Plötzlich Vermittler

Unternehmen, die Gruppenpolicen abgeschlossen haben, brauchen aufgrund eines EuGH-Urteils jetzt unter Umständen eine Erlaubnis als Versicherungsvermittler.
Von Melanie Rübartsch, IHK-Magazin 11-12/2023
Ein typischer Fall: Ein Unternehmen will seinen Mitarbeitern den Abschluss einer günstigen Berufsunfähigkeitsversicherung ermöglichen. Dazu schließt es mit einer Versicherung eine Gruppenpolice ab. Alle Arbeitnehmer, die sich versichern möchten, können diesem Vertrag einfach beitreten.
Was Arbeitgeber bislang vor allem als Service für ihre Belegschaft betrachtet haben, kann sie seit Kurzem unerwartet zu Versicherungsvermittlern machen – eine Tätigkeit, für die sie eine Erlaubnis nach § 34d der Gewerbeordnung (GewO) benötigen.
IHK rät: Wortlaut der Gruppenpolicen prüfen lassen
„Hintergrund ist ein aktuelles Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), das in einem Einzelfall die sogenannte Gruppenspitze, also das Unternehmen als Versicherungsnehmer der Gruppenversicherung, als Vermittler eingestuft hat“, erklärt Katharina Rombach, Rechtsreferentin der IHK für München und Oberbayern. Unternehmen, die entsprechende Policen abgeschlossen haben, sollten daher sehr genau prüfen, ob die Grundsätze, die die europäischen Richter aufgestellt haben, auch in ihrem Fall passen.
Bei der Einschätzung hilft eine Aufsichtsmitteilung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und der IHK-Organisation, die erste Leitplanken zur Einstufung denkbarer Konstellationen anhand verschiedener Praxisbeispiele setzt (siehe Link am Textende). „In Zweifelsfällen können und sollten betroffene Unternehmen immer die für sie zuständige IHK einbinden und um eine rechtliche Auskunft in ihrem Fall bitten“, rät Rombach. Die wichtigsten Punkte im Überblick:
Wann kann eine Vermittlertätigkeit bei Gruppenspitzen vorliegen?
Aus dem EuGH-Urteil haben IHK und BaFin drei Voraussetzungen abgeleitet, die alle erfüllt sein müssen, damit überhaupt ein Vermittlerstatus infrage kommt:
- Der Versicherungsnehmer der Gruppenpolice erhält eine Vergütung für die Beitritte einzelner Personen zu seinem Vertrag oder verfolgt ein eigenes wirtschaftliches Interesse. Gängiges Beispiel sind Provisionen, die ein Unternehmen oder ein Arbeitgeber für jedes neue Gruppenversicherungsmitglied erhält. Bloße Aufwandserstattungen von Verwaltungskosten, etwa das Porto, oder nur mittelbare Vorteile, wie zum Beispiel die Steigerung der Attraktivität als Arbeitgeber, fallen nicht darunter.
- Die Mitgliedschaft im Gruppenversicherungsvertrag ist freiwillig. Obligatorische Mitgliedschaften, etwa aufgrund gesetzlicher Pflichten, sind also nicht erfasst.
- Die versicherten Personen haben das Recht, Versicherungsleistungen gegenüber dem Versicherer in Anspruch zu nehmen.
Beispiele für Vermittlertätigkeit
Basierend auf diesen drei Voraussetzungen, wäre etwa ein Autohaus, das seinen Kunden mit dem Kauf eines Fahrzeugs einen Schutzbrief anbietet und zugleich bei ihrem Beitritt eine Provision erhält, grundsätzlich als Versicherungsvermittler tätig. Gleiches gilt für das Brillengeschäft, das bei Beitritt seiner Kunden in eine abgeschlossene Glasbruch-Gruppenversicherung einen Teil der Beiträge vom Versicherer erhält.
Anders liegt der Fall bei Unternehmen, die Mitarbeitern den freiwilligen Beitritt zu Krankenzusatzversicherungen anbieten und von der Versicherung lediglich eine Aufwandsentschädigung für entstandene Verwaltungskosten erhalten.
Gelten diese Regeln auch für bestehende Verträge?
Ja, bereits abgeschlossene Gruppenversicherungen sind ebenfalls betroffen und sollten geprüft werden. Außerdem macht es keinen Unterschied, ob die beitretenden Mitglieder Verbraucher beziehungsweise Mitarbeiter sind oder ob es sich ihrerseits um Unternehmen, also zum Beispiel Geschäftspartner, handelt.
Was ist die Rechtsfolge, wenn das Unternehmen Vermittlertätigkeiten ausübt?
Das Unternehmen muss bei der zuständigen IHK eine Erlaubnis nach § 34d GewO beantragen. Dafür muss es unter anderem seine Sachkunde im Bereich der Vermittlung von Versicherungsprodukten nachweisen. Des Weiteren gehen mit dem Status als Versicherungsvermittler berufsrechtliche Pflichten einher, insbesondere die Pflicht, Kunden in angemessener Form zum Versicherungsschutz zu beraten. Fehlt die notwendige Erlaubnis, steht eine Ordnungswidrigkeit und damit das Risiko eines Bußgelds im Raum.
Nicht immer Erlaubnispflicht nötig
Im Einzelfall können aber trotz Vermittlertätigkeiten auch Ausnahmen von der Erlaubnispflicht greifen. „Das kann etwa der Fall sein, wenn jemand nur in Nebentätigkeit Versicherungen vermittelt und die Policen lediglich eine Zusatzleistung zur eigentlichen Dienstleistung sind“, sagt IHK-Expertin Rombach. All das muss die jeweilige IHK genau prüfen.
Was gilt bei Rahmenverträgen?
Rahmenverträge sind von echten Gruppenverträgen zu unterscheiden. Bei Rahmenverträgen verhandelt ein Unternehmen mit einer Versicherung lediglich die Eckdaten und Konditionen für mögliche einzelne Verträge. Wenn sich Mitarbeiter oder Kunden dafür interessieren, schließen sie auf Basis des Rahmenvertrags eine eigene Police als Versicherungsnehmer ab. Über diese Art von Verträgen hat der EuGH nicht entschieden.
Müssen auch die Versicherungsunternehmen, die die Gruppenpolice mit der Gruppenspitze abschließen, etwas beachten?
Sie sind mittelbar von der neuen Rechtsprechung betroffen. Denn sie dürfen laut Gesetz nur mit solchen gewerbsmäßig tätigen Versicherungsvermittlern zusammenarbeiten, die im Besitz einer IHK-Erlaubnis sind oder nach den gesetzlichen Vorschriften der Gewerbeordnung nicht erlaubnispflichtig.
IHK-Info: Gewerbeerlaubnis und EuGH-Urteil
- Ausführliche Informationen über die notwendige Erlaubnis für Versicherungsvermittler und -berater sowie die Voraussetzung für die Erteilung gibt es auf der IHK-Website.
Auch findet sich hier die Aufsichtsmitteilung von BaFin und IHK zu den Folgen des neuen EuGH-Urteils.