Klimaschutz

In der Fläche neu denken

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Sonnenenergie – die EU will den Ausbau erneuerbarer Energien beschleunigen

Die hohen Energiekosten belasten viele Unternehmen erheblich. Welche Maßnahmen sind notwendig, damit die Firmen wettbewerbsfähig bleiben und die Energiewende umsetzen können?

JOSEF STELZER, Ausgabe 03/2022

Die massiv erhöhten Strom- und Erdgaspreise machen der Südstärke GmbH in Schrobenhausen schwer zu schaffen. »Unsere Energiekosten sind 2021 gegenüber dem Jahr davor um 70 Prozent auf rund 17 Millionen Euro gestiegen, und das bei einem Umsatz von 100 Millionen Euro«, sagt Geschäftsführer Stefan Dick (54). Das Unternehmen produziert pro Jahr rund 150.000 Tonnen Stärke aus 600.000 Tonnen Kartoffeln. Die Kartoffelstärke kommt hauptsächlich bei der Herstellung von Lebensmitteln zum Einsatz, wird aber auch in der Papierindustrie und in Futtermitteln verwendet.

Ein Drittel stellt Investitionen zurück

Wie der Stärkehersteller leiden derzeit viele Unternehmen unter den drastisch gestiegenen Energiekosten. Eine Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) im vergangenen Herbst ergab, dass die Energiepreise für drei Viertel der 600 bundesweit befragten Firmen eine Belastung darstellen. 46 Prozent befürchten den Verlust der Wettbewerbsfähigkeit, 28 Prozent haben Investitionen zurückgestellt. Eine Situation, die auf Dauer kaum tragbar ist. 

»Fit for 55«-Paket zur Reduktion der Treibhausgase

Was also brauchen die Betriebe, damit sie die Herausforderungen in den Griff bekommen? Das im Sommer 2021 von der EU-Kommission präsentierte »Fit for 55«-Paket enthält eine Vielzahl von Vorschlägen, die in der EU die Wirtschaft und Gesellschaft zur Erreichung der ambitionierten Treibhausgasreduktionsziele befähigen sollen. Darunter sind Maßnahmen für den schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien oder die Einführung eines Emissionshandels für Verkehr und Gebäude ab 2026.

Neue EU-Leitlinien bereits seit Januar 2022

Bereits seit Januar 2022 gelten die überarbeiteten EU-Leitlinien für staatliche Klima-, Umweltschutz- und Energiebeihilfen. Sie legen unter anderem neu fest, in welchen Sektoren energieintensiven Firmen Ermäßigungen auf bestimmte Stromverbrauchsabgaben gewährt werden können. Die EU-Mitgliedstaaten sind verpflichtet, ihre bestehenden Regelungen ab 2024 an die neuen Vorschriften anzupassen.

Transformation gegen Strukturbrüche

»Die Wirtschaft steht vor einer enormen Transformationsaufgabe. Gut ausgestaltet, können der Green Deal und insbesondere das »Fit for 55«-Paket eine zentrale Rolle spielen, um Strukturbrüche durch massive Preissprünge oder Energieversorgungslücken künftig effizient und technologieoffen zu vermeiden«, betont Julia Goebel, IHK-Referentin für Klima- und Energiepolitik. »Zudem lassen sich damit faire und verlässliche Wettbewerbsbedingungen für unsere Unternehmen vor Ort sichern.«

Aktuell jedoch haben die Energiekosten ungeahnte Höhen erreicht. Eine Ursache ist die 2021 gegenüber dem Vorjahr wetterbedingt deutlich geringere Stromeinspeisung aus erneuerbaren Energien. Dies führte zu einem höheren Erdgasbedarf für die Stromerzeugung. Gleichzeitig heizte die wirtschaftliche Erholung nach den Einschnitten der Pandemie die Nachfrage nach Erdgas weiter an.

Die DIHK-Studie zeigt, dass 2021 für knapp die Hälfte der Unternehmen die Stromkosten im Vergleich zum Vorjahr gestiegen sind, jeder achte Betrieb registrierte sogar eine Verdopplung. Für den reinen Stromeinkauf musste mehr als jedes vierte Unternehmen über zehn Cent pro Kilowattstunde aufwenden, hinzu kamen Steuern, Umlagen und Netzentgelte von bis zu 15 Cent pro Kilowattstunde.

Reduktion der Preistreiber

Beim Stromeinkauf wirken Abgaben, Steuern und Umlagen als Preistreiber. Immerhin: Die 2022 auf rund 3,7 Cent pro Kilowattstunde gesunkene EEG-Umlage (2021: 6,5 Cent) wird viele Betriebe entlasten. Die EEG-Umlage dient zur Finanzierung der erneuerbaren Energien und soll ab 2023 ganz entfallen.

Energiekosten 2021 um 70 Prozent gegenüber Vorjahr gestiegen

In der Praxis setzen Unternehmen der Kostenexplosion meist ein Bündel an Maßnahmen entgegen. »Wir haben strikt darauf geachtet, Strom wie auch Erdgas möglichst günstig einzukaufen, und wählten unterschiedlich lange Vertragslaufzeiten, etwa Jahres-, Monats- und Quartalsprodukte, sowie verschiedene Kaufzeitpunkte«, erklärt Südstärke-Geschäftsführer Dick. Ohne diesen strukturierten Einkauf wären die Energiekosten im Vorjahr statt um 70 sogar um 500 Prozent gestiegen.

Energieverbrauch reduzieren

Jetzt zahlt sich auch aus, dass der Betrieb seit Jahren auf effiziente und energiesparende Herstellungsprozesse setzt. Rührwerke, Reiben und andere stromintensive Aggregate sind mit Frequenzumrichtern ausgestattet, die bei der Verarbeitung bis zu 20 Prozent Strom einsparen. Um den Gasverbrauch zu senken, setzt Südstärke unter anderem auf Wärmerückgewinnung. Die Abwärme aus der Produktion dient zum Vorwärmen der Gasbrenner, die für die Trocknung der Kartoffelstärke nötig sind. So reduziert sich der Energieverbrauch um bis zu 20 Prozent.

Die Forderungen der Wirtschaft

Wie lassen sich Stabilität bei der Energieversorgung und Wettbewerbsfähigkeit mit mehr Klimaschutz in der EU vereinbaren? Aus Sicht der Unternehmen muss die Politik folgende Punkte angehen:

  • Vollendung des europäischen Energiebinnenmarkts voranbringen
  • EU-Beihilfeleitlinien so gestalten, dass sie nationale Maßnahmen schnell und unbürokratisch ermöglichen
  • Unternehmen von Stromabgaben, -gebühren und -steuern entlasten
  • Den EU-Rahmen für Planungs- und Genehmigungsverfahren und den marktbasierten Ausbau der erneuerbaren Energien verbessern
  • Bewährte Mechanismen zum Schutz vor Carbon Leakage (Verlagerung von CO2-Emissionen in andere Länder) verlässlich aufrechterhalten
  • Zusammenarbeit der EU-Staaten bei Forschung und Entwicklung stärken, etwa für die Entwicklung und den Markthochlauf von Wasserstofftechnologien
  • Einheitliche Standards schaffen, um die Energiewende marktbasiert voranzubringen; zum Beispiel ein Zertifizierungs- und Herkunftsnachweissystem für klimaschonende Gase
  • Erdgas im Rahmen der EU-Taxonomie als notwendige Übergangstechnologie einstufen
  • »Toolbox for Action« der EU-Kommission einsetzen und gegebenenfalls ausbauen: Sie enthält Instrumente, mit denen die Mitgliedstaaten gegen steigende Energiepreise vorgehen können.

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