Standortpolitik

Erschreckend reguliert

Martin Armbruster ©
Engagierte Debatte – Moderator Axel Höpner, ifo-Chef Clemens Fuest, CSU-Bundestagsabgeordneter Alexander Radwan, Unternehmer Johannes Winklhofer (v.l.), die übrigen Diskussionsteilnehmer waren zugeschaltet

Das ifo Institut stützt die Kritik der Wirtschaft an den aktuellen Plänen für eine nachhaltige Finanzmarktregulierung.

Martin Armbruster, Ausgabe 11/20

Wie heiß das Thema ist, zeigte sich schon an den etwa 1.000 Zuschauern. Der Titel »Sustainable Finance und Green Deal – was kommt auf die Unternehmen zu?« zog offenbar ebenso wie die topbesetzte Podiumsrunde, die im Live-Stream übertragen wurde. »Das Risiko besteht« – für diesen Satz mussten die Veranstalter, die IHK für München und Oberbayern und das ifo Institut, Sven Giegold dankbar sein.

Prominent besetzte Runde

Der Finanzmarktexperte der Grünen im EU-Parlament bestätigte damit die Befürchtung der anderen Teilnehmer der Expertenrunde: Die EU will mit dem Aktionsplan Sustainable Finance Finanzströme gezielt in nachhaltige Anlagen lenken, dies aber könnte zu einer großen Bürokratiebelastung des Mittelstands führen. Giegold versuchte, diese Bedenken zu dämpfen. Die geplanten Berichts- und Offenlegungspflichten dürften Mittelständler nicht überfordern. »Es kann nicht unser Ziel sein, jeden Kleinkredit einer Hausbank zu regulieren«, erklärte Giegold. Ihm gehe es um die Lenkung der großen Finanzströme – gerade jetzt, in einer Phase, in der EU und Nationalstaaten Riesensummen in die Wirtschaft pumpen. »Der Klimawandel macht keine Coronapause«, so Giegold.

Seine Folgen würden auch die Stabilität des Finanzmarkts gefährden. Zudem sei die private Nachfrage nach grünen Investments so deutlich gestiegen, dass die EU dafür einen einheitlichen Rechtsrahmen schaffen müsse.

Grundsätzlicher Widerspruch

Dem widersprach ifo-Präsident Clemens Fuest grundsätzlich. Die steigende Nachfrage nach nachhaltigen Anlagen mache staatliche Eingriffe überflüssig. Fuest stellte den Teilnehmern die Ergebnisse der Studie »Sustainable Finance – eine kritische Würdigung der deutschen und europäischen Vorhaben« vor, die das ifo Institut im IHK-Auftrag erstellt hat. Die Kernaussage: Die Idee, über die Finanzmarktregulierung Umweltziele zu verfolgen, ist falsch. Wer Klimaschutz wolle, müsse Umweltpolitik betreiben, etwa mit einer CO₂-Bepreisung. Was die EU mit dem Projekt Sustainable Finance vorhabe, so Fuest, führe im Ergebnis zu einer »ineffizienten Doppelregulierung«, die – das ist die Pointe der Studie – auch der Umwelt und dem Klima schade.

Warnung vor »Staatskapitalismus«

Kommen werden die grünen Finanzmarktregeln aber doch. Und das bald. Von März 2021 an greifen neue und grüne Transparenz- und Veröffentlichungspflichten. In Brüssel läuft über delegierte Rechtsakte die Umsetzung der Taxonomie-Verordnung: Die EU will mit einem Kriterienkatalog klären, was unter nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten und Produkten zu verstehen ist. Diesen Prozess empfindet Johannes Winklhofer als »Staatskapitalismus«.

Winklhofer, IHK-Vizepräsident und Chef des Münchner Automobil- und Maschinenbauzulieferers iwis, warnt vor einer »Monsterbürokratie«, die sich für den Mittelstand zusammenbraue. Als Vorgeschmack auf das, was auf Oberbayerns Firmen zukomme, sieht er ein BaFin-Merkblatt zu Sustainable Finance aus dem Dezember 2019. Kurz darauf erhielt Winklhofer Telefonanfragen seiner Banken, die erstmals wissen wollten, wie er es mit CO₂-Emissionen und Nachhaltigkeit in seinen Lieferketten halte. »Es ist erschreckend, mit welcher Wucht reguliert wird«, befand der Unternehmer und ergänzte, viele Mittelständler teilten die Angst vor steigenden Kredit- und Versicherungskosten.

»Weltfremd«: »grüne« oder »braune« Wirtschaftstätigkeiten

Möglicherweise gebe es für »schmutzige« Produktion gar keine Finanzierung mehr. Dann stünden Industriebetriebe nicht vor der grünen Transformation, sie würden de facto abgewickelt. Fuest kritisierte die geplante Unterscheidung in »grüne« und »braune« Wirtschaftstätigkeiten als weltfremd. Als Beispiel nannte er die Idee von Kaufprämien für Autos mit spritarmen Verbrennungsmotoren. Ist das nun grün oder braun? Der Bundestagsabgeordnete Alexander Radwan (CSU) beklagte hier ein demokratisches Defizit. In Brüssel würde eine kleine Expertengruppe im Dialog mit den NGOs über diese Kernfrage entscheiden. Radwan kritisierte zudem die Proportionalität als leeres Versprechen. »Kein anderer Begriff wurde so missbraucht.«

Gefordert: Verlässliche grüne Anlagekriterien

Leidtragende der Brüsseler Finanzmarkregulierung seien bislang vorwiegend Genossenschaftsbanken und Sparkassen gewesen. Wirtschaftsstaatssekretär Jörg Kukies hatte in der Runde den schwierigen Part, zu erklären, weshalb er die Bedenken von ifo-Chef Fuest und Unternehmer Winklhofer teile, aber dennoch das Ziel der Bundesregierung befürworte, Deutschland zur führenden Sustainable-Finance-Nation zu machen. Daher brauche es laut Kukies verlässliche grüne Anlagekriterien, um das Vertrauen der Anleger zu gewinnen.

CSU-Politiker Radwan hält es dagegen für unmöglich, die »Demeter der Finanzbranche« zu bestimmen, dafür sei der Finanzmarkt viel zu komplex. Ähnlich sieht das ifo-Chef Fuest. Der Versuch, die Finanzmarktregulierung mit Nachhaltigkeitszielen zu überfrachten, werde schon deswegen scheitern, weil das kein Bürger mehr verstehe. Er riet zur regulatorischen Mäßigung: »Wir sollten uns mitten in der Coronakrise schon fragen, welche Zusatzbelastungen wir unseren Unternehmen zumuten können.«

IHK-Service: Sustainable Finance (Nachhaltiges Finanzwesen) – worum geht es?

Die EU-Kommission hat 2018 den »Aktionsplan: Finanzierung nachhaltigen Wachstums« präsentiert: Der Finanzmarkt soll der EU-Agenda für nachhaltige Entwicklung und dem Pariser Klimaabkommen dienen. Auch ökologische und soziale Gesichtspunkte entscheiden, was finanziert wird.

Schwerpunkte des Aktionsplans:

  • Taxonomie: Ein Kriterienkatalog bestimmt, was grüne Wirtschaftstätigkeiten sind. EU-Kennzeichen für grüne Finanzprodukte auf Grundlage der Taxonomie (Green Label) nachhaltigkeitsbezogene Beratungspflichten gegenüber Kunden
  • Prüfung eines »Brown Penalizing Factors« (z. B. Zinsaufschläge für Kredite an eine »schmutzige Produktion«)
  • Offenlegungspflichten für Firmen zu den in der Taxonomie festgelegten Kriterien

Das fordert die IHK:

  • Nachhaltigkeitsrisiken durch Instrumente managen, die direkt an den Ursachen ansetzen (z. B. CO₂-Besteuerung)
  • Ineffiziente Doppelregulierung (insbesondere zu schon bestehenden umweltpolitischen Steuerungen) vermeiden. Finanzregulierung soll Aspekte der Finanzmarktstabilität aufgreifen, das heißt Ausfallrisiken besser zu berücksichtigen. Über die Umweltpolitik können Klimarisiken adressiert und etwa der CO₂-Ausstoß verringert werden, Sozialpolitik sollte sich den Menschenrechten widmen.
  • Sustainable-Finance-Maßnahmen sollten kein Instrument zur gezielten Lenkung von Investitionen sein. Die Nachfrage nach nachhaltigen Anlageformen steigt, daher sollten keine weiteren staatlichen Regulierungsmaßnahmen eingreifen, da die Gefahr der Blasenbildung besteht.
  • Taxonomie sollte – wie vorgesehen – nicht verpflichtend angewendet werden müssen und sich nicht auf alle Finanzprodukte, insbesondere nicht auf Kredite und Versicherungen für den Mittelstand beziehen.
  • Die Proportionalität bei Berichtspflichten für mittelständische Unternehmen sollte unbedingt beachtet werden. Zusätzliche Anforderungen belasten diese unverhältnismäßig. Deshalb sollten mittelständische Firmen von Berichts- und Offenlegungspflichten – auch innerhalb der Lieferketten – ausgenommen werden.

Mehr auf der IHK-Website

Verwandte Themen