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Historische Flotte, moderner Betrieb

Thorsten Jochim ©
Birgit und Michael Feßler – in fünfter Generation am Steuer des Familienbetriebs

Seit 175 Jahren fährt die Flotte der Chiemsee-Schifffahrt kreuz und quer über das Bayerische Meer. Mit seinen Linien- und Charterfahrten ist das Traditionsunternehmen ein wichtiger touristischer Leistungsträger der Region.

Eva Elisabeth Ernst, Ausgabe 07/20

Selbst an einem trüben Märztag tummeln sich im Hafen in Prien am Chiemsee normalerweise zahlreiche Passagiere, die Fahrpläne studieren, Tickets kaufen und auf das nächste Schiff warten. An den Stegen legen auch im Winter regelmäßig Schiffe zur Herren- und zur Fraueninsel an und ab, im Sommer fahren sie zusätzlich nach Seebruck, Bernau, Übersee und Chieming. Doch bei unserem Besuch herrscht fast schon gespenstische Ruhe auf dem Gelände am See: An diesem Tag fordert das Bayerische Gesundheitsministerium, die Schifffahrt auf dem Chiemsee wegen des Coronavirus einzustellen. »Das ist der erste Tag in unserer 175-jährigen Firmenhistorie, an dem unsere Schiffe wegen eines Virus im Hafen bleiben müssen«, sagt Michael Feßler (53), der die Chiemsee-Schifffahrt Ludwig Feßler KG gemeinsam mit seiner Schwester Birgit (50) in fünfter Generation leitet. »Bislang mussten wir den Schifffahrtsbetrieb lediglich wegen Eis oder Hochwasser aussetzen. «

Linienkonzession seit 1941

Nach einer Zeit des Not- und eingeschränkten Betriebs gilt seit 30. Mai wieder der reguläre Sommerfahrplan. Ein wichtiger Schritt für das Traditionsunternehmen, denn den Großteil des Umsatzes erwirtschaftet es in den warmen Monaten. Im Winter wird der fahrplanmäßige Bootsverkehr gemäß der Linienkonzession, die der Freistaat Bayern anno 1941 erteilte, ausgedünnt. Dann übernehmen die Mitarbeiter Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten an den Schiffen und im Betrieb. »Fast alle sind ausgebildete Facharbeiter oder Meister«, erklärt Michael Feßler. »Das ermöglicht es uns nicht nur, unsere Schiffe in Eigenregie zu warten. Wir bauen und reparieren zum Beispiel auch unsere Anlegestege selbst.«

Halbsalondampfer von 1926 im Einsatz

Die Flotte des Unternehmens umfasst 13 Passagierschiffe, darunter ein historischer Halbsalondampfer aus dem Jahr 1926. Dazu kommen noch ein Arbeitsschiff sowie ein Passagierschiff der Schifffahrt Gstadt, an der die Chiemsee-Schifffahrt beteiligt ist. Für ihren Einsatz auf den Schiffen werden die Mitarbeiter angelernt. Nach einiger Zeit als Kassierer oder Matrose können sie den Schiffsführerschein machen und dürfen ans Steuerrad. Die Bayerische Schifffahrtsordnung erlaubt dies auch ohne Kapitänspatent.

Vom Parkwächter über Matrosen zum Geschäftsführer

Auch Michael Feßler war einst als Matrose im Familienbetrieb tätig. »Angefangen habe ich allerdings mit zwölf Jahren als Parkwächter. « Mit 21 Jahren hatte er seinen Schiffsführerschein, da studierte er bereits Maschinenbau. Danach war er bei einem Maschinenbaubetrieb in Rosenheim tätig und absolvierte parallel dazu ein Aufbaustudium zum Wirtschaftsingenieur. »Danach fragte mich mein Vater, ob ich nicht zu ihm ins Unternehmen wechseln möchte. « So startete Michael Feßler 1996 bei der Chiemsee-Schifffahrt KG.

Generationswechsel geglückt

»Unsere Eltern haben uns freie Wahl gelassen, ob wir ins Familienunternehmen einsteigen wollen oder nicht«, sagt Birgit Feßler. Sie studierte Betriebswirtschaft und sammelte anschließend in einigen anderen Unternehmen Berufserfahrung, bevor sie sich 1998 dafür entschied, gemeinsam mit ihrem Bruder das Steuerrad zu übernehmen. Seither ist sie für das Kaufmännische zuständig. »Der Generationswechsel war ein fließender Prozess«, sagt sie. »Mein Vater hat sich nach und nach komplett aus dem operativen Geschäft zurückgezogen, kommt aber auch heute noch jeden Tag ins Büro.«

Umweltschutz und Modernisierungen

Bereits bei ihrem Einstieg liefen die Planungen zum Umbau des Hafengeländes, der 2018 abgeschlossen wurde. Seither gibt es dort unter anderem ein neues Verwaltungsgebäude und eine räumliche Trennung von Fahrgast- und Arbeitsbereich mit Werften und Werkstätten. Auf allen geeigneten Dachflächen wurden Photovoltaikanlagen installiert, die Gebäude mit Hackschnitzelheizungen ausgestattet. In der Werkstatt wird das unbehandelte Holz der alten Anlegestege verheizt, gestrichen wird mit wasserbasierten Lacken. »Als Unternehmen am Wasser liegt uns der Umweltschutz besonders am Herzen«, sagt Michael Feßler. Daher wurden in den vergangenen Jahren auch nahezu alle Schiffsmotoren auf den neuesten technischen Stand gebracht.

Dass mehr und mehr Freizeitsportler auf dem Chiemsee unterwegs sind, erweist sich zunehmend als Herausforderung für die Schiffsführer. »Unsere Linienschiffe haben Vorfahrt auf dem See. Doch es passiert immer wieder, dass unsichere Stand-up-Paddler nicht schnell genug ausweichen oder Kajakfahrer nachts unbeleuchtet unterwegs sind«, berichtet Michael Feßler.

Das war bei der Firmengründung anno 1845 noch anders. Als Zimmermeister Wolfgang Schmid aus Grassau mit seinem Dampfschiff startete, für das die Feßlersche Kupferschmiede in München die Kesselanlage baute, gab es kaum Freizeitsport und noch weniger Tourismus.

"Magnet" Schloss Herrenchiemsee

»Bereits im Winter 1846/47 war es Schmid leid, die geringen Einnahmen aus der Schifffahrt für die Instandsetzungen seines Schiffs ausgeben zu müssen, und überließ den Betrieb unserem Ururgroßvater«, erzählt Michael Feßler. In den ersten Jahren lief das Geschäft nicht schlecht für die neue Eigentümerfamilie – bis der Bau der Eisenbahnlinie München – Salzburg im Jahr 1860 die Fahrgastzahlen einbrechen ließ. Erst mit der Errichtung von Schloss Herrenchiemsee ab 1878 begann sich das Blatt zu wenden: Es galt nicht nur, die Baumaterialien per Schiff auf die Herreninsel zu transportieren. Auch viele Neugierige besichtigten die damalige Großbaustelle.

Fast eine Million Fahrgäste pro Jahr - bis auf ein Mal

Das unvollendete Märchenschloss König Ludwigs II. ist nach wie vor ein Publikumsmagnet. Ein Großteil der jährlich rund 930.000 Fahrgäste der Chiemsee-Schifffahrt besucht Herrenchiemsee. »Auch wenn unser Geschäft natürlich wetterabhängig ist, blieb diese Zahl über die Jahre hinweg ziemlich konstant«, sagt Michael Feßler. »Lediglich 2011 haben wir die Millionengrenze dank der Landesausstellung ›Götterdämmerung. König Ludwig II‹ geknackt. « Birgit und Michael Feßler sind froh, dass nun fast wieder Normalbetrieb herrscht. An Bord gilt strenge Maskenpflicht, bei Kapazitätsengpässen aufgrund der eingeschränkten Passagierzahlen setzen sie zusätzliche Schiffe ein. »Wir werden auch dieses Jahr über die Runden kommen«, sagt Michael Feßler. »Trotzdem hoffen natürlich auch wir, dass der Coronaspuk möglichst bald zu Ende geht.«

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