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Sonnenkraft im Reaktor

Luca Zanier ©
Kernfusion – Energie der Zukunft? Im französischen Cadarache entsteht der Experimentalreaktor ITER

Fusionskraftwerke könnten einmal die Energiegewinnung revolutionieren. Schon jetzt zeigen sich Geschäftspotenziale für Unternehmen.

Von Josef Stelzer, IHK-Magazin 05-06/2023

Im Grunde ist die Sonne ein gigantisches Kraftwerk. In ihrem Inneren verschmelzen Wasserstoff-Atomkerne zu Helium. Die bei dieser Kernfusion erzeugten gewaltigen Energien erwärmen und beleuchten auch die Erde. Wenn es gelänge, die Kernfusion in Kraftwerken kontrolliert nachzuahmen, würden sich daraus völlig neue Perspektiven für eine klima- und umweltfreundliche Stromproduktion ergeben.

Zwar wird es noch einige Jahrzehnte dauern, bis die ersten Fusionskraftwerke betriebsbereit sind. Aber schon jetzt bringen immer größere und ausgefeiltere Forschungsreaktoren die Wissenschaftler Schritt für Schritt näher an das Ziel einer völlig neuen Form der grünen Energiegewinnung. Es entstehen dabei keinerlei Treibhausgasemissionen und nur wenig hochradioaktive Abfälle.

1 Gramm Fusionsbrennstoff – 90.000 Kilowattstunden Energie

Katastrophale Unfälle wie in den Atomkraftwerken in Tschernobyl in der Ukraine 1986 oder im japanischen Fukushima 2011 sind bei der Kernfusion aufgrund der gänzlich anderen Funktionsweise ausgeschlossen.

Künftige Fusionskraftwerke sollen nach dem Vorbild der Sonne nahezu unbegrenzt und nachhaltig Energie gewinnen. In Fusionsreaktoren verschmelzen die Atomkerne miteinander, dabei werden gewaltige Energiemengen frei.

1 Gramm Fusionsbrennstoff, der aus den Grundstoffen Deuterium und Lithium hergestellt wird, könnte in einem Fusionsreaktor etwa 90.000 Kilowattstunden erzeugen. Das entspricht der Verbrennungswärme von rund 11 Tonnen Kohle.

Pioniere in Garching

Zu den weltweiten Fusionspionieren gehört das Garchinger Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP), das seinen ersten experimentellen Reaktor bereits 1980 in Betrieb genommen hat. Noch benötigen Forschungsreaktoren für die Kernfusion, die erst bei extremen Temperaturen von 100 Millionen Grad Celsius zustande kommt, weit mehr Energie, als sie erzeugen können. Für die Nutzung der Kernfusion ist jedoch ein Netto-Energiegewinn eine wesentliche Voraussetzung.

Einen solchen Energieüberschuss soll der Experimentalreaktor ITER liefern, der gerade im südfranzösischen Forschungszentrum Cadarache gebaut wird. ITER steht für „International Thermonuclear Experimental Reactor“ und ist ein internationales Kooperationsprojekt, an dem unter anderem die EU, die USA und China mitwirken.

Reaktor ITER mit donutförmiger Fusionskammer

„Wir werden mit ITER nachweisen, dass die Kernfusion machbar und für die Energieerzeugung gebrauchstauglich ist“, betont Fusionsexpertin Ursel Fantz (59), die am IPP den Bereich ITER-Technologie und -Diagnostik sowie als Professorin an der Universität Augsburg die Arbeitsgruppe experimentelle Plasmaphysik leitet. „Seit 2016 entwickeln wir wichtige Bauteile für ITER und leisten damit viel Pionierarbeit“, sagt die promovierte Elektrotechnikerin.

Zu den IPP-Entwicklungen gehört beispielsweise ein spezielles Messgerät, das den Druck innerhalb der knapp 7 Meter hohen donutförmigen Fusionskammer mithilfe von 52 Sensoren permanent erfasst. Auch eine hochkomplexe Heiztechnik, die in der Fusionskammer das gasförmige Plasma auf viele Millionen Grad erhitzen soll, stammt aus Garching.

Ab 2050 erste Fusionskraftwerke?

Fantz ist überzeugt: „Auf Basis der ITER-Erfahrungen könnten ab 2050 erste Fusionskraftwerke für eine reguläre Stromerzeugung an den Start gehen.“ Damit wäre ein Grundstein für eine klimaschonende und gleichzeitig grundlastfähige Energieversorgung gelegt. “Mit der Fusionstechnologie entstehen enorme Wachstumspotenziale, da die Bauteile für die Kraftwerke entwickelt und hergestellt werden müssen„, bekräftigt Fantz.

Enormes Potenzial für Unternehmen

Von den Investitionen in die Technologie und in den Kraftwerksbau werden Unternehmen profitieren, die Produkte und Dienstleistungen in diesem Bereich anbieten – wie zum Beispiel das kürzlich in München gegründete Start-up Proxima Fusion GmbH. „Unsere Kunden werden Regierungen und Energieunternehmen sein, die auf eine sichere, zuverlässige, grundlastfähige sowie kohlenstofffreie Energiequelle setzen und hierfür Stellarator-Reaktoren planen und bauen wollen“, sagt der promovierte Physiker Jorrit Lion (29), der Proxima Fusion mit 4 Mitgründern sowie 5 weiteren Fusionsexperten aus der Taufe gehoben hat.

Aktuell Aufbau einer neuen Industrie

Die 2019 in München gegründete Marvel Fusion GmbH wiederum setzt bei der Kernfusion auf Laserstrahlen – eine andere Technologie, um die Fusion anzuregen. Die jungen Unternehmen sind dabei, einen gewaltigen Wachstumsmarkt zu erschließen. „Getrieben durch private Investitionen, erlebt Fusion gerade einen immensen Aufschwung, der nun auch in Europa ankommt“, ist Proxima-Gründer Lion überzeugt.  „Aus unserer Sicht öffnet sich jetzt ein Zeitfenster, in dem sich Unternehmen und Start-ups positionieren können, um am Aufbau einer kommerziellen Fusionsindustrie in Deutschland und Europa maßgeblich mitzuwirken.“

Bayerische Firmen in der Poleposition

Unternehmen könnten etwa als Zulieferer oder Entwicklungspartner für fusionsspezifische Kraftwerkskomponenten tätig werden und dabei innovative Neuerungen vorantreiben. Lion: „Die Unternehmen in Deutschland und speziell in Bayern gehen dabei von einer Poleposition an den Start, da der Standort mit seinen Forschungseinrichtungen und Universitäten weltweit zu den Spitzenreitern in der Fusionstechnologie gehört.“   

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