Standortpolitik

Mittel gegen die Krise

Rainer Schneck ©
Gedrosselte Produktion – Viskosehersteller Kelheim Fibres

Die explosionsartig gestiegenen Energiepreise stellen Unternehmen vor extreme Herausforderungen. Welche Entlastungen die Wirtschaft jetzt braucht.

JOSEF STELZER, Ausgabe 01/2023

Die Lage am Energiemarkt hat sich im Vorjahr drastisch verschärft. Sowohl Gas- als auch Strompreise haben sich seit Beginn der Energiekrise, vor allem durch die Verknappung des Gasangebots aus Russland, bis Oktober 2022 ungefähr verzehnfacht, so ifo-Chef Clemens Fuest.

Jedes 12. Industrieunternehmen plant Verlagerungen

Nach einer aktuellen Konjunkturumfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags DIHK unterbundesweit mehr als 240.000 Betrieben hat jedes sechste Industrieunternehmen wegen der hohen Preise seine Produktion gedrosselt, jedes zwölfte plant Verlagerungen.

Deutschland und Europa stecken in einer schweren Energiekrise. Die Politik versucht, die Auswirkungen der massiven Preissteigerungen abzufedern. Doch ob die Maßnahmen ausreichen, ist fraglich. An welchen Stellen sollte nachgebessert werden?

Die Hauptursache für die hohen Erdgaspreise ist klar: Russisches Gas muss teuer durch Importe aus anderen Ländern ersetzt werden. Beim Strom ist es etwas komplizierter: Er stammt aus erneuerbaren Energien, aus Kohle- und Atomkraftwerken sowie aus Gaskraftwerken, die am teuersten produzieren. Entscheidend für den europäischen Strompreismechanismus ist das sogenannte Merit-Order-Prinzip. Demnach sorgen für die Deckung des Strombedarfs zunächst jene Kraftwerke, die im Vergleich zu den anderen am billigsten produzieren. Das zuletzt zugeschaltete Kraftwerk produziert am teuersten und setzt den Preis. Dadurch schnellt das Preisniveau für alle anderen Kraftwerke in die Höhe.

Angesichts der extremen Energiepreise hat die EU-Kommission eine Reform des europäischen Strommarkts angekündigt, wobei eine Entkoppelung von Gas- und Strompreisen zur Diskussion steht.

Europäischer Dialog: Energie- und Klimathemen voranbringen

Im Rahmen des »Europäischen Dialogs« holt der Bayerische Industrie- und Handelskammertag (BIHK) gemeinsam mit Partnern wie der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) und Eurochambres regelmäßig europäische Stakeholder aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft an einen Tisch.

Das Ziel: der Austausch sowie die Erarbeitung von Lösungen zu wirtschaftsrelevanten Themen der Energiewende und des Klimaschutzes. Zuletzt war das Thema »Zwischen Energiekrise und Green Deal: Auf was müssen sich Unternehmen einstellen?« Gegenstand einer Diskussionsrunde in der EU-Vertretung des Freistaats Bayern in Brüssel. Mit dabei waren Vertreter der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments, der WKÖ, des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) sowie die Kelheim Fibres GmbH aus Bayern.

Mehr Infos auf der Webseite der IHK zur Klimaschutz-Energiewende.

Welche Schwierigkeiten die aktuelle Lage für energieintensive Unternehmen in der Praxis bringt, zeigt das Beispiel der Kelheim Fibres GmbH.

Fertigung um 20 bis 30 Prozent zurückgefahren

Das Unternehmen hat sich auf die Herstellung von Viskosefasern spezialisiert und ist von der Preisentwicklung massiv betroffen. »Wir mussten die Viskosefertigung um 20 bis 30 Prozent zurückfahren, nachdem aufgrund der explosionsartig angestiegenen Energiepreise die Bestellungen aus der Textilindustrie komplett weggefallen sind«, sagt Wolfgang Ott (59), der im Unternehmen für Umweltschutz und Nachhaltigkeit sowie für politische Fragen zuständig ist.

Kelheim Fibres fertigt derzeit fast ausschließlich für die Hersteller von medizinischen Produkten und Hygieneartikeln. 2021 lag der jährliche Energieverbrauch bei etwa 900 Gigawattstunden. Das entspricht etwa dem Verbrauch einer Stadt mit annähernd 100.000 Einwohnern. Der Viskosehersteller nutzt zur Strom- und Wärmeerzeugung ein eigenes Kraftwerk für die Kraft-Wärme-Kopplung (KWK), als Brennstoff dient Erdgas.

Die Preissprünge waren zuletzt extrem: »Vor der Krise lag der Erdgaspreis für uns bei etwa zwei Cent pro Kilowattstunde, in der Spitze waren es bis zu 30 Cent, Mitte November noch rund zwölf Cent«, sagt Ott.

EU-Programm behindert staatliche Entlastungen

Er kritisiert gegenläufig wirkende Maßnahmen: »Nachdem die Bundesregierung mit dem Energiekostendämpfungsprogramm EKDP und der Gaspreisbremse schnell und pragmatisch eingegriffen hat, grätscht die EU mit ihrem Temporary Crisis Framework, kurz TCF, jetzt dazwischen und nimmt den Beschlüssen zur Gaspreisbremse viel Wirkung.« Zum einen setze das TCF, das förderfähige Kosten anders definiert, deutlich höhere Zugangshürden für staatliche Beihilfen, was vor allem energieintensive Unternehmen betreffe. »Darüber hinaus müssen Großverbraucher sogenannte Einzelfall-Notifizierungen einleiten, deren Umsetzung geraume Zeit in Anspruch nehmen wird«, so Ott.

Wasserstoff zur Stromerzeugung

Vom Erdgas will sich das Unternehmen schon in naher Zukunft komplett verabschieden und damit verstärkt zum Klimaschutz beitragen. »Für die Strom- und Dampferzeugung setzen wir künftig vor allem auf Wasserstoff, der ausschließlich durch erneuerbare Energien erzeugt wird, auch Biomasse wird eine wachsende Bedeutung erlangen«, sagt der Nachhaltigkeitsexperte.

Zugute kommt dem Unternehmen, dass die Bayernoil Raffineriegesellschaft mbH grünen Wasserstoff in nur 30 Kilometer Entfernung produzieren wird. Vorgesehen ist eine Jahresproduktion von bis zu 20.000 Tonnen, die schon ab 2025 zur Verfügung stehen soll.

Nachschärfung EU-Förderinstrumente gefordert

Der Umstieg auf Wasserstoff erfordert bei Kelheim Fibres jedoch Umbauten. So müssen die bisher genutzten Erdgasbrenner und die rund 25 Meter hohen Wasserkessel ausgetauscht werden. Die Umstellung ließe sich womöglich beschleunigen. Was dazu notwendig wäre? Die EU müsste ihre Förderinstrumente nachschärfen, die Programme langfristiger als bisher anlegen und den Förderanteil der EU-Programme auf 30 bis 40 Prozent der Investitionssumme anheben, so Ott.

Bislang hat die EU ein Notfallpaket auf den Weg gebracht, das unter anderem die Begrenzung von Markterlösen von Stromerzeugern und Solidaritätsabgaben für den Sektor der fossilen Brennstoffe enthält. Thilo Schaefer (45), Leiter des Clusters Digitalisierung und Klimawandel beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln, rät zudem: »Das komplizierte EU-Beihilferecht sollte vereinfacht werden, sodass die Unternehmen in den Mitgliedstaaten möglichst schnell und unbürokratisch staatliche Fördergelder erhalten können.«

Erleichterungen beim CO2-Emissionshandel nötig

Für den Kelheimer Viskosehersteller wäre es aktuell hilfreich, den CO2-Emissionshandel entweder ganz auszusetzen oder den CO2-Preis auf beispielsweise 50 Euro je Tonne zu deckeln. »Der Emissionshandel kostet uns derzeit jährlich 15 bis 20 Millionen Euro, Erleichterungen sind hier dringend geboten«, sagt Ott und warnt: »Die Energietransformation verzögert sich durch die Energiekrise, der Green Deal wird aufgeweicht, das Ziel der Klimaneutralität in der EU bis 2050 ist gefährdet.«

IHK-Service: Die aktuelle Kampagne zur Energiekrise

Informationen, Unternehmensbeispiele und Forderungen rund um #wirtschaftbrauchtenergie hier.

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