„Wir nehmen uns Zeit“

Ausgefallene Kreationen treffen auf eine unkonventionelle Geschäftsstrategie – Christian und Yasmin Hemmerle wollen die Internationalisierung ihres Juwelierhauses vorantreiben.
Von Harriet Austen, IHK-Magazin 03/2023
„Schauen Sie doch einmal heraus auf die Maximilianstraße“, fordert Christian Hemmerle den Gast auf. Früher hätten individuelle Geschäfte das Bild der exklusiven Münchner Einkaufsstraße geprägt, heute seien es nur noch Großkonzerne. „Wir sind die absolute Ausnahme“, sagt der Inhaber der traditionsreichen Hemmerle Juweliere GmbH. Er ist sichtlich stolz darauf, dass der 130 Jahre alte Familienbetrieb „in diesem Konzert mitspielen“ kann.
Eigene Designsignatur
Der Unternehmer sieht dies als wesentliches Verdienst seiner Eltern: „Sie bauten aus dem lokalen Geschäft eine über die Grenzen der Stadt hinaus bekannte Marke auf.“ Seine Eltern seien die Ersten gewesen, die 1995 Schmuckstücke aus Eisen und Diamant präsentierten. Die Idee, Edelsteine in unedle Materialien zu fassen, ist „bis heute unsere Signatur“.
Kollektionen inspiriert von Gemüse oder Tee
Christian Hemmerle und seine Frau Yasmin, beide gleichberechtigte Partner im Unternehmen, knüpfen nahtlos an die Tradition des Unkonventionellen an. Die beiden überraschten 2011 mit dem Projekt „Delicious Jewels“, einer von Gemüse inspirierten Schmuckkollektion. „Wir fragten uns damals, wer Blumenkohl oder Karotten tragen und kaufen will“, sagt Yasmin Hemmerle lachend. Zu ihrer Verwunderung wurde aus der „verrückten Idee“, so die 39-Jährige, ein großer Erfolg, der das Ehepaar zu weiteren ungewöhnlichen Projekten ermutigte.
Schmuck mit besonderer Botschaft
Die beiden experimentierten schon mit Aluminium und ließen sich bei ihren Kollektionen von der Natur, der ägyptischen Hochkultur oder den Zutaten von Kräutertees anregen. „Infused Jewels“ heißt ihre jüngste Kollektion aus dem Sommer 2022. Die 13 Broschen und Ohrringe sollen eine bestimmte Botschaft vermitteln: „Tee bedeutet Entspannung, Ruhe, Entschleunigung. Und er bringt Menschen zusammen“, sinniert Yasmin Hemmerle. „Schmuck kann alles sein.“ Man dürfe sich nur nicht limitieren lassen, weder von den Materialien noch vom Denken. Deshalb sei sie froh, dass ihre Schwiegereltern ihnen so viel Freiraum gelassen haben, als sie 2006 in das Unternehmen eintraten.
Das junge Paar hatte sich in London beim BWL-Studium kennengelernt. Christian Hemmerle wollte mit 14 Jahren „alles andere als Juwelier werden“, erinnert er sich. Sein Traumberuf war eigentlich Immobilienentwickler. Doch während eines Praktikums bei einem Diamanthändler erwachte seine Passion für das Goldschmiedehandwerk. Ihm gefällt, dass ein großer Teil des Berufs darin besteht, Freude zu bringen: „Wir sind für das Schöne, für die guten Momente da.“
Ziel: Internationalisierung vorantreiben
Yasmin Hemmerle stammt aus Kairo und brachte die Leidenschaft für edle Steine von ihrer schmuckliebenden Familie mit. „Wir ergänzen uns hervorragend“, sagt die Juwelierin. Während sie die Kollektionen entwirft und sich um neue Märkte kümmert, liegt die Gesamtverantwortung bei ihrem Mann. „Ich fühle mich als Dirigent, bei mir laufen die Fäden zusammen“, sagt der 42-Jährige. „Wir wollen unsere Handwerkskunst in die Welt hinaustragen und die Internationalisierung vorantreiben.“ Unlängst expandierte Hemmerle in den asiatischen Markt.
Hoher Sammlerwert
Die Schmuckstücke sind bei Sammlern und zunehmend auch bei Museen rund um den Globus begehrt, stehen sie doch für exklusive Qualität, innovative Materialkombinationen und außergewöhnliche Kreationen. „Hemmerle ist eine unverwechselbare Designsprache, die auch erkannt wird, wenn kein Name unter dem Schmuckstück steht“, so der Unternehmer.
Team aus 20 erfahrenen Goldschmieden
In einer Werkstatt im Lehel sind 20 erfahrene Goldschmiede damit beschäftigt, 2-D-Skizzen „Leben einzuhauchen“, wie Yasmin Hemmerle es nennt. Dabei sitzen sie oft mehr als 500 Arbeitsstunden an einem Stück. „Das ist hohe Kunst“, lobt sie das Team. Jeder Einzelne habe einen immens großen Anteil am Erfolg des Familienunternehmens. Dass hier echte Wunderwerke, ja Kunst entstehe, funktioniere nur, weil sie frei und unabhängig seien, keine Auftragsarbeiten annähmen und pro Jahr nur 200 diffizile Einzelstücke quasi „für uns selbst“ kreierten, versichert Christian Hemmerle.
Verkauft wird direkt an die Kunden. Für den viel reisenden Juwelier sind die Sammler „unsere Unterstützer, die uns Mut machen, den Weg weiterzugehen“. Dieser ist ähnlich ungewöhnlich wie die Haute Joaillerie aus dem Hause Hemmerle: „Wir nehmen uns Zeit, um ganz besonderen Schmuck zu entwerfen, zu bauen und zum Leben zu erwecken. In unserer hektischen Welt ist das absoluter Luxus.“
Zu den Personen Christian Hemmerle und Yasmin Hemmerle
Christian Hemmerle, Jahrgang 1980, studierte BWL in London. Er trat in vierter Generation gemeinsam mit seiner Frau Yasmin 2006 in den 1893 gegründeten Goldschmiedebetrieb Hemmerle Juweliere GmbH ein, den sie 2021 von seinen Eltern ganz übernahmen.
Yasmin Hemmerle, Jahrgang 1983, stammt aus Kairo und studierte ebenfalls BWL in London.
Das Familienunternehmen beschäftigt 45 Mitarbeiter in München, New York, London und Hongkong.