Mobilität | Standortpolitik

Abschied vom Diesel-Lkw

BIHK/Dani Oshi ©
Debatte um Antriebe – 180 Gäste kamen in die Bayerische Vertretung in Brüssel

Wie lässt sich die Einführung alternativer Antriebe beschleunigen? Die Wirtschaft drängt auf den Ausbau des grünen Lade- und Tankstellennetzes.

MARTIN ARMBRUSTER, Ausgabe 11/2022

»Fit for 55« – das klingt zunächst nach AOK und »Apotheken Umschau«. Der Slogan steht aber für ein Ziel, das weit schwieriger zu erreichen ist als mehr Puste beim Joggen. »Fit for 55« steht für das Maßnahmenpaket, mit dem die EU bis 2030 ihre CO2-Emissionen um 55 Prozent senken will.

Die bayerischen IHKs (BIHK) und die Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) haben zum Thema »Fit for 55« Ende September eine Podiumsdiskussion in der Brüsseler Vertretung des Freistaats Bayern mit 180 Teilnehmern veranstaltet. Konkret ging es um die Einführung und Durchsetzung alternativer Antriebe im Straßenverkehr.

29 Prozent mehr CO2-Emissionen 

Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) betonte in seiner Videobotschaft, für wie wichtig Bayerns Staatsregierung das Thema alternative Antriebe hält. Es geht dabei auch um das Ende einer Klimaschutzpleite. Während der EU-weite CO2-Gesamtausstoß seit 1990 um 23 Prozent gesunken ist, haben die Emissionen im Straßenverkehr um satte 29 Prozent zugelegt. In Politik und Wirtschaft ist allen klar, dass sich das ändern muss – gerade im Straßengüterverkehr.

Nur ist die Umsetzung schwierig. Dafür müssen die Hersteller Alternativantriebe entwickeln, die so gut funktionieren wie der Dieselmotor. E-Trucks im Fernverkehr können zudem nur dann rollen, wenn es für sie das nötige Netz von Ladestellen und ausreichend Strom gibt.

Ringen um Infrastruktur für alternative Kraftstoffe

Die BIHK-Veranstaltung machte deutlich, was heute technisch möglich ist. Und wie hart in der EU um eine Verordnung gerungen wird, die vorgibt, bis wann wie viele Wasserstofftankstellen und Ladestationen stehen müssen. Der Verordungsentwurf für den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (AFIR) stand im Fokus der Brüsseler Diskussion.

Zwei marktreife Alternativen zum Diesel-PKW

Das Positive: Die Wirtschaft will den Umstieg. Nur 28 Prozent der deutschen Fuhrparkmanager haben bis 2025 noch einen Diesel-Lkw auf der Einkaufsliste. Die Hersteller haben große Fortschritte gemacht. Nach Einschätzung der Fachwelt gibt es heute mit der Brennstoffzelle und der Batterie zwei marktreife Alternativen zum Diesel-Lkw.

Daimler, Toyota, Hyundai, Renault und Volvo setzen auf die Brennstoffzelle, weil sie ähnliche Reichweiten ermöglicht wie der Dieselmotor. Die Nachteile: Es braucht sehr viel Strom und Geld, um Wasserstoff zu erzeugen. Auch der Bau von Wasserstofftankstellen gilt als teuer.

Frederik Zohm, Entwicklungsvorstand der MAN Truck & Bus SE, erklärte in Brüssel, weshalb sein Konzern den E-Antrieb favorisiert. Die Technik sei energieeffizienter und technisch ausgereifter als Wasserstoffantriebe. 50 Prozent der Busverkäufe seien bei MAN bereits elektrisch. Praxistests mit E-Lkws stimmten zuversichtlich. Testfahrer seien begeistert, so Zohm.

Die Nachteile: E-Lkws haben eine geringere Reichweite und die großen und schweren Batterien kosten Ladefläche und -gewicht. Aus Platz- und Zeitgründen kann man E-Trucks nicht einfach an Ladestationen für E-Pkws hängen. Benötigt werden viele leistungsstarke Ladeparks.

Forderung nach »Technologieneutralität«

Die Wissenschaft und die EU teilen die Überzeugung, dass es beide Alternativen zum Diesel braucht, um die Klimaziele zu erreichen. Auch WKÖ-Experte Alexander Klacska plädierte für »Technologieneutralität«. Die Lade- und Tankinfrastruktur dürfe nicht über die Marktchancen einer Antriebsform entscheiden. Klacskas zweiter Punkt: Planungssicherheit. Wer in Wasserstoff investieren soll, müsse wissen, ob es dafür genügend Strom und Tankstellen gibt. Es wäre ein Fehler, die Entwicklung der Brennstoffzelle Japan (Toyota) und China zu überlassen. Europa müsse auf dem Gebiet selbst mehr Tempo machen.

»Bringschuld der Politik«

Klacska forderte von der Politik ein Ende der Mehrfachbelastungen des Transportgewerbes, weil die Umstellung der Fahrzeugflotten hohe Investitionen erfordere. Spediteure bezahlten für ihre Diesel-Lkws derzeit dreifach – mit kilometerabhängiger Maut, Mineralölsteuer und CO2-Bepreisung. Der WKÖ-Experte nannte es eine »Bringschuld der Politik«, klar zu sagen, wann und wie sie ihre Ausbauziele für die Ladeinfrastruktur erreichen wolle.

Die Unklarheit ist Folge des Streits zwischen EU-Kommission, -Mitgliedsstaaten und -Parlament, über den der Europa-Abgeordnete Ismail Ertug (SPD) die Teilnehmer der BIHK-Veranstaltung informierte. Ertug und MAN-Vorstand Zohm warfen den EU-Staaten vor, sie würden für den Ausbau des Ladenetzes zu wenig tun. Sie kritisierten den Beschluss der EU-Verkehrsminister als unzureichend, der bis 2030 entlang der Hauptverkehrsachsen (TEN-T-Korridore) alle 200 Kilometer eine Wasserstofftankstelle vorsieht.

Ziel ab 2026: alle 60 Kilometer eine E-Ladesäule

Auch dank Ertugs Initiative hat der Verkehrsausschuss des EU-Parlaments anspruchsvollere Ziele beschlossen. Schon ab 2027 soll mindestens alle 100 Kilometer eine Wasserstofftankstelle stehen. Für E-Lkws fordert der Ausschuss ein noch dichteres Netz. Ab 2026 soll es alle 60 Kilometer Ladesäulen mit mindestens 2.000 Kilowatt geben. Den EU-Staaten geht das viel zu weit.

500 Millionen Euro für 1.700 Schnellladepunkte

MAN-Vorstand Zohm betonte den Handlungsbedarf. Bis 2030 müssten für E-Lkws 42.000 Ladepunkte stehen. Dafür nehme die Wirtschaft selbst Geld in die Hand. Laut Zohm investiert ein Joint Venture aus sechs Lkw-Herstellern 500 Millionen Euro in 1.700 Schnellladepunkte. Zohm forderte von der Politik zudem, einen Preisanreiz zu schaffen. Ein wirksamer CO2-Preis sei das beste Mittel, um grüne Antriebe zu fördern.

Was Hoffnung machte: Axel Volkery von der Generaldirektion Mobilität und Verkehr der EU-Kommission versicherte, man arbeite an einem Finanzierungskonzept für die nötigen grünen Lade- und Tankstellen. Der Klimaschutz dürfe nicht am fehlenden Geld scheitern.

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