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Bäume pflanzen fürs Klima – beliebtes Motiv in der Werbung

Eine neue EU-Richtlinie will umweltbezogene Werbung standardisieren und Grünfärberei stoppen. Was die Green Claim-Directive für Unternehmen bedeutet.

Von Eva Müller-Tauber, IHK-Magazin 11-12/2023

Nachhaltigkeit gehört zu den prägenden Trends der Gegenwart – auch bei Kaufentscheidungen. Immer mehr Verbraucher orientieren sich daran, ob und wie nachhaltig ein Produkt produziert wurde. Doch was genau bedeutet nachhaltig, was klimaneutral? Wie unterscheiden sich die Aktivitäten der Hersteller? Und wer macht tatsächlich das, was er verspricht?

Den Mitarbeitenden in der Beratung beim Penzberger Sporthändler Conrad GmbH ging es wie vielen ihrer Kollegen im Verkauf: Sie taten sich schwer, ihren Kunden im Detail zu erläutern, inwiefern die einzelnen Hersteller ihren Werbeversprechen in puncto Nachhaltigkeit und speziell hinsichtlich ihrer Umweltleistung gerecht werden.

„Um für uns und unsere Kunden in den Filialen wie im Onlineshop einen einigermaßen nachvollziehbaren Vergleich und bestmögliche Transparenz zu ermöglichen, haben wir 2018 das eigene Label ,Wir denken um' geschaffen“, erläutert Stefanie Buchacher, bis Oktober 2023 Head of Corporate Sustainability bei Conrad. „Damit heben wir Marken hervor, die unsere Kriterien bezüglich Nachhaltigkeit erfüllen, also nachvollziehbar verantwortungsvoll wirtschaften sowie innovative, umweltfreundlich und fair produzierte Bekleidung, Schuhe und Ausrüstung herstellen.“ Auf seiner Website klärt der Sporthändler entsprechend über die Produzenten und ihre Aktivitäten auf.

Zu ungenau: klimaneutral und emissionsreduziert

Künftig kann sich das Unternehmen die Mühe womöglich sparen. Denn im März dieses Jahres hat die Europäische Union die Green Claims Directive auf den Weg gebracht. Die neue EU-Richtlinie soll einheitliche Standards zu Informationspflichten und zur Belegbarkeit umweltbezogener Werbeaussagen (Green Claims) schaffen. Buchacher begrüßt diesen Schritt. Begriffe wie klimaneutral und emissionsreduziert seien zuletzt in Verruf geraten. „Wenn es offiziell nachvollziehbare Mindeststandards gibt, dass Werbekampagnen zur Nachhaltigkeit mit wissenschaftsbasierten Daten und Aussagen unterfüttert sein müssen, erleichtert das die Vergleichbarkeit insgesamt und uns als Händlern damit die Kundenberatung.“

Unter den Herstellern gebe es ihrem ersten Eindruck nach ebenfalls zahlreiche Richtlinienbefürworter – auch wenn die Umsetzung der Directive-Vorgaben für die Produzenten einiges an Mehraufwand bedeuten dürfte. „Sie erhoffen sich gleiche Wettbewerbsbedingungen“, erklärt Buchacher. „Und dass unlautere Kampagnen von Konkurrenten, die mit falschen Nachhaltigkeitsversprechen Kunden locken, unterbunden werden.“

Mehr als 230 Umweltsiegel

Transparenz und Wettbewerbsgleichheit zu schaffen, das sind genau die Ziele, die die EU mit ihrer Richtlinie verfolgt. Tatsächlich hat die Zahl der Siegel, die Nachhaltigkeit und vor allem Umweltfreundlichkeit belegen sollen, zuletzt stark zugenommen – und damit zugleich die Intransparenz. Rund 230 Umweltsiegel zählte die EU-Kommission. „Der Ansatz, den Wildwuchs bei Umweltsiegeln und -logos einzudämmen und dafür zu sorgen, dass nur wirklich nachhaltig agierende Firmen auch damit werben dürfen, ist generell richtig“, sagt Gerti Oswald, bei der IHK für München und Oberbayern für das Thema Nachhaltigkeit verantwortlich. „Grünfärberei muss soweit möglich unterbunden werden.“

Ob die neue Richtlinie allerdings der richtige Weg sei, müsse sich zeigen. IHK-Rechtsreferentin Tatjana Neuwald beobachtet das Regulierungsvorhaben mit großer Sorge: „Wie schon beim Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz werden nicht nur die Hersteller betroffen sein. Die gesamte Wertschöpfungs- und Vertriebskette wird in die Pflicht genommen.“ Alarm-Begriffe in dem Regelungsentwurf für Wettbewerbsjuristen seien „Akkreditierung“, „Zertifizierung“, „geeignete Stellen“ für jede umweltbezogene Aussage in der Vertriebskette. „Das bedeutet neue Kosten, obwohl das UWG, also das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, bereits Vorschriften gegen Greenwashing enthält, die Grünfärbern bereits heute auf die Füße fallen“, so die Expertin.

„Die aktuelle Rechtsprechung belegt, dass Greenwashing bereits erfolgreich rechtlich verfolgt wird. Der Kampf gegen Greenwashing darf nicht zu Green-Hushing (bewusstes Verschweigen von Nachhaltigkeitsinitiativen) ausgerechnet der Akteure werden, die durch Regulierung geschützt werden sollen!“

Ausnahmen für Kleinstunternehmen

Tatsächlich wäre es aus Unternehmersicht die mildere Variante gewesen, den Selbstregulierungskräften des Markts auf Basis des UWG zu vertrauen, sagt Daniel Kendziur (43), Rechtsanwalt und Partner von Simmons & Simmons LLP in München. Aber auch wenn derzeit der Entwurf noch in der Abstimmungsphase sei und die nationale Umsetzung ausstehe: „Die Stoßrichtung ist klar, die Richtlinie wird kommen. Damit gelten in rund 2 Jahren europaweit einheitliche Standards zu Informationspflichten und zur Belegbarkeit umweltbezogener Werbung, die regeln, wie Firmen mit solchen Claims werben dürfen.“ Lediglich Kleinstunternehmen werden laut EU von der Richtlinie ausgenommen sein.

Was ist geplant?

Umweltaussagen über ein Produkt oder ein Unternehmen sollen künftig anhand einer Standardmethode belegt werden. Um alle relevanten Umweltauswirkungen, die ein Produkt während seiner Lebensdauer verursacht, zu ermitteln oder die Umweltleistung eines ganzen Unternehmens zu bewerten, lässt die EU Referenzmethoden entwickeln. Diese will sie durch delegierte Rechtsakte in der EU für rechtverbindlich erklären lassen. In Zukunft dürfen Unternehmen dann nur noch mit umweltbezogenen Aussagen werben, die mittels einer anerkannten Methode bewertet wurden. Diese Methode und die Belege für den umwelt- oder klimafreundlichen Charakter müssen öffentlich zugänglich sein.

Hälfte von 400 Nachhaltigkeits- und Umweltzielen nicht belegbar

Insgesamt entsteht Unternehmen damit deutlich mehr Aufwand – vor allem wenn sie mit Begriffen wie Klimaneutralität werben. Es reicht dann nicht mehr aus, darauf hinzuweisen, wenn dies teilweise durch CO2-Kompensation geschieht. „Die Unternehmen müssen dann auch den Anteil des Ausgleichs angeben und ob hierbei Emissionen reduziert, vermieden oder beseitigt werden“, erklärt der Rechtsexperte. Dieses Pochen auf Genauigkeit hat einen nachvollziehbaren Hintergrund: Im Vorfeld hatte die EU rund 400 Nachhaltigkeits- und Umweltziele von Unternehmen hinterfragt und ausgewertet. Kendziur: „Dabei ließ sich rund die Hälfte nicht richtig belegen.“

Bei den Umweltsiegeln sollen künftig nur noch solche erlaubt sein, die auf einem anerkannten Zertifizierungssystem beruhen oder von staatlichen Stellen festgesetzt wurden. „Der Vorteil: Auch Unternehmer müssen sich nicht mehr im Detail die Umweltzeichen ihrer Wettbewerber anschauen, denn für alle gelten dieselben Vorgaben“, so der Wettbewerbsrechtsspezialist.

Zeit- und geldaufwendige Prozesse

Wer zertifizieren wird und was es kosten darf, ist noch nicht festgelegt. Sollte es staatliche Stellen geben, die diese Aufgabe übernehmen, werden sie sich vor Anfragen womöglich kaum retten können. Dann könnten sich Zertifizierungsprozesse verzögern. „Auf die Unternehmen kommen mitunter umfangreiche und zeit- wie geldaufwendige Prozesse zu“, sagt Kendziur. Sie müssten für sich entscheiden, ob sie weiterhin mit Umweltaussagen werben möchten. Der Experte rät Firmen, die weitere Entwicklung der Richtlinie zu beobachten und mit der unternehmensinternen Produktentwicklung und dem Marketing engmaschig zu begleiten.

Mittelstand im Nachteil: ohne Verify-Verfahren keine Green Claims

Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) sieht die Richtlinie kritisch. Nicht nur, dass die sehr hohen Bußgelder von bis zu 4 Prozent des Jahresumsatzes und weitere Sanktionen umweltbezogene Werbung zu einem unwägbaren Risiko machten. Es sei auch zu befürchten, dass Unternehmen weniger in Nachhaltigkeit investierten, weil sie nicht mehr in ökonomisch sinnvoller Weise mit ihrem Umweltengagement werben können. Zudem seien Green Claims nach Einschätzung der DIHK-Experten künftig auch nur denjenigen Unternehmen vorbehalten, die sich Assessment- und Verify-Verfahren leisten können. „Damit wird vor allem der Mittelstand benachteiligt“, befürchtet IHK-Rechtsexpertin Neuwald.

„Ganz abgesehen davon, führt eine solche Überregulierung unweigerlich zu mehr Bürokratie. „Die neue EU-Directive würde den ökologischen Wandel durch fairen Wettbewerb nicht fördern, sondern sogar beschränken, wenn einmal mehr gelten würde: „Wer aufwendige Zertifizierungsverfahren personell stemmen und bezahlen kann, ist klar im Wettbewerbsvorteil“, mahnt Neuwald.

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