Nachhaltiger Umbruch

Die EU-Taxonomie soll Gelder in nachhaltige Investments lenken und so helfen, die Klimaziele zu erreichen. Auf die Immobilienbranche wirkt sich das gleich mehrfach aus.
Von Eva Müller-Tauber, IHK-Magazin 04/2023
Die EU verfolgt ehrgeizige Ziele: Bis 2030 soll Europa mindestens 55 Prozent der Treibhausgase im Vergleich zu 1990 einsparen und bis 2050 klimaneutral werden. Dem Gebäudesektor kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Schließlich ist er laut EU-Kommission für rund 40 Prozent des Energieverbrauchs und 36 Prozent der Treibhausgasemissionen in der EU verantwortlich. Erst Mitte März stimmte das Europaparlament dafür, die „Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden" zu überarbeiten. So müssen nun alle Neubauten spätestens ab 2028 emissionsfrei sein. Auch für die Energieeffizienzklassen gelten künftig strenge Vorgaben.
Das Verschärfen von Richtlinien ist nur eine von vielen Maßnahmen, mit denen die EU Unternehmen im Immobiliensektor zu nachhaltigem Handeln drängt. Womöglich deutlich gravierender könnte sich die EU-Taxonomie auf die Branche auswirken. „Von diesem Regelwerk, das verbindliche Standards für nachhaltiges Wirtschaften innerhalb der EU festlegt und dafür sorgen soll, Gelder vor allem in nachhaltige Investments und Technologien zu lenken, ist die Immobilienbranche gleich in mehrfacher Hinsicht betroffen", erläutert Bernhard Eichiner, Referatsleiter Gründung, Betriebsführung, Handel und Dienstleistungen bei der IHK für München und Oberbayern.
Immobilien sollen ESG-konform sein
Die Taxonomie zielt darauf ab, bestimmte Vorgaben in den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (Environmental, Social, Governance, kurz ESG) zu erreichen. Sie definiert EU-weit erstmals einheitlich, welche Wirtschaftstätigkeiten in welchem Umfang und zu welchem Zeitpunkt als nachhaltig einzustufen sind. Und sie gibt Richtlinien für CO2-Emissionen und Energieeffizienz vor, die zum Beispiel bei Neubauten oder der Sanierung von Bestandsgebäuden berücksichtigt werden müssen.
Im Zuge der Taxonomie dürfte sich daher die Finanzierung von Immobilien verteuern, die ESG-Vorgaben zu wenig oder nicht berücksichtigen, erklärt Eichiner. Denn Banken würden ihre Kredite in solchen Fällen restriktiv oder teurer vergeben. Auch sei damit zu rechnen, dass Immobilien an Wert verlieren, zu „stranded assets" werden, sofern sie den regulatorischen Standards besonders zur ökologischen Nachhaltigkeit nur bedingt entsprechen.
Druck durch Vorgaben steigt
Zudem beeinflusst die Taxonomie maßgeblich die Entscheidungen der Investoren am Kapitalmarkt. Diese investierten schon jetzt verstärkt in Produkte, die Nachhaltigkeit großschreiben, so der IHK-Experte. Bei Immobilienunternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern kommt als Belastung hinzu, dass sie im Zuge der Taxonomie umfassende Offenlegungs- und Transparenzpflichten erfüllen müssen.
„Das Thema Nachhaltigkeitsregulatorik gehört damit zu den derzeit dringlichsten Themen, mit denen sich die Immobilienbranche neben den vielen aktuellen Herausforderungen auseinanderzusetzen hat", bestätigt IHK-Referatsleiterin und Immobilienexpertin Annette Hilpert. „Alle Marktteilnehmer – ob Immobilienverwalter, Bauentwicklungsunternehmer, Investoren oder Banken – müssen den Nachhaltigkeitszielen Vorrang einräumen, denn der Handlungsdruck durch die regulatorischen Vorgaben steigt kontinuierlich."
Dem gerecht zu werden, ist allerdings nicht einfach. Schließlich stehen Unternehmen im Immobiliensektor gerade einer Vielzahl von Herausforderungen gegenüber, angefangen von steigenden Zinsen über die Verunsicherung auf den Kapitalmärkten bis hin zu höheren Bau- und Energiekosten.
Kleinere Marktteilnehmer entlasten
Die Immobilienbranche ist sich bewusst, dass Nachhaltigkeitsaspekte stärker zu berücksichtigen sind. Sie sieht jedoch auch Nachbesserungsbedarf bei den Vorgaben. „Sicherlich steht die Immobilienbranche noch am Anfang, was die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele betrifft. Gleichzeitig sind aber die regulatorischen Leitplanken auch noch nicht vollumfänglich gesetzt", sagt Andreas Eisele, Vorsitzender des IHK-Immobilienausschusses. „Die Kriterien von ESG sind bei Environmental zum Teil, bei Social and Governance bisher nicht definiert. Hier brauchen wir dringend zeitnah Antworten."
Gerade kleinere Marktteilnehmer müssten entlastet werden. „Der deutsche Immobilienmarkt zeichnet sich durch kleinteilige gesellschaftsrechtliche Strukturen aus, die besonders von den gestiegenen Nachhaltigkeitsanforderungen betroffen sein werden", so Eisele. Derzeit erarbeitet die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) im Zuge der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) KMU- und branchenspezifische Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung.
„Hierauf kann und muss die Politik dahingehend einwirken, dass kleinen Playern nicht noch unnötig zusätzliche Bürden auferlegt werden", fordert Eisele. Die mit Nachhaltigkeitsanforderungen verbundenen Mehrkosten zum Beispiel bei der Sanierung von Bestandsbauten sollten zudem durch Mieter wie Eigentümer getragen werden. Die Politik verhindere dies jedoch zunehmend.
Eine Frage des Preises
Sven Keussen (60), Geschäftsführer der Rohrer Immobilien GmbH in München, weiß um die Notwendigkeit, Immobilien generell und speziell Bestandsimmobilien zeitnah ESG-konform auszurichten. Rund 40 Prozent der Deutschen seien auch bereit, für derart modernisierte Immobilien mehr zu zahlen, so Keussen. „Aber diese Transformation zu mehr Nachhaltigkeit ist nur über eine umfassende finanzielle staatliche Förderung möglich." Sonst dürften viele Eigentümer gezwungen sein, ihre Immobilien zu verkaufen. „Denn nur durch höhere Mieten lassen sich die zusätzlichen Kosten nicht refinanzieren."
Die ESG-Ausrichtung wird nach Keussens Ansicht zudem das gesamte Preisniveau im Immobiliensektor nach oben ziehen. Dabei gibt es erheblichen Bedarf an günstigen Gebäuden. „Wir haben viele Gewerbemieter, die jetzt 18 Euro pro Quadratmeter in der Stadt zahlen", so der Geschäftsführer. „Ein Quadratmeterpreis von 30 bis 40 Euro, der nach einer ESG-Modernisierung fällig werden dürfte, wird einigen von ihnen zu hoch sein." Auch gebe es immer wieder bauliche Hindernisse. „Nicht überall lassen sich Solarpanels montieren", so Keussen. Bei Neubauten wiederum seien die Taxonomie-Vorgaben so hoch, „das kann ein Bauträger kaum mehr wirtschaftlich darstellen".
Was ist eine grüne Investition?
Überregulierung schränke auch die Banken bei der Kreditvergabe ein, moniert Michael Dandorfer, Vorstandsmitglied der Münchner Bank eG. Darunter habe oft der Mittelstand zu leiden. „Die Institutionen sollten sich auf einheitliche Definitionen einigen und gemeinsam Leitplanken setzen, innerhalb derer man sich bewegen kann, aber nicht versuchen, alles im Detail zu regeln", fordert er. So sei die Einteilung in braune Kredite, die seine Bank nur eingeschränkt, nach gründlicher Abwägung und zu schlechteren Konditionen vergeben dürfe, und grünen, also vordergründig nachhaltigen Krediten, nicht so einfach.
Er nennt ein Beispiel: „Wenn ich Kredite gewähre, über die der Kauf eines Viertels mit alten Siedlungshäusern aus den 1960er-Jahren mit einer grauenhaften CO2-Bilanz samt Sanierung finanziert wird, ist das nicht an sich eine grüne Investition?" Und was sei höher zu gewichten: die ökologische oder die soziale Komponente? Hier widersprächen sich die ESG-Ziele mitunter, sagt der Bankvorstand und verweist auf den sozialen Wohnungsbau, der unter den gegebenen Bedingungen nur bedingt möglich sei.
Datenmaterial dürftig
Kreditgeber benötigen für eine Entscheidung detaillierte Zahlen, welchen Impact die einzelnen Energieformen wie etwa Photovoltaik oder Gas prozentual bei einem Gebäude ausmachen. „Aber diese Daten liegen oft nicht vor oder sind nur mit unvertretbarem Aufwand zu ermitteln", sagt Dandorfer. Als Risikomanagementexperte müsse er sich primär darauf fokussieren, wie groß das Ausfallrisiko eines Kredits sei. Und hier lasse sich nicht pauschal sagen, dass grüne Anleihen ein geringeres Risiko bergen. Dandorfer: „Wenn jemand einen Energiestandard KfW 55 plant, müssen am Ende des Tages auch Preise herauskommen, die sich am Markt realisieren lassen, ansonsten steigt das Ausfallrisiko. Die Frage nach einem sozialen Aspekt ist da noch gar nicht beleuchtet."
Neue Angebote entstehen
Trotz aller Kritik – die EU-Taxonomie, der stärkere Fokus auf Nachhaltigkeit, bietet für die Immobilienbranche auch Chancen. „Asset- und Property-Management werden an Bedeutung gewinnen", wagt Eisele einen Blick in die nahe Zukunft. Durch den ESG-Turnaround entstünden neue Angebote im Immobilienbereich („Manage to green"). „Der Klimawandel und die damit verbundenen Vorgaben werden sich auf die Wertentwicklung einzelner Assetklassen massiv auswirken: Die Nachfrage nach ESG-konformen Gebäuden und die Bedeutung von Innovationen dürften steigen“, erwartet der IHK-Ausschussvorsitzende. „Für die Branchenteilnehmer ist ein langfristiges, strategisches Nachhaltigkeitsmanagement wichtig, um mit den neuen Marktanforderungen erfolgreich umgehen zu können", so Eiseles Fazit.