Ein echtes Update

Ab 2022 gelten umfangreiche neue Gewährleistungsregeln beim Verkauf an Konsumenten. Händler sollten sich gut auf die Änderungen vorbereiten.
Melanie Rübartsch, Ausgabe 12/2021
Was da auf Händler zurollt, hat es in sich. »Wir erwarten enorme Auswirkungen durch die neuen Regeln zum Kaufrecht«, sagt Volker Schlehe, Leiter des Referats Zivil- und Handelsrecht der IHK für München und Oberbayern. Zum 1. Januar 2022 treten umfangreiche Änderungen zum bisherigen Gewährleistungsrecht beim Handel mit Verbrauchern in Kraft. Sie beruhen auf der Umsetzung einer EU-Richtlinie, die das Ziel hat, das Kaufrecht innerhalb der EU zu harmonisieren und Verbraucher stärker zu schützen – unter anderem bei Produkten mit digitalen Funktionen.
»Im Endeffekt kann ein Käufer künftig einfacher und in einem längeren Zeitraum als bisher vom Vertrag zurücktreten. Dann muss der Händler den Neupreis zurückerstatten«, erklärt IHK-Experte Schlehe. Insbesondere bei hochpreisigen Waren kann das für den Verkäufer zum finanziellen Risiko werden. »Händler müssen daher dringend ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen, Vereinbarungen mit Herstellern und Lieferanten und internen Abläufe an die neuen Bedingungen anpassen«, rät der Jurist. Auch Schulungen des Verkaufspersonals sind wichtig. Anwendbar sind die neuen Regeln auf alle Kaufverträge, die ab dem 1. Januar 2022 mit Verbrauchern geschlossen werden.
Das sind die wichtigsten Kaufrecht-Änderungen im Überblick:
Die Beweislast für Händler wird schärfer
Käufer können grundsätzlich nur dann Reparatur oder Neulieferung verlangen, wenn die Ware schon beim Kauf einen Mangel hat. Bislang gilt: Beruft sich der Käufer auf einen Fehler, wird in den ersten sechs Monaten nach der Übergabe quasi vermutet, dass wirklich einer vorliegt. Der Verkäufer muss in diesem Zeitraum nur dann nicht auf die Käuferforderungen eingehen, wenn er nachweisen kann, dass die Sache mangelfrei war oder der Fehler auf unsachgemäßem oder übermäßigem Gebrauch der Ware beruht.
Ab Januar gilt diese Vermutungsregel nun zwölf Monate lang.
»Beweisführung extrem schwierig«
»Für Händler ist die Beweisführung aber in der Regel extrem schwierig oder mit unverhältnismäßig hohen Kosten zum Beispiel für Gutachter verbunden. Und je länger der Kauf her ist, desto schwieriger wird es«, weiß Rechtsexperte Schlehe. Wie soll ein Händler belegen, dass etwa ein gekaufter Rasenmäher nicht nur wie üblich ein- bis maximal zweimal pro Woche benutzt wird, sondern jeden Tag auch in der Nachbarschaft oder im Kleingartenverein zum Einsatz kommt?
»An dieser Stelle ist wichtig, dass Händler ihr Qualitätsmanagement noch einmal gut prüfen und sicherstellen, dass ihre Waren möglichst in jedem Fall über ihre normale Nutzungsdauer hinweg funktionieren«, rät Schlehe. Insbesondere Verkäufer von hochpreisigen Produkten gehen ganz auf Nummer sicher, wenn sie sogar Rückstellungen für Reklamationen bilden.
Pflicht zum Update
Das neue Kaufrecht führt eine zusätzliche Produktgruppe ein: digitale Produkte und Waren mit digitalen Elementen. Erfasst sind davon nicht nur offensichtlich digitale Waren wie Smartphones, Computer oder Software. Auch Autos mit digitalen Elementen oder intelligente Haushaltsgeräte gehören dazu, etwa Saugroboter.
Bei diesen Produkten hat der Verkäufer künftig eine Aktualisierungspflicht. Diese soll sicherstellen, dass die Technik auch dann noch funktioniert, wenn sich das digitale Umfeld, zum Beispiel die Cloud-Infrastruktur, ändert. Neben dieser Interoperabilität geht es auch darum, dass der Käufer regelmäßige Sicherheits-Updates erhält und der Händler ihn darüber informiert.
Zwei große Probleme sind mit dieser Pflicht verbunden. »Zunächst ist die konkrete Dauer nicht festgelegt«, sagt Schlehe. Letztlich muss der Händler über die gesamte normale Nutzungsdauer Updates zur Verfügung stellen. Die Nutzungsdauer wiederum hängt immer von dem jeweiligen Gegenstand ab. »Mindestens muss die normale Gewährleistungsfrist von zwei Jahren zugrunde gelegt werden«, so Schlehe. Ein Auto zum Beispiel hat jedoch eine reguläre Lebensdauer von durchschnittlich 13 Jahren. Der Jurist erwartet, dass erst rechtliche Auseinandersetzungen in dieser Frage zu einer Konkretisierung führen werden.
Verantwortlichkeit des Händlers
Das zweite Problem: Die Aktualisierungspflicht trifft den Händler, nicht den Hersteller, der die Updates anfertigt. Die Verkäufer müssen also unbedingt über ihre Lieferantenverträge sicherstellen, dass die Hersteller die Updates automatisch zur Verfügung stellen. »Vor dem Hintergrund ist es auch ratsam, sich seine Lieferantenliste nochmals gut anzuschauen«, betont IHK-Experte Schlehe. Ist davon auszugehen, dass der Zulieferer die Updates wirklich bereitstellt?
Andernfalls kann es teuer werden für den Händler. »Im Zweifel müsste er noch Jahre nach dem Verkauf den Neupreis zurückerstatten, wenn sich der Käufer auf einmal auf die ausbleibende Aktualisierung beruft«, so Schlehe.
Immerhin: Um den Händler in diesen Fällen etwas zu schützen, hat der Gesetzgeber die Verjährung der Regressansprüche des Verkäufers gegenüber den Lieferanten verlängert. Sie tritt nun frühestens zwei Monate nach dem Zeitpunkt ein, zu dem der Verkäufer die Gewährleistungsansprüche seines Käufers erfüllt. Die aktuell noch geltende Höchstgrenze von fünf Jahren ist ebenfalls gekippt.
B-Ware – Abweichungen schriftlich festhalten
Eine Ware muss den objektiven Anforderungen entsprechen. Das heißt, sie muss alle Eigenschaften und Funktionen aufweisen, die man als Käufer gewöhnlich von diesem Produkt erwarten kann. Zugleich sind damit die Anforderungen an die Informationspflichten gestiegen, wenn eine bestimmte Ware vom Standard abweicht: Vorführgeräte, Ausstellungsstücke, gebrauchte Gegenstände.
Mit einem Schild, das ein Produkt als B-Ware kennzeichnet, oder der Klausel »gekauft wie gesehen« ist es künftig nicht mehr getan, um darauf basierende Gewährleistungsrechte auszuschließen. Der Händler muss dem Käufer vielmehr sämtliche Abweichungen von der Norm vor Kaufabschluss auflisten und später ausdrücklich schriftlich vereinbaren. Die AGB, Formularverträge oder Kästchen zum Ankreuzen im Onlinehandel reichen dafür nicht aus. »Hier kommt vor allem auf Gebrauchtwarenhändler eine Menge an Dokumentation zu«, warnt Schlehe.
Zügige Mängelbeseitigung nötig
Käufer können schneller zurücktreten
Verbraucher haben grundsätzlich immer erst einen Anspruch auf Nacherfüllung, also auf Reparatur oder Neulieferung. Nur wenn der Käufer für Reparatur oder Lieferung explizit eine Frist gesetzt hat und diese ergebnislos ablief, konnte er die Ware zurückgeben, den Preis mindern oder Schadensersatz verlangen.
Das fällt künftig weg. Es reicht also, dass der Verbraucher die Ware rügt. Dann ist der Verkäufer am Zug. Wird er innerhalb einer »angemessenen« Frist nicht aktiv, kann der Käufer sofort mindern oder den Kaufpreis zurückverlangen. »Händler müssen also dafür sorgen, dass Sachmängel möglichst zügig bearbeitet werden, wenn sie ihr Recht auf Reparatur oder Nachlieferung behalten wollen«, so der Jurist.
Längere Gewährleistungsfrist
Die normale Gewährleistungsfrist beträgt zwei Jahre. Dabei bleibt es auch. Zeigt sich in dieser Zeit ein Mangel, tritt die Verjährung des Anspruchs allerdings künftig immer erst vier Monate danach ein. Das heißt: Tritt der Fehler am gekauften PC zum Beispiel im 23. Monat nach dem Kauf auf, kann sich der Käufer noch bis zum 27. Monat Zeit lassen, seine Ansprüche geltend zu machen.
Eine Übersicht der Neuregelung finden Sie auf der IHK-Webseite über das neue Kaufrecht.
Der neue Praxisratgeber »Kaufrecht für den Handel« der DIHK-Gesellschaft für berufliche Bildung enthält neben Erläuterungen und Praxisbeispielen auch alle einschlägigen Gesetzestexte. Er kann im Online-Shop der DIHK-Bildungs-gGmbH bestellt werden.