Klimaschutz | Standortpolitik
Energiewende-Barometer: Mehr Risiken als Chancen

Bayerische Unternehmen beurteilen die Auswirkungen der Energiewende unterschiedlich. Im Schnitt sehen sie aber mehr Risiken als Chancen, wie das aktuelle IHK-Energiewende-Barometer 2022 zeigt.
JOSEF STELZER, Ausgabe 10/2022
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine verursacht geopolitische Instabilität und Verwerfungen an den Energie- und Rohstoffmärkten. Massiv steigende Kosten, drohende Versorgungsengpässe und Planungsunsicherheiten machen den Unternehmen schwer zu schaffen. Das geht aus dem aktuellen Energiewende-Barometer 2022 der bayerischen IHKs (BIHK) hervor.
Seine Resultate spiegeln die Sorgen der Wirtschaft im Freistaat wider: 92 Prozent der Betriebe beklagen steigende Energiekosten, 77 Prozent sind über höhere Stromkosten beunruhigt. Knapp die Hälfte der Unternehmen fürchtet um ihre Wettbewerbsfähigkeit am Standort Deutschland, in der Industrie sind es sogar 63 Prozent.
Wettbewerbsfähigkeit gesunken
Im Durchschnitt aller Branchen und Unternehmensgrößen beurteilen die Firmen die Auswirkungen der Energiewende auf ihre Wettbewerbsfähigkeit negativ: Der Wert des Barometers liegt bei –3,4. Das ist etwas weniger pessimistisch als im Vorjahr mit –7,5. Zur Einordnung: Bei einem Barometerwert von 0 würden sich negative und positive Einschätzungen die Waage halten oder nur neutrale Bewertungen vorliegen. An der Onlineumfrage nahmen mehr als 500 bayerische Unternehmen aus allen Branchen teil.
Deutliche Branchenunterschiede
Bei den Ergebnissen zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen einzelnen Branchen. So profitieren Baugewerbe und Dienstleistungssektor von energiepolitischen Vorgaben, zum Beispiel von Sanierungs- und Berichtspflichten. Dagegen machen sich Industrie und Handel zunehmend große Sorgen um ihre Geschäfte.
Hier liegen die Barometerwerte deutlich im negativen Bereich. Im Handel belasten die Nachwirkungen der Coronakrise und kriegsbedingt gestörte Lieferketten die Unternehmen, wachsende Klimaschutzanforderungen sind zusätzlich herausfordernd. In der Industrie hängt die Wettbewerbsfähigkeit vergleichsweise stark von energie- und klimapolitischen Entwicklungen sowie einer sicheren Energieversorgung ab. Vor allem Industriebetriebe, die im internationalen Wettbewerb stehen, sehen sich durch die drastischen Energie- und Stromkostensteigerungen zunehmend gefährdet.
Entlastung beim Strompreis gefordert
In Deutschland wird der Strompreis für Endkunden in hohem Maß von Steuern, Abgaben und Umlagen bestimmt. Die bayerischen IHKs fordern vor diesem Hintergrund immer wieder Entlastungen. Die Abschaffung der EEG-Umlage wirkt sich zwar dämpfend auf den Strompreis aus, verschiedene andere Faktoren überlagern diesen Effekt aber deutlich. So sind die Netzentgelte im Vorjahresvergleich gestiegen, zudem wirkt sich die Gasmangellage durch den Erdgaseinsatz in der deutschen Stromproduktion auch am Strommarkt preistreibend aus.
»Diese Zahlen sind absolut alarmierend«
Als Reaktion auf die angespannte Lage stellen viele Unternehmen Investitionen erst einmal zurück. Rund 14 Prozent der Industriebetriebe erwägen sogar, die Produktion zurückzufahren, oder haben dies schon getan. Gut ein Fünftel plant eine Kapazitätsverlagerung ins Ausland oder hat bereits Kapazitäten verlagert. »Diese Zahlen sind absolut alarmierend«, sagt BIHK-Hauptgeschäftsführer Manfred Gößl. »Die hohen Energiepreise, bei Öl und Erdgas ebenso wie bei Strom, und die fehlende Versorgungssicherheit gefährden den Industriestandort Bayern massiv.«
Absicherung gegen Ausfälle schwierig
Das Energiewende-Barometer zeigt, dass die gestiegenen Energie- und Strompreise die Wirtschaft in ihrer Breite treffen (siehe Grafik unten »Die meisten bezahlen mehr«). Neben geschäftsgefährdenden Beschaffungskosten macht den Unternehmen zunehmend die Versorgungssicherheit zu schaffen: 39 Prozent messen der sicheren Versorgung mit Gas mehr Bedeutung zu als im Vorjahr, bei Strom ist es knapp ein Drittel. Für rund drei Viertel sind mögliche Unterbrechungen von Material- oder Rohstoffströmen immer besorgniserregender. Die Absicherung gegen Ausfälle ist wegen finanzieller, personeller, technologischer, vertraglicher oder genehmigungsrechtlicher Faktoren oft schwierig.
Trotz enormer Unsicherheiten und Kostenbelastungen hat die bayerische Wirtschaft in den vergangenen beiden Jahren ihre Aktivitäten in puncto Klimaschutz und Energiewende weiter vorangetrieben. Besonders hoch im Kurs steht nach wie vor die Energieeffizienz. Im aktuellen Barometer geben rund 80 Prozent der Befragten an, sich damit zu befassen oder entsprechende Maßnahmen abgeschlossen zu haben. Dabei setzen die Unternehmen vor allem auf die Qualifizierung von Mitarbeitern und effizente Technik (siehe Grafik unten »Mit Informationen und Technik«).
Klimaneutralität als Ziel
Aus den Ergebnissen wird auch deutlich, dass die Treibhausgasbilanz für die Unternehmen an Bedeutung gewinnt. Die strukturierte Erfassung von CO2-Emissionen hilft unter anderem, Potenziale für den Umbau der betrieblichen Energieversorgung zu identifizieren und Erfolge zu dokumentieren, etwa im Fuhrpark oder bei der Strom- und Wärmeversorgung. Rund 46 Prozent der befragten Betriebe wollen klimaneutral werden, sieben Prozent sind es nach eigenen Angaben bereits. Für rund 48 Prozent der Betriebe sind die Hürden auf dem Weg zur Klimaneutralität aktuell noch zu hoch – darunter der bürokratische Aufwand, ein Mangel an Fachpersonal und die überhandnehmende Belastung durch Energiekosten.
Die Politik ist gefordert
Wie sollte die Politik agieren, um die bayerischen Unternehmen in Anbetracht der hohen Kostenbelastungen und der unsicheren Energieversorgung zu unterstützen? Die Wirtschaft im Freistaat erwartet wie schon in den Vorjahren vor allem, dass Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt werden. Besonders die Bauwirtschaft leidet unter langwierigen Verfahren. Entlastungen beim Strompreis fordern insbesondere die Industrie- und Handelsunternehmen. Angesichts der aktuellen Preisentwicklung ist dies aber für immer mehr Firmen entscheidend.
40 Prozent wünschen Zugang zu Wasserstoff
Als politische Leitprinzipien für weitere Verbesserungen der Energieeffizienz sollten die Aspekte Wirtschaftlichkeit, Freiwilligkeit und Technologieoffenheit an erster Stelle stehen. Eine verpflichtende Installation von Solaranlagen auf Dächern zum Beispiel lehnen mehr als zwei Drittel der Unternehmen ab. Gut 40 Prozent der Befragten wünschen sich, dass ihnen der Zugang zu Wasserstoff ermöglicht wird.
Alle Ergebnisse des Energiewende-Barometers 2022 für Bayern gibt es auf der Webseite der IHK.
Die IHK unterstützt in der aktuellen Lage Firmen mit Informationen und Handlungsempfehlungen auf der Webseite der IHK zur Gaskrise.