Klimaschutz | Unternehmen

Innovation auf dem Teller

Pflanzliche Garnelen und weiterer Fischersatz – Julian Hallet (l.) und Robin Drummond von Happy Ocean Foods präsentieren ihre Produkte auf einer Messe. Foto: Happy Ocean Foods

Alternative Nahrung und Novel Food: Kommt unser Essen bald aus dem Labor oder mischen wir es ganz frisch selbst? Angebote junger Unternehmen aus Oberbayern statt Fisch und Fleisch

Von Eva Schröder, IHK-Magazin 05-06/2023

„Hähnchenfleisch“, das eigentlich ein Pilz ist und am Baum wächst. Sojabohnen, die von Pilzwurzelwerk durchwachsen werden. David und Alison Stille haben als Gründer der Walding Foods GmbH mit ihrem Studienfreund Johannes Aman (noch) ungewöhnliche Lebensmittel im Sinn: „Alles, was mit Pilzen zu tun hat, kürzt Lieferwege, ist platzsparend und modular, ohne Verschwendung zu produzieren“, sagt Biotechnologin Stille. „Das gibt uns Möglichkeiten, Nahrung ganz neu zu denken.“

Es klingt ideal: gesunde Ernährung verbinden mit Klimaschutz, Nachhaltigkeit, Regionalität und Tierwohl. Pflanzenbasierte Lebensmittel in der Nähe anbauen, flächensparend mit Vertical Farming, in Gebäuden, ohne viel Boden- und Energieeinsatz.

Bewusstseinswandel angestoßen

Die Coronapandemie hat die Schwächen langer Lieferketten und komplexer Herstellungsprozesse offengelegt. Klimawandel, Krieg und Energiepreisabhängigkeit verursachen Welternährungskrisen, aber auch Überproduktion und Verschwendung sind offensichtlich. Bis 2050 sind laut den Vereinten Nationen 9,7 Milliarden Menschen zu ernähren. All das erfordert dringend Anpassungen im Agrar- und Ernährungssektor.

Bei vielen Verbrauchern ist ein Bewusstseinswandel bereits angestoßen. Alternative Proteine werden beliebter, zeigt eine 7-Länder-Studie der Investmentgesellschaft Blue Horizon Corporation AG und der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) von Juli 2022. Darin gaben drei Viertel der 3.700 befragten Konsumenten an, dass sie Fleischersatz für gesünder halten als tierische Proteine. Die 500 Umfrageteilnehmer aus Deutschland sind Fleischalternativen gegenüber zwar etwas skeptischer eingestellt als der internationale Durchschnitt. Immerhin 37 Prozent aber akzeptieren Fleischersatzprodukte. Die wichtigsten Kriterien sind für sie dabei die eigene Gesundheit (53 Prozent), der Geschmack der Ersatzprodukte (45 Prozent) und deren Reinheit (43 Prozent).

Innovatives Essen, lukratives Investment

Auf diesem Nährboden arbeiten Start-ups und innovative Foodtech-Unternehmen in Oberbayern an neuen Lebensmitteln. Denn der Markt für alternative Proteine wird lukrativer: Das investierte Kapital ist laut BCG weltweit von 1 Milliarde US-Dollar 2019 auf 5 Milliarden im Jahr 2021 gestiegen. Der deutsche „Statista Consumer Market Outlook“ von März 2023 erwartet, dass der Pro-Kopf-Absatz von 410 Gramm Fleischersatzprodukten im Jahr 2021 auf 1,38 Kilogramm bis 2027 steigen wird.

Bayern als ehemaliger Agrarstaat sei dabei prädestiniert für innovative Nahrungsideen, sagt Christine Purnell. Sie berät mit ihrer Firma StartinFOOD GbR gezielt Food-Start-ups. Potenzial und Investitionsanreize gebe es reichlich, zählt die Diplom-Kauffrau auf: weniger Verschwendung entlang der Wertschöpfungskette, somit mehr Effizienz in der Produktion, zugleich mehr Lebensmittelsicherheit, Personalisierung, also das Eingehen auf individuelle Unverträglichkeiten sowie mehr regionale Zutaten und Produktion statt undurchsichtiger Lieferketten. „Mit genau dieser Zuverlässigkeit, Zutaten zurückverfolgen zu können, also Authentizität, werden Foodtech-Start-ups immer stärker punkten können“, ist die Beraterin überzeugt.

 

Walding Foods: Pilz statt Fleisch

Auf diese Entwicklung setzt auch Walding. Die 3 Gründer züchten einen Baumpilz, den Gemeinen Schwefelporling. Der wächst hierzulande, gelblich, aufgefächert, am Stamm von Obstbäumen. Auf Englisch heißt er „chicken of the woods“. Wie Hähnchenfleisch kann er in der Pfanne gebraten werden. „Er hat einen hohen Proteingehalt und schmeckt ohne künstliche Zusatzstoffe oder Strukturproteine sehr gut“, sagt Alison Stille. „Wir haben schon Anfragen von Herstellern, die unseren Pilz als Grundstoff einsetzen wollen.“

Den Walding-Gründern ist es gelungen, den oberen Teil des Pilzes in etwa 8 Wochen unter sterilen Bedingungen zu züchten, wie in traditioneller Pilzzucht in Stammhaltung. „Noch etwa ein Jahr Forschung und Experimentierreihen brauchen wir, um ihn von jetzt handtellergroß bis auf Medizinballgröße wachsen zu lassen“, schätzt David Stille.

„Herausfordernd ist, keine durchlöcherten Stellen zu haben, sondern ein skalierbares Produkt in gleichbleibender Qualität, einen gleichmäßigen Fruchtkörper.“ Damit ist der sichtbare Teil von Pilzen gemeint, ihr Wurzelwerk ist das Myzel. Diesen Grundstoff nutzt die amerikanische Fastfood-Kette Kentucky Fried Chicken schon millionenfach als Fleischersatz.

Auch Walding verwendet Pilzmyzel, um vegane Fleischalternativen herzustellen. Für ihren zweiten Geschäftsbereich, den der Fermentation, werden organische Stoffe wie Weizen oder Quinoa mit Pilzmyzel versetzt. Dadurch entstehen intensive Geschmacksrichtungen, die Stoffe werden leichter verdaulich und haltbar gemacht. Der firmeneigene Onlineshop offeriert traditionelle Misos und Sojasoßen, eigene Kreationen und Fleischalternativen.

Die Zutaten kommen von nachhaltigen, regionalen Biohöfen. Die fermentierten Burgerpatties aus pilzdurchwachsenem Quinoa zum Beispiel sind seit Mitte Mai im Gasthaus „Airbräu“ am Flughafen München zu haben. „Unser Anspruch ist dabei nicht, Fleischgeschmack nachzuahmen“, sagen die Stilles. „Wir wollen ein eigenständiges, intensives Geschmackserlebnis schaffen, das zwischen Fleisch und Gemüse liegt und gesund ist. Dafür übersetzen wir andere Kulturtechniken in unsere Art des Kochens. Wir haben ja kein neues Lebensmittel erfunden.“

Koralo: Algen statt Fisch

Das ist bei der Koralo GmbH anders: Nach einem Strandspaziergang, an dem Guido und Sina Albanese Algenteppiche sahen, reifte die Idee, diese als Alternative zu Fisch zu nutzen. „Wir wollen die Auswahl vergrößern, um die Überfischung der Weltmeere zu mindern und die Biodiversität zu bewahren. Außerdem sind Mikroplastik, Schwermetalle und Antibiotika im Fisch problematisch“, zählt Guido Albanese auf.

Gärung wie bei Bier

Mit 20 Jahren Erfahrung in der Lebensmittelindustrie als Chemiker und in Start-ups, machte sich der Vater mit seiner Tochter ans Werk: Sie experimentieren seit Juni 2021 mit Mikroalgen, die mit dem Myzel von Speisepilzen fermentiert, also vergoren werden, ähnlich wie bei Bier. „Das ist in der Traditionellen Chinesischen Medizin lange bekannt, die viel mit Pilzwurzeln arbeitet“, erklärt der Gründer. Wenige Tage dauere die Zucht bis zur Ernte. „Die Bisseigenschaften sind wie von einem Kabeljaufilet, es schmeckt auch ähnlich.“

Aufwendige Zulassung

Unternehmen, die wie Koralo wirklich Neues kreieren, haben allerdings eine zusätzliche Hürde zu nehmen: Innovative Lebensmittel, deren Bestandteile vor 15. Mai 1997 noch kein übliches Lebensmittel waren, müssen gemäß der Novel-Food-Verordnung der EU einen aufwendigen Zulassungsprozess durchlaufen.

Das kostet gleich zu Anfang viel Zeit, Personal und Geld für eine Zulassung. Als „Hemmschuh für Innovation“ bezeichnet Koralo-Gründer Guido Albanese daher die Novel-Food-Verordnung, die neben dem „hohen Gut Verbraucherschutz“ stehe, wie er sagt. Koralo hat immerhin Investoren an der Seite, die den EU-Zulassungsvorgang mitgehen, 2025 soll er abgeschlossen sein. So lange wollen die Unternehmer mit der Marktpremiere nicht warten. „Weil die Behörden in Südkorea proaktiver sind, geht unser Algenfilet diesen Sommer dort auf den Markt“, berichtet der Unternehmer.

Förderungen ausbaufähig

Der Regulierungswahn bremse häufig den Markteintritt neuer Produkte, stellt Roman Werner fest. Der Brau- und Getränketechnologe leitet in Weihenstephan das TUM Venture Lab FAB, einen Inkubator, der im Foodbereich aktuell rund 40 junge Firmen betreut. Vor 3 Jahren wurde er als eines von 11 branchenspezifischen Gründerzentren von der Technischen Universität München (TUM) und der UnternehmerTUM GmbH geschaffen. „Wir bieten Ausrüstung und Labore für die Lebensmittelproduktion, damit Start-ups unkompliziert loslegen können“, erklärt Werner.

In der frühen Gründungsphase sei das Förderangebot aber noch ausbaufähig, findet der Lab-Leiter. Es gebe zwar öffentliche Förderinstrumente, „doch wir bräuchten viel mehr davon, etwa mehr Inkubationsprogramme zwischen Universitäten, Gründern und etablierten Firmen“. Denn neue Technologien zu entwickeln, benötige Zeit und Partner, die bereit seien, sich auf Neues einzulassen – und mehr finanziellen Spielraum.

Beeindruckende Erfolge

Kommt dies alles zusammen, sind beeindruckende Erfolgsstorys möglich. Die air up GmbH etwa wurde 2019 gegründet, jetzt strebt der Münchner Getränkepionier mit dem Konzern Pepsi Co. auf den US-Markt. Das Start-up erhielt nicht nur Hilfe von der TUM, sondern auch von der EU-Initiative EIT Food. Sie berät, vernetzt und fördert finanziell. Dafür stehen 50 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung. Das EIT Food Office für Deutschland, Österreich und die Niederlande ist in Freising beheimatet.

„Wir sehen uns als Katalysator, um Innovationen voranzubringen“, sagt Georg Schirrmacher, Geschäftsführer von EIT Food Central. „In unseren drei Programmen finden die kurz vor der Marktreife stehenden Jungfirmen eine geschützte Umgebung, in der sie vom europäischen Austausch profitieren und von uns 1 zu 1 beraten werden.“ Rund 100 Unternehmen, die das Netzwerk auch finanziell unterstützen, stünden bereit für „Kooperationen auf Augenhöhe“, sagt der Diplomagraringenieur.

Happy Ocean Foods: Alternative Garnelen

Partner, und zwar die richtigen, für die Expansion zu finden, ist in der jungen Branche ein großes Thema. Julian Hallet (33) und Robin Drummond (30), Gründer der Happy Ocean Foods GmbH, hatten hier früh Erfolg: Ein Hersteller in der Schweiz produziert inzwischen schubweise mehrere Tonnen ihrer pflanzlichen „Garnelen“ („Shrymps“), um seine Maschinen auszulasten. „Es war superschwierig, überhaupt einen Hersteller mit passendem Maschinenequipment zu finden“, berichtet Drummond.

Auch der Weg zu den Shrymps war nicht einfach. „Wir haben ab Juni 2020 fast 1 Jahr lang getestet, ehe wir einen Prototyp hatten“, blickt Hallet zurück. “Die größte Herausforderung war, den Garnelengeschmack mit einem ausgewogenen Nährstoffprofil, Protein und Omega-3-Fettsäuren zu kombinieren.“

Entsprechend stolz sind die beiden Betriebswirte auf ihr Produkt und die kurze Zutatenliste: Zu Braunalgenextrakt und Sojaprotein kommen Agavendicksaft, Meersalz, pflanzliche Öle und Gewürze. Das ergibt ein Pulver, das, mit Wasser vermengt, in Garnelenform gepresst wird. Im eigens entwickelten Herstellungsprozess lassen sich auch Alternativen zu Calamari, Krabben oder Muscheln produzieren.

Im Handel und im Lokal erhältlich

Während es zu Hähnchenfleisch mehrere vegane Alternativen gebe, fehle es an Fischalternativen. Drummond: „Die wollen wir günstiger machen, damit viele sie kaufen können. Wobei man etwa 30 bis 40 Prozent Marge je nach Produktart abgeben muss, um in Supermärkten gelistet zu werden.“ Erreicht haben sie das zum Beispiel bei Rewe Süd. Im Großhandel sind sie seit drei Monaten in 13 Metro-Märkten gelistet – ihr „Preisgeld“ aus einem gewonnenen Wettbewerb. Als ein Gastronomiepartner dient dem 7-köpfigen Team die Münchner Restaurantkette L’Osteria. Sie bietet zum 4. Mal auf der Mai-Speisekarte etwa „Insalata Shrymps“ in 158 Restaurants in acht europäischen Ländern.

Beitrag zur Rettung des Planeten

„Wir haben jetzt die historische Chance, unser Essverhalten zu ändern“, sagt Hallet, der auch ausgebildeter Ernährungsberater ist. „Wir als Firma sind angetreten, als Marke eine relevante Größe am Markt zu sein und etwas zur Rettung des Planeten beizutragen.“ Bis 2027 planen sie, rund 4.800 Tonnen pflanzlichen Fisch und Meeresfrüchte pro Jahr zu verkaufen, als Marktführer in Europa.

Der neue Thunfischersatz ist bereits im Großhandel verfügbar, bis Jahresende sollen Lachs und Calamari folgen. 2023 wollen die zwei Gründer, die als Surfer ihre Liebe zum Meer entdeckten, ihr Umsatzziel von 1 Million Euro knacken – das wäre eine Verdreifachung im Vergleich zum Vorjahr. Über Crowdfunding gewinnen sie nicht nur Kapital, sondern auch Bekanntheit.

Von Indoorfarming bis zur „Flaschenmahlzeit“

Beachtlich ist die Vielfalt der Szene an Food-Start-ups, die sich in Bayern entwickelt – sowohl hinsichtlich der Produktideen als auch der Geschäftsstrategie. So setzt die Minga Greens GmbH auf Keimlinge, die im Indoorfarming aus Biosaatgut mit wenig Platz- und Energieeinsatz angebaut werden, und vertreibt sie regional in Bio-Supermärkten und Betriebskantinen in und um München. Die yfood Labs GmbH verspricht, eine vollwertige Mahlzeit pro 500 ml Trinkflasche zu liefern, und hat seit Februar den Schweizer Konzern Nestlé mit einer Minderheitsbeteiligung an Bord.

Klassiker neu gedacht: Vegane Weißwurst

Nahrung in Pulverform zum Selbstmixen bietet wiederum die Münchner GREENFORCE Future Food AG an. „2020 gestartet, sind unsere Produkte in 6 europäischen Ländern schon bei über 10.100 Einzelhändlern zu haben“, sagt Gründer Thomas Isermann. Das Unternehmen mit 90 Mitarbeitenden kann 70 Produkte bieten – von pflanzlichen Burgerpatties über Gulaschsuppe zum Aufgießen bis zu veganer Weißwurst und veganem „Bio Vegurt“.

Das Spektrum alternativer Nahrungsmittel wird also stetig breiter. Vom in Kindergärten kredenzten veganen »Milchreis« aus fermentierten Sojabohnen, ohne Milch und ohne Reis – aber klar, weiterhin mit Kirschkompott. Bis zur pflanzlichen Weißwurst, auch auf dem Oktoberfest. Bayern is(s)t innovativ.

IHK-Service zu Produkt- und Lebensmittelsicherheit sowie CE-Kennzeichnung

Auf der IHK-Website stehen Informationen und kostenfreie Beratungsangebote zu den drei Themengebieten Produkt- und Lebensmittelsicherheit sowie CE-Kennzeichnung bereit.

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