Richter mit Praxisblick

Unternehmer bringen als Handelsrichter nicht nur kaufmännisches Wissen in Gerichtssäle. Sie sammeln in diesem Ehrenamt auch wertvolle Erfahrungen für den eigenen Betrieb.
Von Melanie Rübartsch, IHK-Magazin 10/2025
Marie Gérard erinnert sich gern an ihre Vereidigung 2023. Ein feierlicher und erhabener Moment sei das gewesen, als sie offiziell ihr Ehrenamt als Handelsrichterin an der 2. Kammer für Handelssachen am Landgericht München II übernahm. Ein Schritt, der in gewisser Weise vorgezeichnet war für die Geschäftsführerin des Peißenberger Unternehmens Wohnwagen Gérard GmbH. „Mein Vater war bereits Handelsrichter und meine Mutter ist ehrenamtliche Richterin am Finanzgericht“, sagt sie.
Seit beinahe 3 Jahren sitzt die Unternehmerin nun etwa 6-mal im Jahr gemeinsam mit einem weiteren Handelsrichter und einem Berufsrichter im Gerichtssaal und urteilt über Streitigkeiten, in denen es zum Beispiel um Kauf- oder Dienstleistungsverträge geht, um Gesellschafterbeschlüsse oder um die Auflösung von Gesellschaften.
Gemeinsam mit dem Berufsrichter
Oft verhandelt sie dabei Fälle aus der Kfz-Branche. „Ich liebe dieses Amt“, schwärmt Gérard. Sie lerne unglaublich viel und findet es gut, an den Prozesstagen ein Stück weit aus ihrem Unternehmeralltag rauszukommen. „Das Amt erfüllt mich wirklich mit Stolz und Freude.“
Handelsrichter sind als ehrenamtliche Richter an den Kammern für Handelssachen an einem Landgericht im Einsatz. Sie urteilen gemeinsam mit einem Vorsitzenden Berufsrichter in Streitigkeiten rund um kaufmännische Angelegenheiten: von Vertragsrecht über gesellschaftsrechtliche Fragen, Unternehmensverkäufe, Marken- und Wettbewerbsrecht bis hin zu Baurecht.
Brücke zwischen Praxis und Recht
„Anders als Schöffen haben sie dabei sogar jeweils das gleiche Stimmrecht wie der Berufsrichter und dürfen auch eine Robe tragen“, sagt Tatjana Neuwald, Referatsleiterin Wettbewerbsrecht, Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht bei der IHK für München und Oberbayern. Die Experten werden ausdrücklich als sachkundige Fachrichter bestellt.
„Ihre Aufgabe ist es, ihr Wissen aus der Praxis einzubringen, um zu einem sachgerechten und fairen Urteil zu gelangen“, betont die IHK-Juristin. Sie sollen bei den anhängigen Streitfragen beurteilen, was handels- und branchenüblich sowie normales kaufmännisches Geschäftsgebaren ist. „Sie bauen also eine Brücke zwischen Rechtsprechung und Unternehmensalltag.“
189 Handelsrichter in Oberbayern
Die Ernennung von Handelsrichtern erfolgt immer auf Vorschlag der IHKs. Die IHK für München und Oberbayern ist dabei für die Kandidaten der Landgerichte München I und II, Traunstein, Ingolstadt und Landshut zuständig. Aktuell sind dort insgesamt 189 ehrenamtliche Handelsrichter im Einsatz.
Stichwort: Wer kann Handelsrichter werden
Ehrenamtliche Handelsrichter müssen mindestens 30 Jahre alt und deutsche Staatsangehörige sein. Voraussetzung ist außerdem, dass die Kandidaten Inhaber, Vorstandsmitglied, Geschäftsführer oder Prokurist einer Firma oder einer juristischen Person des öffentlichen Rechts sind.
Die Ernennung zum Handelsrichter erfolgt auf Vorschlag einer IHK. Die Amtszeit beträgt jeweils 5 Jahre. Eine wiederholte Ernennung ist möglich.
In der Regel sind Handelsrichter einer bestimmten Kammer für Handelssachen bei einem Landgericht zugeteilt. Sie arbeiten generell mit demselben Berufsrichter zusammen. Im Schnitt kommen die Handelsrichter an 3 bis 6 Sitzungstagen im Jahr zum Einsatz.
Der Einsatz von Unternehmern im Gerichtssaal hat eine lange Geschichte. Bereits im Mittelalter gab es besondere Handelsgerichte. In einem Edikt Kaiser Maximilians I. vom 17. März 1508 heißt es, „dass überhaupt niemand geschickter ist, die obgemeldeten Gebrechen der Kaufleute und Kaufmannshändel zu entscheiden als die verständigen Kaufleut“. Aus diesen Kaufmannsgerichten entstand 1804 in Nürnberg das erste deutsche Handelsgericht, besetzt mit einem Juristen und 2 Kaufleuten.
Kein juristisches Fachwissen nötig
Dieser Tradition und der Bedeutung seiner Aufgabe ist sich Michael Zink bewusst. Der Geschäftsführer der Bayerischen Fliesenhandel GmbH ist bereits seit 1998 für die 4. Kammer für Handelssachen am Landgericht München I tätig. In seinen Verfahren geht es in der Regel um Markenrecht. „Vor meinem 1. Einsatz war ich schon etwas angespannt mit Blick auf die Verantwortung, die ich übernommen hatte“, erinnert er sich. Die Nervosität sei aber schnell gewichen.
„Insbesondere mit der Unterstützung der Berufsrichter findet man sehr schnell in den Ablauf der Verfahren rein“, sagt der Unternehmer. Geholfen habe ihm zudem, dass die Handelsrichter ausdrücklich gerade kein juristisches Fachwissen haben sollen. „Für den generellen rechtlichen Rahmen, die Verfahrensregeln oder die Kenntnis einschlägiger Rechtsprechung ist der Berufsrichter zuständig. Wir sollen explizit unseren wirtschaftlichen Praxisblick in die Bewertung der Rechtsfragen einbringen“, erklärt er.
„Echte Bereicherung“
Im Schnitt hat er 2 bis 3 Gerichtstage pro Halbjahr. An diesen Tagen verhandelt die Kammer bis zu 4 verschiedene Prozesse. „Der Richter führt uns 2 Handelsrichter morgens erst einmal in die Sachlage und die entscheidenden Rechtsfragen ein und wir besprechen, wo es noch Lücken gibt und was wir konkret beurteilen müssen“, berichtet Zink. In der Regel sind die Einsätze um spätestens 14 Uhr beendet.
Der Kaufmann sieht sein Amt als echte Bereicherung: „Man erweitert mit jedem Prozess seinen Horizont und lernt viel – sowohl rechtlich als auch menschlich.“ Jeder Fall sei einzigartig und spannend. Egal ob der Streit um die Marke eines mittelständischen Münchner Unternehmens verhandelt wird oder – wie kürzlich – der Name, den ein bekannter deutscher Rapper seinem Unternehmen für medizinisches Cannabis gegeben hat.
Überschaubarer Zeitaufwand
Den Zeitaufwand für ihr Ehrenamt hält auch Unternehmerin Gérard für sehr überschaubar und gut planbar: „Ich habe mich zu Beginn einmal generell in die Aufgaben eines Handelsrichters und den möglichen Ablauf eines Prozesses eingelesen. Jetzt sind alle Aufgaben in der Regel an den jeweiligen Prozesstagen erledigt.“ Unterm Strich spare sie aufgrund der Erfahrungen, die sie als Handelsrichterin sammelt, in ihrem Unternehmensalltag sogar Zeit. Wie ihr das gelingt? „Weil ich mehr und mehr rechtliche Fragen und Zusammenhänge kennenlerne, kann ich Konfliktsituationen oft schneller in ihrem Kern einordnen und die Reaktionsmöglichkeiten effektiver abwägen.“
Nützlich für die eigene Betriebspraxis
Der Perspektivwechsel habe ihr zudem geholfen, besser abschätzen zu können, wie Richter oder Anwälte im Konfliktfall denken. Auch habe sie erkannt, dass der Gang vors Gericht nicht immer schlimm sein muss, sondern insbesondere in verfahrenen Situationen wirklich helfen kann. Ihr Fazit: „Für meinen Geschmack könnte es sehr gern noch mehr Handelsrichtereinsätze geben.“
IHK-Info: Handelsrichter
Mehr Infos zum Thema Handelsrichter gibt es auf der IHK-Website.