Stromnetze: Mehr Schub in den Leitungen

Für eine sichere Energieversorgung müssen die bayerischen Stromnetze dringend um- und ausgebaut werden. Die Netzbetreiber forcieren die Modernisierung.
Von Josef Stelzer, IHK-Magazin 03/2023
Die Energiewende stellt einiges auf den Kopf, auch die Nutzung der Stromleitungen: Früher floss die vorwiegend in Großkraftwerken produzierte elektrische Energie wie in einer Einbahnstraße gleichsam „von oben nach unten“ – in die regionalen Netze vor Ort zu Unternehmen und Privathaushalten. Zunehmend aber geht Strom aus Abertausenden Photovoltaik- und Windkraftanlagen auch in die umgekehrte Richtung – von Betrieben und Privathäusern in die regionalen Verteilnetze und dann in die Übertragungsnetze zum Weitertransport. Die dabei eingespeisten Strommengen schwanken stark, je nach Wetterlage und Tageszeit. Für eine sichere Versorgung indes ist ein Gleichgewicht von Energieerzeugung und -verbrauch erforderlich.
Herausforderung: dezentrale Energiegewinnung
Die zunehmend dezentrale Energieerzeugung stellt die Betreiber der deutschen Stromnetze daher vor enorme Herausforderungen. Die Infrastruktur muss dringend und mit hohem Tempo angepasst werden, damit die Stromversorgung gesichert bleibt. „Ein zügiger Ausbau der Stromnetze ist unerlässlich. Bürger und Kommunen sollten hier nicht blockieren, sondern mithelfen, um Lösungen zu finden“, betont Norbert Ammann, IHK-Referatsleiter Umwelt, Energie, Klima.
Modernisierung und Neubau der Anlagen
Allein im Versorgungsgebiet der zur Regensburger Bayernwerk AG gehörenden Bayernwerk Netz GmbH, die mit ihrem 156.000 Kilometer umfassenden Stromnetz große Teile Bayerns versorgt, sind mittlerweile weit mehr als 350.000 dezentrale Stromerzeugungsanlagen in Betrieb – Tendenz steigend. „Wir schließen jedes Jahr eine Vielzahl von regenerativen Anlagen an unser Netz an, durch das mittlerweile zu über 70 Prozent erneuerbare Energie fließen“, sagt Egon Westphal (57), Vorstandschef der Bayernwerk AG. „Dazu haben wir es bereits an vielen Stellen erneuert und umgebaut.“ Allein bis 2025 sind weitere Investitionen in Höhe von rund zwei Milliarden Euro vorgesehen.
Verschiedene Spannungsebenen verbinden
Ein zentraler Baustein sind dabei neue oder modernisierte Umspannwerke, die die unterschiedlichen Spannungsebenen der Stromnetze miteinander verbinden. Ein Beispiel dafür ist das neu errichtete Umspannwerk in Kleinschwabhausen im Landkreis Dachau. Die Anlage soll über ein 19 Kilometer langes Erdkabel mit dem Umspannwerk in Oberbachern verbunden werden. Auch dort sind diverse Modernisierungen geplant.
Auf dem Betriebsgelände in Oberbachern wird der Übergangsnetzbetreiber TenneT TSO GmbH, Bayreuth, seine Umspannwerkanlage ebenfalls erneuern. Sie ist – gemeinsam mit dem Umspannwerk Ottenhofen im Landkreis Erding – von zentraler Bedeutung für die zuverlässige Stromversorgung des Großraums München. Beide Anlagen sind bereits seit den 1970er-Jahren in Betrieb.
Höhere Kapazitäten durch neue Freileitung
Für die Versorgung des Wirtschaftsstandorts München und der Region spielt auch die rund 50 Kilometer lange Trasse von Oberbachern nach Ottenhofen eine wichtige Rolle. Bei diesem Projekt handelt es sich um einen sogenannten Ersatzneubau, der in unmittelbarer Nähe zur bestehenden Trasse geplant ist. Die neue Freileitung stellt deutlich höhere Kapazitäten für Einspeisung und Transport von grünem Strom bereit, der in Oberbayern vor allem aus Photovoltaikanlagen stammt. Nach Inbetriebnahme der neuen Leitung wird die bestehende zurückgebaut.
Das TenneT-Übertragungsnetz, das Strom von den norddeutschen Windparks nach Bayern transportiert, wird an vielen Stellen erweitert. „Damit der Freistaat mit einer klimaneutralen Industrie und einer stabilen Energieversorgung weiterhin ein wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstandort bleibt, ist der Netzausbau das zentrale Instrument“, betont TenneT-Geschäftsführer Tim Meyerjürgens (48). Insgesamt investiert das Unternehmen auf Basis der Netzausbauziele bis 2030 jährlich zwischen 500 Millionen und 1,5 Milliarden Euro in seine rund 4.450 Kilometer langen Übertragungsnetze in Bayern. Etwa 40 Prozent des jährlichen TenneT-Investitionsvolumens im Freistaat kommen der Modernisierung oder Neuerrichtung von Umspannwerken zugute.
Innovativer Energiespeicher: der Netzbooster in Ottenhofen
Ein Pilotprojekt im Umspannwerk Ottenhofen erprobt einen sogenannten Netzbooster: Der Batteriespeicher hat eine Leistung von 100 Megawatt, ermöglicht eine höhere Auslastung des Bestandsnetzes und kann bei Störungen durch automatisches Laden oder Entladen die Stromnetze sofort entlasten. Außerdem lässt sich dank Speicher ein zusätzlicher Netzausbau vermeiden.
„Mit Investitionen wie dem Netzbooster in Ottenhofen gestalten wir das Stromnetz der Zukunft noch leistungsfähiger und flexibler“, verspricht TenneT-Geschäftsführer Meyerjürgens. Auf lange Sicht könnten Netzausbau sowie Netzbooster dazu beitragen, dass die Zahl der kostspieligen Netzeingriffsmaßnahmen deutlich zurückgeht.