Standortpolitik

»Das Ganze beerdigen«

Stephan Muennich ©
Die EU überschätzt ihre Kompetenz, sagt Alexander Radwan

Alexander Radwan, europapolitischer Sprecher der CSU, kritisiert die Finanzmarkt-Regulierungen durch die EU-Taxonomie und warnt vor drastischen Folgen für die Wirtschaft.

MARTIN ARMBRUSTER, Ausgabe 05/2022

Herr Radwan, Sie haben in einem Wirtschaftsmagazin die EU-Taxonomie, also das EU-Klassifizierungssystem für die Bewertung ökologischer Nachhaltigkeit, kritisiert. Warum sind Sie damit an die Öffentlichkeit gegangen?

Weil gerade die aktuelle Weltlage deutlich macht, dass die Taxonomie ein Irrweg ist. Die Idee, die Komplexität der Welt und des Lebens in der europäischen Finanzmarktregulierung abzubilden, ist absurd. Putins Krieg und seine Folgen stellen alles infrage, was in der Energie- und Rüstungspolitik als nachhaltig oder nicht nachhaltig klassifiziert wurde.

Was ist schlecht daran, grüne Investments zu fördern?

Nichts! Mein Problem ist, dass viele Menschen meine Kritik als Generalangriff verstehen auf ihre guten Ziele. Die ESG-Ziele (Environmental/Umwelt, Social/Soziales, Governance/Unternehmensführung, die Red.) sind richtig. Niemand bestreitet das. Ich halte nur den Weg für falsch, wie man sie erreichen will.

Was ist denn das bisherige Ergebnis der Regulierung?

Eine dem Parlament weitgehend entzogene Taxonomie-Klassifizierung, die voller Widersprüche steckt. Die Bundesregierung konnte nicht verhindern, dass Kernkraft und Gas in der grünen Taxonomie als nachhaltig eingestuft wurden. Die Umwelthilfe will das wieder ändern, kommt aber nicht auf die Idee, dass heute auch die Kohle anders klassifiziert werden müsste.

Also nicht mehr als braun und schädlich ...

... zumindest als politisch weniger schädich, denn sie kann eher unabhängig von Putin verstromt werden.

Derzeit wollen aber zwölf deutsche Banken aus der Kohlefinanzierung aussteigen.

Ja, Deutsche Bank, KfW, ING-DiBa, Allianz – sie alle haben groß angekündigt: Wir finanzieren keine Kohle mehr. Aber was bedeutet das heute? Das gefährdet die Energieversorgung Deutschlands, da ist die Lage hochdramatisch. Das zeigt, dass wir mit einer Regulierung nicht weiterkommen. Es ist die Politik, die über solche Abwägungsprozesse entscheiden muss.

Bei den meisten Fragen gibt es doch Konsens darüber, was »grün« ist.

Ich nenne Ihnen ein weiteres Beispiel. Wir belegen Russland mit Sanktionen. Zu Recht. Das heißt aber auch: Wir bekommen aus Russland wichtige Rohstoffe nicht mehr, die wir aber für die E-Mobilität brauchen. Was ist jetzt wichtiger für uns? Die E-Mobilität voranzubringen, die Unabhängigkeit von Russland oder das Verhindern von Kinderarbeit in Schwarzafrika, wo diese Rohstoffe alternativ herkommen? Dieser Zielkonflikt kann nur politisch aufgelöst werden.

Erwarten Sie ähnliche Probleme auch bei der geplanten Sozialtaxonomie?

Natürlich. Bei der sozialen Taxonomie ist es sogar noch schwerer, eine wissenschaftliche und einigermaßen objektive Begründung für Regulierungen zu finden. Ein erster Expertenentwurf zur sozialen Taxonomie enthielt zudem Dinge wie den Mindestlohn, die betriebliche Altersversorgung, die Einordnung vieler Rüstungsunternehmen als sozial schädlich und, und, und. Diese Fragen gehören in die Parlamente und in die Nationalstaaten. Das haben nicht Banken und Regulierungsbehörden zu entscheiden. Auch die EU überschätzt hier teils ihre Kompetenz, ob bei der Taxonomie oder bei den Lieferketten.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat die Sozialtaxonomie abgehakt, weil sie unsere Sicherheit gefährdet hätte. Reicht Ihnen das nicht?

Herr Lindner sollte das Ganze beerdigen – die gesamte Taxonomie und die ESG-Regulierung. Eine regulative Unterscheidung in Gut und Böse ist grundfalsch. Die Politik muss entscheiden, wie viel Rüstung wir brauchen. Von der Freiheit, die das erzeugt, profitieren auch Menschen, die in Deutschland leben und bei Banken und Versicherungen arbeiten. Aber die Taxonomie ist nicht vom Tisch. Sobald der Ukraine-Krieg vorbei ist, wird das weitergehen. Wir stehen erst am Beginn der ESG-regulativen Umsetzung der 17 UN-Ziele und eine begonnene Regulierungskultur wird sich nicht wieder selbst beschränken.

Welche Folgen hat das für Mittelständler?

Unabhängig vom Geschäft: mehr Bürokratie. Für die Einstufung nachhaltig oder nicht nachhaltig braucht es Unmengen an Daten, die viele Unternehmen heute noch gar nicht haben. Wer nicht als grün oder sozial eingestuft wird, wird es schwer haben, an Geld der Banken und Investoren zu kommen.

Die EU betont, kleine Firmen würden nicht belastet.

Konzerne wie Siemens und BMW werden ein grünes Label anstreben. Dann müssen aber auch alle, die in der Lieferkette sind, entsprechend zertifiziert sein. Was selbst große Unternehmen überfordert, sind die Nachweispflichten für die Lieferkette. Das müssen sie bis zur Quelle, an der irgendein Metall abgebaut wird, lückenlos dokumentieren. Und was große Konzerne schon überfordert, kann für Mittelständler unmöglich sein.

Fordert das auch die Finanzbranche?

Sie fängt erst langsam an zu realisieren, wie hart sie selbst geprüft werden wird. Die NGOs (Nichtregierungsorganisationen, die Red.) werden jede Bank und Versicherung durchleuchten. Wie grün ist die Allianz? Kann ich künftig noch eine Vollkasko-Versicherung für ein Auto mit Verbrennungsmotor anbieten? Können wir noch Häuser finanzieren, die mit Erdöl befeuert werden? Diese Debatten laufen schon. Die Finanzbranche wird bald von den Prüfern zu den Überprüften werden.

Zur Person: Alexander Radwan

Alexander Radwan (57) ist europapolitischer Sprecher der CSU im Bundestag und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Zuvor war der Rechtsanwalt und Diplomingenieur Abgeordneter des Europäischen Parlaments und Mitglied des Bayerischen Landtags.

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