Stickstoff oder Kohlenstoffdioxid ausstoßen.

Wir sind auf einem guten Weg. MTU investiert weiter massiv in neue, kerosinsparende und emissionsarme Technologien für die heutigen zivilen Triebwerke und gleichzeitig auch in völlig neue Flugzeugantriebe. Hier decken wir sowohl die Weiterentwicklung der Fluggasturbine ab als auch alternative Antriebskonzepte mit Elektromotoren. Damit die aktuellen Triebwerke so wenig Treibstoff wie möglich verbrauchen, gehen wir physikalisch bis ans Limit der Gasturbine: Die heutige erste Generation unserer mit Pratt & Whitney produzierten GTF-Triebwerke (Getriebefan-Technologie, die Red.) verbraucht bereits 16 Prozent weniger Treibstoff, so zum Beispiel im Airbus A320neo. Mit der zweiten Generation dieses GTF-Triebwerks werden wir bis 2035 weitere zehn Prozent schaffen.

Gleichzeitig arbeiten wir an revolutionären neuen Technologien für das Jahr 2050, die weit über den heutigen Stand der Technik hinausgehen. Unser Ziel ist dann, für die Fluggasturbine ein weiter optimiertes Antriebskonzept auf den Markt zu bringen, das noch einmal 30 bis 35 Prozent weniger Treibstoff benötigt. In der gleichen Höhe wie der Treibstoffverbrauch sinken übrigens die Kohlenstoffdioxid-Emissionen. Aber auch E-Antriebe werden eine wichtige Rolle spielen.

Verraten Sie uns, auf welche Technik MTU setzt: Elektroantrieb, Brennstoffzelle, hybride Modelle?

Auf alle drei

Wirklich?

Ja, ganz im Ernst: Wir forschen und entwickeln in alle Richtungen. Denn wir wissen heute noch nicht, welche Technologie sich später durchsetzen wird. Aus heutiger Sicht steht fest: Ein rein elektrischer Antrieb funktioniert nur bei kleinen Flugzeugen auf kurzen Strecken von bis zu 50 Kilometern. Für größere Entfernungen bis hin zur Langstrecke braucht man einen leistungsstarken Hybridantrieb, also halb Elektromotor, halb Fluggasturbine – oder sogar eine mit Wasserstoff betriebene Brennstoffzelle. Die würde überhaupt keine CO₂-Emissionen ausstoßen und uns dabei helfen, eines unserer ganz großen Ziele zu verwirklichen: das emissionsfreie Fliegen.

Betrachtet man alle diese Möglichkeiten und ihre Machbarkeit realistisch, kommt man zu dem Schluss: Alle Konzepte werden mittelfristig ihren Weg ins Flugzeug finden. Es wird aber auch langfristig nach wie vor die Fluggasturbine geben, denn sie kann noch deutlich optimiert werden.

Von der Brennstoffzelle als Zukunftstechnologie hören wir schon seit 20 Jahren. Bis heute hat sich aber nichts wirklich Entscheidendes getan. Was passiert, wenn MTU hier auf den falschen Antrieb setzt – und dabei viel Geld verliert?

Das darf und wird nicht passieren, denn wir verfolgen in den nächsten Jahren gleichzeitig viele erfolgversprechende technische Möglichkeiten. Wir halten alle Bälle in der Luft. Das ist zwar sehr kostenintensiv, aber wir gehen davon aus, dass sich innerhalb dieser Zeitspanne abzeichnet, welches Antriebsprinzip sich durchsetzt. Wir verlassen uns dabei auf unseren Ingenieursinstinkt und unsere Expertise, so wie in der Vergangenheit.

Was sagt Ihr Ingenieursinstinkt zu neuen Produktionsverfahren wie der additiven Fertigung, bei der ein Laser Pulver schmilzt und so Schicht für Schicht ein Werkstück formt. Hat der 3-D-Druck auch im Flugzeugbau eine Zukunft?

Und ob. MTU arbeitet bereits seit über 15 Jahren mit einem Partnerunternehmen an der additiven Fertigung. Wir haben mit Werkzeugen und einfachen Entwicklungsbauteilen begonnen. Heute produzieren wir so bereits Teile einer Turbine in Serie. Die additive Fertigung funktioniert bei uns aber nicht so einfach wie beim heimischen 3-D-Drucker: Die Bestandteile einer Turbine müssen extrem haltbar und hitzebeständig sein. Außerdem ist es für uns sehr wichtig, nicht immer wieder aufs Neue ein Einzelteil herzustellen, sondern eine Serienfertigung zu starten.

Welche Vorteile bringt der 3-D-Druck?

Wir wollen Zeit, Geld und Gewicht sparen. Die Triebwerke sollen leichter und effizienter werden. Derzeit ist die additive Einzelfertigung noch teurer als die klassische Herstellungsweise. Wir gehen aber davon aus, dass sich bei großen Stückzahlen und Serienprodukten 50 bis 60 Prozent der Kosten einsparen lassen. In Zukunft könnten 30 Prozent aller Bauteile im industriellen 3-D-Druck hergestellt werden.

All diese Vorhaben kosten viel Geld. Ihr Finanzvorstand hat einmal gesagt: »Wenn wir einen Investitionszeitraum verpassen, sind wir 20 Jahre aus dem Markt, das können wir nicht mehr aufholen. « Das Unternehmen muss also in das aktuelle Geschäftsmodell und gleichzeitig in das künftige investieren. Wie will MTU sich das alles leisten?

Fest steht: Wir müssen zuerst unser laufendes Geschäft sicherstellen. Das ist unsere Priorität Nummer eins. Parallel prüfen wir aber ständig: Welche vielversprechenden Produkte und neuen Technologien hat MTU noch in der Pipeline? Alle Zukunftskonzepte müssen sich im harten Wettstreit gegeneinander durchsetzen und fünf Technologie-Gates durchlaufen. Erst dann, wenn wir eine dieser Technologien für marktreif halten, geben wir Gas und gehen in die Produktion. So wie vor gut 15 Jahren bei unserem GTF-Triebwerk. Wir haben damals lange und intensiv diskutiert, ob wir in das Projekt Airbus A320neo einsteigen sollen. Wir haben uns dafür entschieden – und lagen richtig. Unsere schnelllaufende Niederdruckturbine für den GTF ist ein Megaseller, wir haben derzeit mehr als 10000 Bestellungen.

Das freut sicherlich auch die Mitarbeiter vor allem hier in der Münchner MTU-Zentrale. Bleiben Sie dem Standort treu?

Das steht für uns außer Frage. München bleibt unser Unternehmenssitz und unsere Konzernzentrale. Wir haben hier gerade erst für 25 Millionen Euro ein neues Hightech-Testzentrum eröffnet. Davor wurde eine Hochtechnologie-Fertigungshalle gebaut und ein hochmodernes Logistikzentrum errichtet. Jetzt planen wir eine neue Kantine. Aber das ist nicht alles. Wir haben noch viele Ausbaupläne für München, aber auch für alle anderen Standorte – die bestehenden und für künftige neue. MTU wird in den nächsten drei bis fünf Jahren seine Kapazitäten verdoppeln.
 

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