UN-Nachhaltigkeitsziel: »Frieden schaffen«

Die Vereinten Nationen haben 17 Sustainable Development Goals (SDGs) verabschiedet, zu deren Erreichung auch Unternehmen beitragen können. Nachhaltigkeitsziel 16 setzt sich für Frieden und starke Institutionen ein.
Gabriele Lüke, Ausgabe 06/20
»Beendet die Seuche namens Krieg und bekämpft die Krankheit, die unsere Welt verwüstet«, nutzte UN-Generalsekretär António Guterres einen Höhepunkt der Coronakrise, um die Welt zum Stopp aller Kampfhandlungen aufzurufen. Der Appell ist bitter nötig. »Wir erleben aktuell mit zirka 55 großen gewaltsamen Konflikten wieder eine sehr unfriedliche Zeit«, sagt Holger Niemann, Wissenschaftler am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) in Hamburg.
Zur Stärkung von privater Sicherheit und Good Governance
Die Vereinten Nationen setzen mit dem Nachhaltigkeitsziel 16 ein Zeichen gegen diese Entwicklung: Sie wollen friedliche Gesellschaften fördern, allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglichen sowie leistungsfähige, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen. Die Bundesregierung legt in der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie, die die SDGs in Deutschland umsetzt, den Schwerpunkt auf die Bekämpfung von Kriminalität, Kleinwaffenverbreitung und Korruption sowie auf die Stärkung von privater Sicherheit und Good Governance.
»Um gewaltsame Konflikte einzudämmen, gilt es zunächst, ihr Wesen zu verstehen«, sagt Friedensforscher Niemann. Heute kämpfen meist nicht Armeen verschiedener Staaten um Territorien, sondern staatliche gegen nichtstaatliche Akteure, oft sind dritte Parteien involviert. »Dabei geht es auch um Territorien, häufiger aber um Ideologien, Religion, ethnische Vormachtstellung oder organisierte Kriminalität wie beim Drogenkrieg in Mexiko«, so der Experte. Zusätzlich können mangelnde wirtschaftliche Entwicklung, Armut oder schwache staatliche Institutionen gewaltsame Konflikte antreiben.
»Gewaltökonomien«
Mit den neuen Formen kriegerischer Gewalt gehen oft sogenannte Gewaltökonomien einher: Konfliktparteien finanzieren sich durch die Ausbeutung von Ressourcen oder den Verkauf von Drogen. Dabei infiltrieren und schwächen sie die staatlichen Institutionen, schreiben eigene – gewaltsame – Regeln für das Zusammenleben und Wirtschaften. Ein letzter Punkt der Unfriedensanalyse: Zunehmend setzen einzelne Staaten einseitig internationale Verträge außer Kraft. »Indem sie diese Instrumente aber infrage stellen, erschüttern sie nicht nur das Vertrauen in die Grundlagen unserer internationalen Ordnung, sondern gefährden den Frieden selbst«, so Niemann. Die Friedensvision des SDG 16 will dieser Entwicklung entgegenwirken.
Beitrag der Unternehmen gefragt
Wie können Unternehmen praktisch dazu beitragen, das Ziel zu erreichen? »Vor allem durch die Einhaltung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten, Compliance und Anti-Korruptions-Strategien, aber auch, indem sie selbst zivilgesellschaftliches Engagement oder friedliche Konfliktlösungsmechanismen wie die Mediation fördern«, sagt Friedensforscher Niemann.
Tipps aus kostenloser App, etwa zum Thema "Bestechung"
Dabei können sich Unternehmen von der global agierenden Allianz für Integrität unterstützen lassen. Sie wurde gemeinsam vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, dem Bundesverband der Deutschen Industrie sowie dem Deutschen Global Compact Netzwerk initiiert. Zu ihren aktiven Förderern zählen multinationale Konzerne, zivilgesellschaftliche Akteure und internationale Organisationen. Auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) ist Partner.
In Seminaren, Trainings und mit der kostenlosen TheIntegrityApp unterstützt die Initiative insbesondere kleine und mittlere Betriebe dabei, den Compliance-Grad der eigenen Firma am Standort, im Ausland und in den Lieferketten zu bewerten und zu erhöhen. »Es geht zum einen um praktische Fragen: Wie ist etwa zu reagieren, wenn ein Mitarbeiter zur Bestechung aufgefordert wird oder bestochen werden soll? «, erklärt Susanne Friedrich, Leiterin der Allianz für Integrität.
Zum anderen unterstützt die Initiative strukturelle Ansätze für mehr Compliance wie etwa digitale Lösungen. Friedrich: »Korruptionsprävention reduziert Ungleichheiten, stärkt Rechtsstaatlichkeit, schafft ein gutes Geschäftsumfeld, das macht Gesellschaften letztlich auch friedlicher.«
Beitrag von Zivilgesellschaft und Wirtschaft
Carola von Peinen (42), Gründerin der Talents4Good GmbH in München und Berlin, sieht in zivilgesellschaftlichem Engagement für sich und die Wirtschaft eine gute Möglichkeit, einen Friedensbeitrag zu leisten. So hat sie zur Unterstützung der Klimaschutzbewegung die Initiative Entrepreneurs for Future mit auf den Weg gebracht und ruft regelmäßig zu Demonstrationen auf. »Der Rechtsstaat gibt uns mit der Demonstrations- und Meinungsfreiheit ein Mittel an die Hand, friedlich Interessen zu artikulieren und Konflikte auszutragen«, sagt von Peinen. »Immer wenn wir – als Entrepreneurs for Future – dieses Mittel anwenden, stärken wir wiederum den Rechtsstaat und damit den Frieden.« Auch von Peinens Kerngeschäft flankiert SDG 16: Talents4Good vermittelt Arbeitsstellen für Menschen, die einen Job mit Sinn suchen, etwa in der Entwicklungszusammenarbeit.
Mediation als unternehmerische Friedensarbeit
Für eine weitere Variante unternehmerischer Friedensarbeit steht Brigitte Santo (49). Als vor einigen Jahren ihr Familienunternehmen in einen Streit mit einem Geschäftspartner geriet, ließ sich Santo – damals Mit-Geschäftsführerin – zur Konfliktlösung auf eine Mediation ein. Bei diesem außergerichtlichen Verfahren finden die Streitparteien, unterstützt von einem unparteiischen Mediator, selbst eine einvernehmliche Lösung. »Auch uns ist das gelungen. Wir waren wirklich sehr zerstritten und konnten dennoch in kurzer Zeit mithilfe des Mediators den Streit komplett überwinden und die Zusammenarbeit friedlich fortsetzen«, sagt Santo.
Sie war von dieser Erfahrung so inspiriert, dass sie sich weiterbildete und nun als selbstständige Wirtschaftsmediatorin anderen bei der Konfliktbeilegung hilft. Santo: »Mediation ist eine Haltung und steht für das grundsätzliche Streben, sich im Konsens und Frieden zu einigen.«
Mediationszentrum der IHK und Lehrgang
Auch die IHK für München und Oberbayern engagiert sich für die Mediation und hat ein eigenes Mediationszentrum aufgebaut. Die IHK Akademie bietet einen zertifizierten Lehrgang zum Wirtschaftsmediator IHK an. Diese Ausbildung hat nicht nur in Deutschland einen guten Ruf. Die IHK im ukrainischen Lwiw hat sie im Rahmen eines Entwicklungshilfeprojekts übernommen. Den Lehrgang, den der Partner der IHK Akademie, das ukrainische Mediationszentrum, durchführt, haben seit 2015 über 200 Absolventen abgeschlossen. IHK-Bildungsmanager Thomas Kölbl sieht darin auch einen Friedensexport: »Die Mediationsausbildung ist ein wichtiger Beitrag für die Entwicklung der Zivilgesellschaft in diesem und anderen Ländern und damit auch ein Friedensbeitrag.«