Standortpolitik

Nachhaltigkeit im Tourismus: »Das Gesamtpaket muss stimmen«

Fotos: Martina Diemand, BZT ©
Nachhaltigkeit muss sich auch wirtschaftlich lohnen, sagen Alfred Bauer (links) und Jürgen Schmude.

Die Experten Jürgen Schmude und Alfred Bauer vom Bayerischen Zentrum für Tourismus erklären, warum Nachhaltigkeit auch in der Krise ein Thema für die Branche sein sollte.

Ausgabe 07/2021

Wodurch zeichnet sich nachhaltiger Tourismus aus?
Schmude: Zu nachhaltigem Tourismus gehört natürlich die Ökologie – aber nicht allein. Die zweite Säule bilden sozialkulturelle Aspekte, darunter gute Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter, aber auch die Vermeidung übermäßiger touristischer Belastung von Destinationen, die unter dem Begriff »Overtourism« diskutiert wird. Die dritte Säule ist die Ökonomie: Nachhaltigkeit muss sich für die Unternehmen und die Destinationen lohnen.

Ist es angesichts der existenziellen Nöte der Unternehmen in der Tourismuswirtschaft derzeit überhaupt angebracht, über Nachhaltigkeit zu diskutieren?
Bauer: Aber absolut! Wenn nicht jetzt, wann dann? Beim Thema Nachhaltigkeit geht es um eine strategische Ausrichtung der Betriebe, bei der die Entwicklungen auf der Nachfrageseite eine wichtige Rolle spielen. Die Themen Klimawandel, Fridays for Future und Flugscham gab es schon vor Corona. Die Pandemie wirkt nochmals wie ein Katalysator: Da Urlaub zu Hause ja größtenteils möglich war, entdeckten viele Menschen unbekanntere Regionen ihrer Heimat und lernten Radel- und Wanderurlaube schätzen.

Bei einer repräsentativen Studie des Bayerischen Zentrums für Tourismus zur Zukunft des Reisens rechneten im März dieses Jahres 30 Prozent der Befragten damit, dass bei Urlaub und Reisen künftig mehr auf das Thema Nachhaltigkeit geachtet wird.

Verkraften nachhaltig orientierte Hotels und Gastronomen Krisen besser?
Bauer: Grundsätzlich ja, da sie mit einer klaren Ausrichtung im Markt agieren. Allerdings sollte es nicht nur um ein solitäres Angebot eines Betriebs gehen, sondern um die Gesamtausrichtung der Destination. Neben dem Fokus auf die regionale Kreislaufwirtschaft spielt die Vernetzung der regionalen Angebote eine entscheidende Rolle. Das Gesamtpaket muss stimmen: Nachhaltigkeit in Kombination mit besonderen Erlebnissen, zum Beispiel mit alten Handwerkskünsten, regionaler Kulinarik und schöner Natur.

Wie gelingt Gastronomen und Hoteliers der Einstieg in die Nachhaltigkeit?
Bauer: Da gibt es keinen vorgezeichneten Weg. Es sind sehr viele verschiedene Themen, die durchdekliniert werden müssen. Egal, ob man mit der Energie, regionalen Zulieferern, der Mobilität oder der Ausgestaltung des Hauses anfängt: Es hat sich bewährt, Schritt für Schritt vorzugehen, dabei aber die Richtung, die man einschlagen will, fest im Blick zu behalten. Besonders erfolgreich sind unserer Erfahrung nach übrigens inhabergeführte Betriebe mit Überzeugungstätern und -täterinnen an der Spitze.

Was muss auf überbetrieblicher Ebene geschehen, um den Tourismus in Bayern nachhaltiger zu gestalten?
Schmude: In den Destinationen sollte man sich mehr Gedanken über ein gesundes Verhältnis von Einheimischen zu Gästen sowie zur Tragfähigkeit weiterer Zuwächse machen. Auch hier muss ein Umdenken stattfinden. Quantität sollte nicht mehr die zentrale Zielsetzung für Marketing und Erfolgsmessung einer Destination sein. Besser wäre eine Art »Happy Destination Index«. Wichtig ist eine angemessene Raumentwicklung für die verschiedenen Nutzergruppen – und dazu zählen immer auch die Einwohner. Ansonsten wird es immer wieder Szenen wie in den Gemeinden um den Walchensee geben, in denen Einheimische gegen den Ansturm der Tagesausflügler protestieren.

Zu den Personen: Alfred Bauer und Jürgen Schmude

Alfred Bauer (62) leitet das Bayerische Zentrum für Tourismus (BZT) und ist Professor an der Fakultät Tourismus-Management der Hochschule Kempten.

Jürgen Schmude (65) ist wissenschaftlicher Leiter des BZT und Professor für Tourismuswirtschaft, Nachhaltigkeit und CSR an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität.

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