Klimaschutz | Betrieb + Praxis
Fortschritte im Blick

Die EU will Greenwashing verhindern. Die beiden neuen Richtlinien, die das regeln sollen, setzen Unternehmen und Werbetreibenden jedoch enge Grenzen.
Von Gabriele Lüke, IHK-Magazin 03/2025
Die Unsicherheit ist groß. Niemand kann aktuell abschätzen, was die neuen europäischen Regeln zur Kommunikation mit Nachhaltigkeitsbotschaften für die Praxis bedeuten und wie in Zukunft rechtssicher mit Nachhaltigkeit geworben werden kann.
„Wir befürchten sogar, dass lange bestehende Claims oder Slogans rückwirkend verboten werden könnten“, erklärt Evi Weichenrieder, Leiterin der Nachhaltigkeitskommunikation beim Babynahrungshersteller HiPP in Pfaffenhofen a.d. Ilm. „Nachhaltigkeit ist unser Selbstverständnis, wesentlich für unsere Marke und ein wichtiger Wettbewerbsfaktor“, betont die Kommunikationsexpertin. „Wir wollen mit ihr werben. Daher beobachten wir sehr genau, was auf uns zukommt.“
„Grüne“ Aussagen auf dem Prüfstand
Es sind die Empowering-Consumers-Richtlinie (EmpCo) und die Green-Claims-Richtlinie (GCD), die Agenturen und Kommunikationsabteilungen vieler Firmen aktuell in Unruhe versetzen. Die beiden Gesetzeswerke sollen Greenwashing und Irreführung der Verbraucher mit Umweltaussagen verhindern.
„CO2-neutral, energieeffizient oder umweltfreundlich: Alle Botschaften, die eine neutrale, positive oder reduzierte Umweltauswirkung versprechen, sind auf dem Prüfstand – auch rückwirkend“, erklärt Reiner Münker, Hauptgeschäftsführer der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs in Bad Homburg. „Zugleich sagt die EU unseriösen Nachhaltigkeitssiegeln den Kampf an.“
Vorsicht bei Nachhaltigkeitssiegeln
Die EmpCo (Directive on Empowering the Consumers for the Green Transition) ist bereits verabschiedet. Bis zum 27. März 2026 muss sie in nationales Recht umgesetzt sein. Sie aktualisiert die bestehende EU-Richtlinie über unfaire Geschäftspraktiken (Unfair Commercial Practice Directive, UCP) im Hinblick auf Nachhaltigkeitsaussagen. Die EmpCo verbietet Nachhaltigkeitssiegel, hinter denen kein transparentes Zertifizierungssystem steht.
Außerdem sind verboten: allgemeine Umweltaussagen, die nicht beweisbar sind oder falsche Bezugspunkte setzen, zudem Werbung mit Umweltfortschritten, die nicht hervorragend und anerkannt sind, die auf Basis von Treibhausgaskompensationen entstehen (egal mit welchem Anteil) oder in der Zukunft liegen.
Abmahnungen und Werbeverbote
Ebenso tabu ist Social Washing, also Aussagen, die das Bemühen um soziale oder umweltbezogene Angelegenheiten übertrieben oder irreführend darstellen. Betroffen sind alle Unternehmen. Wer die Regeln bricht, muss mit Abmahnungen und Werbeverboten rechnen. Deutschland wird die EmpCo wahrscheinlich ins Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) integrieren.
Die GCD (Directive on the Verifiability and Communication of Environmental Product Claims) soll die EmpCo ergänzen. Derzeit ist die Richtlinie im Trilog-Verfahren, zuletzt wurde eine Ausnahme für Kleinstunternehmen revidiert.
GCD: Prüfung wird Pflicht
„Mit der GCD etabliert die EU einen völlig neuen Ansatz“, sagt Wettbewerbshüter Münker. „Bevor ein Unternehmen überhaupt mit einer Umweltaussage an den Markt gehen darf, muss diese nach internationalen und allgemein anerkannten wissenschaftlichen Standards geprüft und mit einer Konformitätserklärung von einer EU-akkreditierten Prüfinstanz zertifiziert werden.“ In Deutschland soll dies wahrscheinlich der TÜV übernehmen. Dass überhaupt geprüft wird, haben Behörden zu überwachen.
Betrachtet werden müssen Umweltauswirkungen in allen Umweltdimensionen sowie über den gesamten Lebenszyklus des Produkts hinweg. Auch hier ist ein erheblicher Umweltfortschritt gefordert, um werben zu dürfen.
Meist alle fünf Jahre Erneuerung
Von der Prüfung ausgenommen sind Angaben, die unter bestehende EU-Vorschriften wie das EU-Umweltzeichen, EMAS oder Bio-Zertifikate fallen. Die Belege zu den Umweltaussagen müssen öffentlich zugänglich sein. Bei Veränderungen muss die Prüfung sofort, sonst alle fünf Jahre erneuert werden.
„Da die EU eher mit unklaren Rechtsbegriffen arbeitet, kann es zudem sein, dass in manchen Mitgliedstaaten ein Slogan als zulässig betrachtet wird, der in anderen EU-Ländern beanstandet wird“, sagt Münker. Wer sich nicht an die Vorschriften hält, muss mit hohen Geldstrafen von mindestens vier Prozent des Jahresumsatzes rechnen.
Nachhaltigkeit braucht Wettbewerb
IHK-Rechtsexpertin Tatjana Neuwald befürchtet, dass Firmen nun ganz aufhören könnten, mit Nachhaltigkeit zu werben. „Natürlich ist es richtig, Greenwashing zu ahnden“, sagt sie. „Aber die EU treibt die Unternehmen mit den vielen Anforderungen, dem erwartbar hohen Aufwand, mit Strafen und Imageschäden bei Verboten geradezu ins Greenhushing.“
Wenn Firmen aber bewusst die Kommunikation ihrer Nachhaltigkeitsanstrengungen zurückfahren, dann schade das auch der Nachhaltigkeit selbst, fügt IHK-Nachhaltigkeitsfachfrau Henrike Purtik hinzu: „Denn über Nachhaltigkeitskommunikation entsteht auch Nachhaltigkeitswettbewerb, Innovationen werden befördert, die Nachhaltigkeitstransformation gestärkt.“
Streitbare NGOs
Nach Ansicht von Reiner Münker von der Wettbewerbszentrale bräuchte es EmpCo und GCD in Deutschland eigentlich gar nicht. „Das UWG setzt eine ausreichend hohe Messlatte“, ist er überzeugt. Nachhaltigkeitsaussagen würden von Wettbewerbern, Verbraucherschützern und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) auch jetzt schon kritisch hinterfragt und abgemahnt, es gebe ausreichend klare Urteile nicht zuletzt vom Bundesgerichtshof.
Dass die Nachhaltigkeitskommunikation bereits ohne EmpCo und GCD eine Herausforderung ist, hat HiPP erlebt. Das Unternehmen wollte seine Babykost im Gläschen mit dem Begriff „klimapositiv“ bewerben. „Wir konnten für jede einzelne Sorte über die ganze Lieferkette belegen, dass wir über zehn Prozent mehr CO2 reduzieren, vermeiden und kompensieren als ausstoßen“, so HiPP-Managerin Weichenrieder. Zahlen und Berechnungslogik wurden vom TÜV Nord geprüft, bestätigt und von HiPP transparent gemacht.
„Bestehende Gesetze reichen“
„Für Verbraucherinnen und Verbraucher ist dieses Thema jedoch extrem komplex“, sagt Weichenrieder. Darüber hinaus erschien NGOs die Kompensation nicht stringent, da zum Beispiel Lachgas von dem Kompensationsanbieter nicht berücksichtigt worden war. Das Unternehmen verzichtete daraufhin auf die „Klimapositiv“-Werbung. „Das war für uns als Überzeugungstäter bitter“, betont Weichenrieder. „Es zeigt aber auch, dass die bestehenden Gesetze ausreichen.“
Alternative Werbekonzepte
Der Europäische Rat hat die GCD-Regelungen zuletzt ein wenig entschärft. Es wird ein besonderes Beratungs- und Informationsangebot für kleinere und mittlere Unternehmen vorgesehen. „Neben genauer Beobachtung, wie die Richtlinien sich entwickeln, sollten Unternehmen aber auch über alternative Konzepte für die Nachhaltigkeitskommunikation nachdenken“, rät Stefanie Kuhnhen, Strategiechefin und Initiatorin des Nachhaltigkeitsmarketing-Angebots der Agentur Serviceplan Group.
Keine Verzichtsbotschaften!
Nachhaltigkeitsaussagen transparent mit Zahlen und Belegen abzusichern, die auf einen Blick für die Menschen ersichtlich sind, findet sie zwingend: „Das erhöht die Funktionsfähigkeit des Markts: Die Menschen müssen verstehen können, wo eine Marke wirklich gut ist oder wo sie nur so tut.“ Zugleich gelte es, begehrliche Narrative auf Markenebene zu entwickeln: „Es geht um einfache Geschichten, kreative, begeisternde Claims, jenseits der rationalen Verzichtsbotschaften.“
„Auf Basis echter guten Taten“
Als Beispiel nennt sie „Wow – no Cow“ für einen Haferdrink oder „Farm to Fork“ für eine Restaurantkette. Kuhnhen: „Nachhaltigkeit gehört heute zum Mainstream, wir dürfen Wissen voraussetzen. Emotionale, persönliche Versprechen auf Basis echter guter Taten – so müssen wir heute die Gesellschaft für neuen Konsum gewinnen.“
Neue Regeln antizipieren
Geschichten zu erzählen, ist auch der Ansatz, den HiPP-Kommunikatorin Weichenrieder nun verstärkt. „Auf unserer Website und auf Social Media veröffentlichen wir Berichte über Nachhaltigkeitsprojekte, interviewen unsere Experten oder unseren Chef, legen Zahlen offen – und antizipieren so auch die neuen Regeln.“
IHK-Info zu Green Claims
Weiterführende Infos und Tipps der IHK zu den EU-Regeln gegen Greenwashing in der Werbung stehen online - mit aktuellem Update (Stand: 26.02.2025) zum Vorschlag der EU-Kommission, die Bürokratie für Unternehmen abzubauen. Stichwort: Nachhaltigkeits-Omnibus-Paket mit Vereinfachungsmaßnahmen.